Immer wieder ein heißes Thema: die Diäten der Abgeordneten. Millioneneinkommen von Popstars und Fußballspielern sind in Ordnung. Aber wenn das Reizwort „Diätenerhöhung” fällt, geht es oft rund in Medien und an Stammtischen. Denn Diäten stammen aus Steuergeldern. Deshalb ist es auch so wichtig, genauer hinzuschauen und den Aufwand fair zu bewerten.
Stellen wir uns eine typische Begegnung mit Menschen vor, die in der eigenen Stadt Einfluss haben. Sie werden im Festzelt des Schützenvereins nacheinander begrüßt. Der Abgeordnete des Deutschen Bundestages, der Oberbürgermeister, der Sponsor des Vereins, ein durchschnittlich erfolgreicher Geschäftsmann. Der Mittelständler hält es wahrscheinlich für attraktiv, Oberbürgermeister zu werden. Der Oberbürgermeister könnte kalkulieren, dass er, wenn es in seiner politischen Karriere optimal läuft, sogar Bundestagsabgeordneter werden könnte. Was in solchen Zusammenhängen die wenigsten ahnen: Im Gehältervergleich verschlechtert sich, wer auf dieser Skala vorankommt und letztlich sogar den Sprung in den Bundestag schafft.
Das erste Problem bei den Diäten ist der Maßstab. Welchen Beruf zur Orientierung heranziehen? 41.468 Euro sind die Bruttojahresverdienste im produzierenden Gewerbe und Dienstleistungsbereich (Statistisches Bundesamt, Stand 2009). Doch darin stecken sowohl die Angestellten im Gastgewerbe in den neuen Bundesländern mit 18.471 Euro pro Jahr als auch die Angestellten, die im Westen der Republik in der Energieversorgung arbeiten und dafür 59.958 Euro bekommen. Woran also orientieren? Und wenn man doch den Durchschnitt nimmt: Darf man ihn auf die Stunde runter- und dann auf die typische Arbeitswoche des Abgeordneten wieder hochrechnen? Statt 38,5 oder 40 Stunden haben die meisten Abgeordneten 80-, 90-, manchmal 120-Stunden-Wochen. Das durchgerechnet nur mit dem gerade ermittelten Durchschnittsstundenverdienst liefe auf Monatsgehälter um die 10.000 Euro hinaus. Was also ist „angemessen”? So wie es das Grundgesetz in Artikel 48 Absatz 3 vorschreibt: „Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.”
Einer seit Ende der 1950er-Jahre praktizierten Kopplung der Abgeordnetendiäten an die Entwicklung der öffentlichen Besoldung schob das Bundesverfassungsgericht 1975 einen Riegel vor: Die Diäten dürften nicht an Automatismen gekoppelt werden. Die Abgeordneten müssten jede Veränderung in der Höhe der Entschädigung im Plenum diskutieren und vor den Augen der Öffentlichkeit darüber entscheiden. Damit stellten die Verfassungsrichter klar: Die Festlegung der Abgeordnetenvergütung muss mit größtmöglicher Transparenz geschehen. Wer dem Bundestag also vorwirft, einem Hang zur „Selbstbedienung” zu erliegen, darf nicht vergessen, dass der Deutsche Bundestag durch die Verfassung angehalten ist, die Festlegung der Diäten selbst vorzunehmen und nicht in andere Hände zu legen. Die Folge: Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages diskutieren und bestimmen so transparent wie kein anderer Berufsstand ihre Gehälter vor aller Öffentlichkeit. Die Folge ist das Gegenteil dessen, was dem Bundestag immer unterstellt wird: Statt einen „Schluck aus der Pulle” zu nehmen, stellt er die Flasche aus Furcht vor dem negativen öffentlichen Echo immer wieder beiseite. In 30 Jahren gab es dreizehn Nullrunden. Vor den letzten Anhebungen zum 1. Januar 2008 und 1. Januar 2009 war eine Anpassung fünf Jahre zuvor, nämlich 2003, erfolgt.
Auch unabhängige Expertenkommissionen haben den Versuch unternommen, die Vorgaben des Verfassungsgerichtes umzurechnen. Was heißt es, wenn den Abgeordneten eine „der Bedeutung des Amtes angemessene” Lebensführung ermöglicht werden soll? Eine Entschädigung, die einerseits ihre Unabhängigkeit sichert, gleichzeitig aber auch der mit dem Amt verbundenen Verantwortung und Belastung und dem Rang des Mandats im Verfassungsgefüge gerecht werden soll?
Als Ergebnis dieser Beratungen legt §11 Absatz 1 des Abgeordnetengesetzes seit 1995 als gesetzliche Bezugsgröße für eine angemessene Abgeordnetenentschädigung Richter- und Beamtenbezüge der Besoldungsstufen R6 und B6 fest. Das entspricht dem, was Bürgermeister kleiner Städte und Gemeinden mit 50.000 bis 100.000 Einwohnern erhalten beziehungsweise einfache Richter bei einem obersten Gerichtshof des Bundes. Schon Mitte der 1970er-Jahre war dies als Maßstab vorgeschlagen worden, weil diese Amtsinhaber als Richtgröße mit ähnlicher Verantwortung und Belastung angesehen werden: Bürgermeister sind kommunale Wahlbeamte auf Zeit, Bundesrichter sind weisungsunabhängig und nur Recht und Gesetz verpflichtet, Abgeordnete vertreten Wahlkreise mit durchschnittlich 250.000 Wahlberechtigten. Aber die Richtgröße der Besoldungsstufen R6 und B6 haben die Diäten bisher nie erreicht. Derzeit liegen sie rund sechs Prozent darunter.
Die Große Koalition aus CDU/ CSU und SPD schnürte Ende 2007 ein Paket, um in den damaligen Zeiten allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs und steigender Löhne und Gehälter die Annäherung anzugehen und gleichzeitig oft geäußerten Erwartungen nach einer Reform der Altersbezüge entgegenzukommen. Ab 1. Januar 2008 erhielten die Abgeordneten 330 Euro mehr und noch einmal 329 Euro mehr ab 1. Januar 2009. Die Entwicklung in absoluten Zahlen: 7.009 Euro - 7.339 Euro - 7.668 Euro. Das entspricht Steigerungssätzen von 4,7 und 4,48 Prozent und damit auch der damals ermittelten voraussichtlichen Steigerung durchschnittlicher Erwerbseinkommen. Bezogen auf die Jahre 2003 bis 2009 sind es jeweils 1,5 Prozent.
Gleichzeitig ging die damalige Bundestagsmehrheit von CDU/CSU und SPD an die Altersversorgung. Bis 1995 hatte diese vier Prozent der Abgeordnetenentschädigung pro Jahr der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag betragen, war damals auf drei Prozent gesenkt worden und wurde nunmehr nochmals auf zweieinhalb Prozent verringert. Weitere Komponenten führen zu weiteren Einsparungen: Der Höchstsatz der Altersentschädigung (jetzt 67,5 Prozent statt bisher 69 Prozent) wird nicht mehr nach 23 Mandatsjahren, sondern erst nach 27 Jahren Mitgliedschaft im Parlament erreicht. Zudem erlegten die Abgeordneten auch sich selbst die „Rente mit 67” auf, indem sie stufenweise die Regelaltersgrenze vom 65. auf das 67. Lebensjahr anhoben.
Die Folgen lassen sich in Euro und Cent ausrechnen. Hätte der Deutsche Bundestag bei der Altersversorgung alles beim Alten gelassen, wäre nach der Gesetzeslage bis 1995 ein Abgeordneter nach zehnjähriger Parlamentszugehörigkeit im Alter heute mit 2.693,09 Euro versorgt worden. Nach der seinerzeitigen Änderung verringerte sich der Anspruch auf 2.102,70 Euro. Nun kann er sich auf 1.917 Euro einstellen - muss sich aber bestimmte andere Bezüge darauf anrechnen lassen. 1.917 statt 2.693 Euro - diese Gegenüberstellung zeigt, wie sehr der Deutsche Bundestag dabei ist, die Vollversorgung seiner Abgeordneten in eine Teilversorgung zu verändern.
Dazu gehört auch, dass die Mindestzugehörigkeit zum Bundestag, durch die Versorgungsanwartschaften begründet werden, von vier Jahren auf ein Jahr abgesenkt wurde. Denn damit wird dem Anreiz entgegengewirkt, auch aus Gründen der Versorgungsanwartschaften eine Wiederwahl anzustreben. Hinzu kommt, dass die wenigsten Abgeordneten die in den Medien gehandelten Beträge auch erreichen. Die durchschnittliche Zugehörigkeitsdauer aller Abgeordneten zum Deutschen Bundestag liegt derzeit bei 10,6 Jahren. Die Höchstversorgung nach 27 Mitgliedsjahren erreichen nach aktuellem Stand nur knapp vier Prozent der 622 Abgeordneten.
Jeder Bürger zahlt umgerechnet nur 70 Cent im Jahr für die Abgeordnetenentschädigungen. Die klassischen Diäten müssen ganz normal versteuert werden. Amtsbezüge, zum Beispiel als Minister oder Staatssekretär, werden auf die Diäten zu einem großen Teil angerechnet, ebenso eventuelle Versorgungsleistungen oder Renten. Hinzu kommt die Übernahme von Kosten im Krankheitsfall, entweder als Zuschuss zu den Krankenund Pflegeversicherungsbeiträgen oder zu den tatsächlich entstandenen Krankheitskosten.
Damit niemand fürchten muss, nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag plötzlich ins Nichts zu fallen, gibt es ein - ebenfalls steuerpflichtiges - Übergangsgeld: Pro Jahr der Parlamentszugehörigkeit eine Monatsentschädigung, auf die ab dem zweiten Monat alle sonstigen Einkünfte angerechnet werden. Und wer nach 18 Monaten immer noch nicht wieder Fuß gefasst hat, kann den Deutschen Bundestag nicht mehr in Anspruch nehmen, selbst wenn er ihm länger als 18 Jahre angehört hat.
Wie geht es weiter? Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte sich in der 16. Wahlperiode darauf verständigt, die Bezugsgrößen der Besoldungsstufen R6 und B6 nicht wieder aus den Augen zu verlieren, sondern regelmäßige Anpassungen jeweils durch eine Gesetzesänderung nachzuvollziehen, frühestens wieder 2010. Damit wollten sie den Expertenempfehlungen folgen und gleichzeitig die Vorgaben des Verfassungsgerichtes erfüllen.
Die Machtverhältnisse haben sich im Deutschen Bundestag mittlerweile verschoben. CDU/CSU und FDP bilden die Regierungskoalition - und auch die FDP hatte in der 16. Wahlperiode ein eigenes Konzept entwickelt. Sie wollte das System der regelmäßigen Festsetzungen ändern, um den Eindruck der „Selbstbedienung” auf Dauer zu beseitigen. Nach ihren Vorstellungen sollte eine unabhängige Kommission die Diäten festlegen und dafür die Verfassung geändert werden.
Die Fraktion Die Linke hielt die Absenkung der Altersversorgung angesichts der gleichzeitigen Anhebung der Abgeordnetenentschädigung noch immer nicht für ausreichend. Sie schlug in der vergangenen Wahlperiode stattdessen vor, eine allgemeine Bürgerversicherung einzuführen, der dann auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages beitreten sollten. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen sahen die Lösung in einem eigenen Versorgungswerk des Bundestages, aus dem künftig die Altersversorgungsleistungen für ehemalige Abgeordnete bestritten werden könnten. Das Versorgungswerk sei offen für eine Weiterentwicklung Richtung Renten-Bürgerversicherung.
Abgeordnete müssen optimal arbeiten können, gleichzeitig dicht an der Gesetzesmaterie und nah bei den Menschen sein. Doch das kostet Geld. Mehr als die Abgeordneten verdienen. Sie können keine Werbungskosten geltend machen. Dafür gibt es eine Reihe anderer Geld- und Sachleistungen.
In Berlin bekommen die Abgeordneten, wie jeder Arbeitnehmer in seinem Betrieb, einen Arbeitsplatz gestellt. Das Büro wird ihnen für die Zeit ihrer Mitgliedschaft im Bundestag „eingerichtet” überlassen, also einschließlich Kommunikationsgeräten, Tischen, Stühlen und Regalen. Jeder Abgeordnete hat in der Regel ein eigenes Büro von rund 54 Quadratmetern, in dem er zusammen mit seinen Mitarbeitern seine politischen Projekte am Parlamentssitz verfolgt. In Berlin kann er für Dienstgeschäfte die Autos der Fahrbereitschaft des Bundestages nutzen. Auch die Bahn oder das Flugzeug bei Inlandsflügen kann er nehmen, um zügig zwischen Bundestag und Wahlkreis wechseln beziehungsweise andere Aufgaben seines Mandates an verschiedenen Orten erfüllen zu können.
Hinzu kommt ein Höchstbetrag von 14.889 Euro monatlich, in dessen Rahmen er Arbeitsverträge mit Mitarbeitern zur Unterstützung seiner parlamentarischen Arbeit in Berlin oder seinem Wahlkreis abschließen kann. Das Geld wird gegen Nachweis von der Bundestagsverwaltung unmittelbar an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgezahlt. Der Abgeordnete ist frei in der Entscheidung, ob und wie er diese Summe auf wenige besser bezahlte Fachleute oder mehr Teilzeitkräfte und Aushilfen aufteilt. Nicht gestattet ist allerdings: Arbeitnehmer aus der eigenen Verwandtschaft einzustellen oder nicht genutzte Anteile aus der Mitarbeiterpauschale auf andere Abgeordnete zu übertragen oder sich auszahlen zu lassen. Die Mitarbeiter bekommen spezielle Zeitverträge, die an die Mitgliedschaft ihres jeweiligen Chefs im Bundestag geknüpft sind. Nach Neuwahlen oder nach vorzeitigem Ausscheiden eines Abgeordneten müssen sie sich neue Beschäftigungen suchen.
Für alles Übrige gibt es die Kostenpauschale von derzeit 3.969 Euro im Monat. Sie soll insbesondere die Kosten für die Einrichtung und Unterhaltung von Wahlkreisbüros, Aufwendungen für eine Zweitwohnung am Parlamentssitz in Berlin, nicht erstattungsfähige Fahrt- und Reisekosten in Ausübung des Mandats, Repräsentations- und Wahlkreisbetreuungskosten, Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit und vieles mehr abdecken. Die Kostenpauschale wird zu Beginn jeden Jahres an die allgemeine Preisentwicklung angepasst. Sie geht in ihrer Höhe von einem angemessenen, realistischen Gesamtaufwand aus, ohne den Abgeordneten einzelne Vorgaben für ihre Mandatsausübung zu machen. Auch soll sie verhindern, dass Abgeordnete mit Bergen von Quittungen hantieren und zur Erstattung eine riesige Bürokratie aufbauen müssen. Und außerdem: Könnten die Abgeordneten wie Arbeitnehmer Werbungskosten geltend machen, würden diejenigen mit hohem Aufwand gleichheitswidrig „belohnt”, der Steuerzahler dadurch eher höher belastet.
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Erschienen am 26. Juli 2010