Rosemarie Willner arbeitet im Deutschen Dom, blickt auf den Gendarmenmarkt und ist umgeben von Geschichte und Geschichten. Ein toller Job ist das.
Wie er so dasteht, hat er es ihr schon ein bisschen angetan. Zerschlagen der Lindwurm der Zwietracht und Germania schaut – ein wenig schüchtern fast – auf den Mann, dem dies gelungen ist. Man kann ja über ihn und seine politischen Vorstellungen streiten, aber hier ist er eine wirklich imposante Erscheinung, einmalig in dieser Ausführung und bestens gelungen. Für Rosemarie Willner jedenfalls, Sachbearbeiterin im Referat Historische Ausstellung und Sonderprojekte, PI 5, gehört er zu den liebsten Ausstellungsstücken. Wenn sie Zeit hat, einen kleinen Rundgang durch die Bundestagsausstellung „Wege, Irrwege, Umwege – Die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland“ im Deutschen Dom zu machen, geht sie immer auch zu dem fast lebensgroßen Gipsmodell einer Bismarck-Plastik. Aber es sieht aus wie Bronze.
Rosemarie Willner, Ur-Berlinerin, Jahrgang 44 und Tochter eines Schneidermeisters aus Heiligensee, gelernte Stenokontoristin, eine freundliche und offene Frau mit vier erwachsenen Kindern, fing 1983 bei den „Fragen an die Deutsche Geschichte“ ihr Berufsleben im Bundestag an. Inzwischen sind es also schon fast 21 Jahre, und aus der Ausstellung „Fragen an die deutsche Geschichte“, die 23 Jahre lang im Reichstagsgebäude untergebracht war, ist die Frage nach den Wegen, Irrwegen und Umwegen des deutschen Parlamentarismus geworden.
Als Sachbearbeiterin kümmert sich Rosemarie Willner um all die Dinge, die in einem Ausstellungsbüro getan werden müssen: Finanzen verwalten, Ausschreibungen organisieren, Fremdfirmen beauftragen und deren Arbeit kontrollieren, Anmeldungen von Besuchergruppen koordinieren, Kontakte pflegen und halten. In der Wirtschaft nennt man das Qualitätsmanagement und Controlling. Die Verwaltung des Bundestages neigt zu pragmatischeren Beschreibungen. Auf die Bezeichnung kommt es Rosemarie Willner auch nicht an. Sie will, dass es gut und bestens läuft.
Als sie sich vor 21 Jahren beim Leiter der Historischen Ausstellung als Mitarbeiterin bewarb, war sie voller Zielstrebigkeit. Sie wollte diese Arbeit und hat sich beim Bewerbungsgespräch auch nicht davon abschrecken lassen, dass die zahlreichen Mitbewerberinnen jünger waren und weniger oder gar keine Kinder hatten.
Rosemarie Willner hatte zuvor in einem mittelständischen Unternehmen als Stenokontoristin gearbeitet, sie wuss-te, wie man ein Büro organisiert, Finanzen verwaltet und immer den Überblick behält. Sie war zwar älter als die Konkurrentinnen, aber sie hatte auch mehr Erfahrung.
Heute ist das Schöne für Rosemarie Willner, dass Arbeitsinhalt und Arbeitsort eine beeindruckende und auf jeden Fall einmalige Symbiose bilden. Vom Fenster ihres Büros aus, kann sie über den Gendarmenmarkt schauen, links das Schauspielhaus, gegenüber der Französische Dom, das architektonische Pendant zum Deutschen Dom. An der Wand hinter ihrem Schreibtisch ist eine verkleinerte Kopie des in der Ausstellung zu sehenden Ölgemäldes „Kanzler Bülow spricht“ aus dem Jahre 1902 zu sehen. „Ist Ihnen schon mal aufgefallen“, sagt Frau Willner, „dass es auf diesem Bild nicht einen einzigen Mann ohne Bart gibt?“ Nein, ist es nicht. Aufgefallen war lediglich, dass nur Männer zu sehen sind. Und das schien ganz und gar typisch für die Anfänge des deutschen Parlamentarismus. Frauen dienten da höchstens als Allegorie.
Und aufgefallen war auf jeden Fall, dass ein solches Büro mit einem solchen Ausblick spektakuläre Möglichkeiten eröffnet. Und wirklich, Rosemarie Willner schwärmt vom Open Air mit der Sopranistin Montserrat Caballé und telefoniert nur wenige Minuten später mit jemandem, der auf der Suche nach Strom ist, um die Vorfahrt der Gäste, die im Schauspielhaus bei der Verleihung der „Goldenen Kamera“ dabei sein werden, bestens ausleuchten zu können. Nun, mit Strom wird Rosemarie Willner diesmal nicht dienen können, die Veranstaltung beginnt zu spät, da ist der Dom längst geschlossen. Aber hin und wieder genießt sie zu späterer Stunde von ihrem Bürofenster aus, was unten geboten wird. Dann schätzt sie sich einmal mehr glücklich. Mit dieser Arbeit und mit all dem, was damit verbunden ist.
Im April 2002 öffnete die neu gestaltete Ausstellung im Dom auf dem Gendarmenmarkt, dem schönsten Platz Berlins, wie viele sagen, ihre Pforten. Seitdem besuchten sie rund 440.000 Menschen. Der Raum und die Art der Präsentation bewirken, dass viele von ihnen sehr begeistert von dieser Ausstellung sind. Aber noch viel mehr müssten kommen, meint Rosemarie Willner, die ein wenig verwöhnt ist von den Besucherzahlen, die man bei der Ausstellung im Reichstagsgebäude hatte: Zwölf Millionen in 23 Jahren, das kann sich hören lassen. Heute bietet die Stadt, die nicht mehr geteilt und wieder Hauptstadt ist, eine solche Fülle an kulturellen Angeboten, dass es nicht mehr einfach ist, auf sich aufmerksam zu machen und zum Besuchermagneten zu werden. Doch zum Glück, sagt auch Rosemarie Willner, ist die Ausstellung im Dom mehr als ein trockenes Lehrstück – sie erzählt viel Geschichte und manche Geschichten.
Das tut sie, die Sachbearbeiterin, im Übrigen auch. Vom Reichstagsgebäude aus hatte sie, noch im Frühjahr 1989, die letzten Flüchtlinge durch die Spree schwimmen sehen. Durch die eisige Kälte seien sie ans Westufer gekommen, einer noch in letzter Sekunde abgefangen von DDR-Grenzern und erst Monate später, nach Protesten und Verhandlungen, in den Westen entlassen. Das war nur wenige Monate, bevor die Mauer fiel und die Spree nur noch ein Fluss war und keine Grenze mehr.
Und beim Geschichtenerzählen kommt man irgendwann auch auf die Kindheitsjahre in Heiligensee zu sprechen, in denen Rosemarie Willner oft ihrem Vater bei der Arbeit half. Noch heute könne sie perfekt Knopflöcher nähen. Mit der Hand natürlich. „Wir hatten mal einen Kunden“, berichtet sie lachend, „der war so dick, dass ich beim Maßnehmen immer dabei sein musste. Ich hielt das Maßband und mein Vater lief, das andere Ende in der Hand haltend, um den Bauch des Mannes herum.“
Später, als sie allein stehende Mutter mit vier Kindern war, half die Fertigkeit, Sachen selbst nähen zu können, natürlich viel weiter. Vor allem in jenen Zeiten, da die Hosen einen ganz weiten Schlag haben mussten und aus den Kindern bereits Jugendliche mit modischen Ansprüchen geworden waren. Aus den Kindern sind Leute geworden und nähen muss Rosemarie Willner nicht mehr. Zum Glück, wie sie meint, denn es gibt wohl spannendere Beschäftigungen. Und andere Herausforderungen. In den vielen Jahren ihrer Arbeit beim Bundestag hat Rosemarie Willner immer dazugelernt. Die Ansprüche sind gestiegen, die Herausforderungen sowieso und auf der Stelle treten behagte der heute 59-Jährigen nicht. Wie oft sie inzwischen durch die Ausstellung im Deutschen Dom gelaufen ist, kann sie nicht mehr sagen. Es gibt Lieblingsräume und Lieblingsstücke und es hat seinen besonderen Reiz, durch die Räume und Etagen des Domes zu laufen, wenn die Ausstellung geschlossen und somit menschenleer ist.
Nicht weit entfernt vom martialisch dreinblickenden Bismarck sind in einer Vitrine allegorische Darstellungen aus dem alten Reichstagsgebäude ausgestellt: der Ruhm und die Macht, die Mäßigung und die Wohltätigkeit. „Sind die nicht schön“, sagt Rosemarie Willner und lächelt. Natürlich sind sie das. Und sie erzählen auf jeden Fall eine Geschichte.
Text: Kathrin Gerlof, Fotos: studio kohlmeier
Ausstellung: „Wege, Irrwege,
Umwege – Die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie in
Deutschland“
Ort: Deutscher Dom
am Gendarmenmarkt 1, 10117 Berlin-Mitte.
Öffnungszeiten: Di. von 10 bis 22 Uhr, Mi.-So. und an den
Feiertagen 10 bis 18 Uhr, in den Monaten Juni, Juli, August von 10
bis 19 Uhr.
Eintritt frei.
Führungen: Tel.: (030) 22 73 04 31