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Gültig ab: 06.08.2008 10:19
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Abgeordnete und Arbeitsbedingungen

Im Plenum des Parlamentarischen Rates: Konrad Adenauer (CDU), der bei der konstituierenden Sitzung zum Präsidenten gewählt wird
Im Plenum des Parlamentarischen Rates: Konrad Adenauer (CDU), der bei der konstituierenden Sitzung zum Präsidenten gewählt wird
© Erna Wagner-Hehmke/HDG

Konstituierung des Parlamentarischen Rates

Unmittelbar nach dem Festakt im Museum Koenig konstituiert sich am 1. September 1948 der Parlamentarische Rat in der benachbarten Pädagogischen Akademie. Mit Selbstbewusstsein gehen die 65 Abgeordneten an die historische Aufgabe. Diese erfordert im Bonn der Nachkriegszeit neben Sachverstand und politischem Geschick auch die Fähigkeit zur Improvisation, wenn es um Unterkunft, Arbeitsmittel oder Verpflegung geht.

Haben beim Festakt noch die feierlichen Töne überwogen, geht es nun rasch und hart zur Sache. Noch in der Eröffnungssitzung kommt es fast zum Eklat, als der KPD-Abgeordnete Max Reimann die sofortige Einstellung der Beratungen fordert, weil der Rat „kein Mandat vom deutschen Volke” habe. Insgesamt ringen und feilen die 65 Mitglieder neun Monate am künftigen Grundgesetz. Damit die Arbeit erfolgreich wird, sind umfangreiche Vor- und Hilfsarbeiten notwendig.

Schon am ersten Tag wird deutlich, wer personell den Parlamentarischen Rat vor allem prägen wird: Konrad Adenauer. Denn der frühere langjährige Kölner Oberbürgermeister und Vorsitzende des Preußischen Staatsrates wird zum Präsidenten des Parlamentarischen Rates gewählt und besitzt dadurch erhebliche Einflussmöglichkeiten. Zudem zeigt sich der 72-Jährige unerschrocken auch gegenüber den Alliierten. Bereits in seiner Eröffnungsansprache beweist er erhebliches Selbstbewusstsein: Zwar sei der Parlamentarische Rat „durch einen Akt der Militärgouverneure” einberufen, sagt er, aber nun „im Rahmen der ihm gestellten Aufgaben völlig frei und selbständig”. Anwesende Militärbeobachter ziehen da erstaunt die Augenbrauen hoch. Und noch eines gibt Adenauer, der später erster Bundeskanzler der Bundesrepublik wird, den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates gleich zu Beginn mit auf den Weg: Sie sollen sich im Bewusstsein der „historischen Aufgabe” unter „Gottes Schutz mit dem ganzen Ernst und mit dem ganzen Pflichtgefühl” stellen.

Bevor die Mitglieder des Parlamentarischen Rates mit ihrer Arbeit in Bonn beginnen können, müssen sie für diese Aufgabe bestimmt und gewählt werden. Dafür haben die Westalliierten in ihren „Frankfurter Dokumenten” präzise Vorgaben gemacht: Die Anzahl der Mitglieder solle ermittelt werden, indem die Gesamtzahl der Bevölkerung nach der letzten Volkszählung von 1946 durch 750.000 oder eine ähnliche Zahl geteilt werde. Die eigentliche Wahl solle dann durch die elf westdeutschen Landtage erfolgen. Zwischen dem 15. und 30. August folgen die Landtage den Vorgaben und wählen 65 Abgeordnete in den Parlamentarischen Rat. Bei ihrer Auswahl wird stark auf politische Erfahrung und politischen Sachverstand geachtet, allerdings suchen die Parteien, möglichst großen Einfluss auf die Auswahl zu nehmen.

Im Bewusstsein der historischen Aufgabe

Einteilung der 65 stimmberechtigten Abgeordneten für den Parlamentarischen Rat in die Bundesländer auf einer Deutschlandkarte von 1948.

© DBT/Marc Mendelson


Die 65 Abgeordneten des Parlamentarischen Rates verteilen sich folgendermaßen auf die Parteien: CDU/ CSU 27 Sitze; SPD ebenfalls 27 Sitze; FDP fünf Sitze; Deutsche Partei zwei Sitze; Zentrum zwei Sitze; KPD zwei Sitze. Hinzu kommen fünf nicht stimmberechtigte Abgeordnete aus Berlin, von denen drei der SPD sowie je einer der CDU und FDP angehören.

Die vier Frauen im Parlamentarischen Rat: Friederike Nadig (SPD), Elisabeth Selbert (SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum)
Die vier Frauen im Parlamentarischen Rat: Friederike Nadig (SPD), Elisabeth Selbert (SPD), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Zentrum)
© Erna Wagner-Hehmke/HDG
Wer sind nun die 61 Männer und vier Frauen, die Schicksal und Zukunft Deutschlands in die Hände nehmen sollen? Kurz geantwortet, werden vor allem angesehene und bedeutende Persönlichkeiten in den Parlamentarischen Rat entsandt. Die CDU etwa schickt ihren „starken Mann” in der britischen Zone Konrad Adenauer und den christlichen Gewerkschaftsführer Jakob Kaiser in den Rat, die SPD ihre herausragenden Verfassungsexperten und Politiker Carlo Schmid, Georg August Zinn und Walter Menzel (SPD-Chef Kurt Schumacher kann aus Krankheitsgründen nicht teilnehmen), die FDP den Publizisten (und späteren Bundespräsidenten) Theodor Heuss und den Starjuristen Thomas Dehler, die CSU ihre „graue Eminenz” Anton Pfeiffer. Nur mit der Entsendung von Frauen tut man sich schwer. Es gibt nur vier „Verfassungsmütter”: Helene Weber (CDU), Frieda Nadig (SPD), Elisabeth Selbert (SPD) und Helene Wessel (Zentrum).

Das Durchschnittsalter der Abgeordneten beträgt 55 Jahre, jeder dritte Abgeordnete ist 60 Jahre und älter. Wie auch heute in vielen Parlamenten überwiegt auch im Parlamentarischen Rat mit 47 Abgeordneten die Zahl der Berufsbeamten, Richter und Professoren. Von den 51 Akademikern haben 32 ein juristisches Studium und elf ein wirtschaftswissenschaftliches Studium absolviert. 35 Abgeordnete haben einen Doktortitel. Etliche Abgeordnete können mit langer Parlamentserfahrung aufwarten: So waren die Abgeordneten Paul Löbe, Wilhelm Heile und Helene Weber bereits Mitglieder der Weimarer Nationalversammlung von 1919. 22 Abgeordnete gehörten in der Weimarer Republik einem Landtag oder einem Provinziallandtag an. Über 25 Mitglieder des Parlamentarischen Rates können sich auf wichtige Erfahrungen aus ihren Tätigkeiten im Nachkriegsdeutschland stützen — in einer Landesregierung, im Wirtschaftsrat oder im Verwaltungsrat der Bizone.

Parlamentarische Strukturen

Über die Partei- und Herkunftsgrenzen eint vor allem eines die Männer und Frauen im Parlamentarischen Rat: Dem „Dritten Reich” standen sie — oft um den Preis von Karriere und Freiheit — skeptisch bis ablehnend gegenüber. Viele von ihnen wurden nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus ihren Berufen entfernt oder aus ihren Ämtern entlassen, andere in „Schutzhaft” genommen. Wegen ihres aktiven Widerstandes gegen die Nazis mussten einige ins Ausland fliehen, andere wurden in Konzentrationslager verbracht. Insgesamt kann man sagen, dass kaum ein Abgeordneter des Parlamentarischen Rates im „Dritten Reich” von Drangsalierungen, Denunziation und Verfolgung verschont geblieben war. Nie wieder hat es eine so stark von persönlichen Erfahrungen unter dem NS-Regime geprägte Delegation in Deutschland gegeben wie den Parlamentarischen Rat.
Verteilung der 65 Sitze im Parlamentarischen Rat von 1948 (Deutschland)

© DBT/Marc Mendelson


So wichtig Erfahrung und so stark der Eifer für die bevorstehende historische Aufgabe ist — die Mitglieder des Parlamentarischen Rates haben zunächst ganz banale Sorgen: Wo unterkommen im kleinen Bonn, das wie viele andere Städte vom Krieg halb zerstört ist? Wovon leben, wenn das Geld knapp ist und die Lebensmittel teilweise noch immer rationiert sind? (Siehe Kasten.)

In diesen Zeiten ist vor allem eines gefragt: Improvisation. Dies gilt sowohl für den privaten Bereich als auch für die Organisation des Parlamentarischen Rates. Da müssen Stenografen und Sekretärinnen gesucht, Räume hergerichtet, Telefonleitungen gelegt und Schreibmaterialien besorgt werden. Und das nicht nur für den Parlamentarischen Rat, sondern auch für ein Außenbüro der Ministerpräsidenten und für die eigenen Büros von Amerikanern, Briten und Franzosen, die alle genau und teilweise auch argwöhnisch die Arbeit des Parlamentarischen Rates verfolgen wollen.

Zur Führung der allgemeinen Arbeit des Parlamentarischen Rates wird die Einrichtung eines Ältestenrates, eines Geschäftsordnungsausschusses und eines Hauptausschusses beschlossen, der die Koordinierung all dieser Aufgaben übernehmen soll. Damit erhält der Parlamentarische Rat politische und verwaltungstechnische Strukturen, die bereits stark an ein richtiges Parlament erinnern.  

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Text: Sönke Petersen
Bildnachweis: Erna Wagner-Hehmke/Hehmke-Winterer,
Düsseldorf; Haus der Geschichte, Bonn
Erschienen am 13. August 2008

Weitere Informationen:

Protokolle der Konstituierung
in „Der Parlamentarische Rat 1948-1949; Band 9: Plenum”, im Internet unter:
http://books.google.de


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