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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Für die Augen ein Fest, für den Kopf eine Herausforderung
Gültig ab: 24.09.2004 22:00
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Für die Augen ein Fest, für den Kopf eine Herausforderung

Blick durch die Glasfassade in die Bibliotheksrotunde des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses.
Blick durch die Glasfassade in die Bibliotheksrotunde des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses.

Die Bundestagsmitarbeiterin Monika Hein.
Die Bundestagsmitarbeiterin Monika Hein.

Landkartenlager der Bibliothek.
Landkartenlager der Bibliothek.

Die Bundestagsmitarbeiterin Monika Hein.
Die Bundestagsmitarbeiterin Monika Hein.

Bücherregal in der Bibliothek.
Bücherregal in der Bibliothek.

Der große Lesesaal in der Bibliotheksrotunde im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus.
Der große Lesesaal in der Bibliotheksrotunde im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus.

Monika Hein arbeitet in der Bibliothek des Bundestages. Wenn sie in der Rotunde und unter blauen Neonbuchstaben sitzt, ist sie sicher, den schönsten Arbeitsplatz der Stadt zu haben.

Monika Hein glaubt fest an die Magie der Worte und die Anziehungskraft des Buches, in dem sich Worte zu Sätzen fügen. „Noch in hundert Jahren“, sagt sie und schenkt ein strahlendes Lächeln, „werden Menschen am Strand des Wannsees liegen und Bücher lesen. Und noch in hundert Jahren wird es Bibliotheken geben, die sich Tag für Tag mit Wissbegierigen füllen.“

Hoch über dem Kopf der 39-Jährigen leuchtet die Neoninstallation „Blauer Ring“ des Künstlers Maurizio Nannucci. Aus Buchstaben formen sich Worte von Hannah Arendt zu einem klugen Gedanken. Monika Hein liebt kluge Gedanken und die Poesie der Worte. Und wenn sie könnte, stellte sie jedem Menschen, den sie kennen lernt, die Frage: „Was lesen Sie gerade?“ Sie ist Bibliothekarin mit Leib und Seele. Und sie arbeitet in einer Bibliothek, die jedem, der sie zum ersten Mal betritt, Begeisterung entlockt. Das ist eine Behauptung, aber sie stimmt.

Die drittgrößte Parlamentsbibliothek der Welt, untergebracht im Bundestagsneubau Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, beherbergt 1,3 Millionen Bände, rund 9.200 Periodika, Spezialsammlungen von Parlamentsmaterialien und Amtsdruckschriften. 20.000 Bücher und 1.400 Zeitschriftentitel stehen in der in fünf Ebenen gegliederten Rotunde, die zugleich Monika Heins Arbeitsplatz ist. Von hier blickt man auf die Spree und über die Spree hinweg auf das Reichstagsgebäude.

Wer hier arbeitet, bringt die Benutzerinnen und Benutzer zum Ziel, erfüllt ihre Wünsche, nimmt sich ihrer Begehren an, berät sie und beantwortet ihre Fragen. Nicht immer im direkten Gespräch, viele Wünsche werden per Telefon oder E-Mail geäußert. Meist sind es Rechercheaufträge, denen es sich über gezielte Nachfragen zu nähern gilt. Kann sein, dass sie am Anfang so klingen: „Ich bräuchte was zur Rolle des wiedervereinigten Deutschlands in Europa.“ Die dazu vorhandene Literatur in der Bibliothek des Bundestages füllte wahrscheinlich einen Kleinlaster. Nützte aber dem Fragenden, der unter Zeitdruck steht, recht wenig. Also fragen die Bibliothekarinnen und Bibliothekare so lange, bis klar ist, welche Informationen genau gefragt sind. Stich- und Schlagwörter werden gesucht, Zeiträume eingeschränkt, Bereiche konkretisiert.

Viele dieser Anfragen kommen direkt von den Abgeordnetenbüros oder auch von der Hotline W, einem Servicedienst des Bundestages für Abgeordnete, wenn es um Informationen, Recherchen, Materialzusammenstellungen geht. Hotline W und Bibliothek gehören beide zu den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages.

Was Monika Hein zum Beispiel unglaublich gern macht: Zitate suchen. Jemand möchte einen richtig gut formulierten Gedanken zu den Tendenzen der Globalisierung. Am liebsten von einem nordrhein-westfälischen Politiker, der früher in der Wirtschaft gearbeitet hat. Das ist konstruiert, aber keinesfalls weit hergeholt.

In der Bibliothek arbeiten alles in allem rund 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, eine ausgefeilte Logistik sorgt dafür, dass die Wartezeiten für bestellte Bücher kurz sind und selbst das scheinbar Unmögliche wahr gemacht wird. In den großen Magazinen des Untergeschosses werden aus Monika Heins Aufträgen und denen ihrer Mitstreiter Bücherstapel. Wer sie bekommt, um damit zu arbeiten, fühlt sich gut bedient.

Jeden Monat kommen rund 2.000 Neuzugänge in die Regale der Magazine. Bücher sind nach Größe und Art der Bindung sortiert. P1 bis P7 stehen für das kleinste und das größte Paperback-Buch, alle durch graue Einbände geschützt und mit einer Signatur versehen. Das sieht nicht richtig schön aus, es sei denn, man mag monochrome Strenge, aber es ist praktisch und pflegeleicht. G steht für Tafelwerke und M für gebundene Bücher, die sich farbenfroh präsentieren und auch dem Auge ein Fest sind.

„Die Bibliothek wächst nur in eine Richtung“, erklärt Monika Hein. „In den Regalen sind die Bücher nach Größe geordnet. Das ist einfacher, bedarf aber natürlich für jeden Neuankömmling der Erklärung. Wer hier sucht, braucht die Signatur.“ Wer je versucht hat, seine Bücher zu Hause nach Alphabet oder thematisch zu sortieren, wird wissen, dass dies ab einer bestimmten Menge nicht mehr möglich ist. Man kauft sich sämtliche Bände von Paul Auster und stellt fest, dass alle Bücher umgestellt werden müssen, weil bei A kein Platz mehr ist.

„Wir haben“, sagt Monika Hein, „den Faden der Ariadne in der Hand. Und den in der Hand zu behalten, ist sicher die größte Herausforderung. Heute wird man täglich mit so vielen Informationen zugeschüttet, dass es wichtig ist, verlässliches und relevantes Wissen zu finden und zu systematisieren. Zur besseren Orientierung bieten wir deshalb jeden Mittwochvormittag einen kleinen Einführungskurs für neue Benutzer.“

In der Reihe der Traumberufe stand für die Frau mit den dunklen, kurzgelockten Haaren, die wahrscheinlich jeden mit ihrem Lächeln betören kann, Bibliothekarin nicht an erster Stelle. Dolmetscherin wollte sie werden, Lehrerin und dann erst Bibliothekarin. Auf jeden Fall sollte es ein Beruf sein, bei dem sie viel mit Menschen zu tun hat. Ihre Entscheidung hat sie nie bereut. Als Bibliothekarin übersetzt sie nicht nur Sätze, die andere schon vor ihr gesagt haben, und hat fast immer mit Menschen zu tun, die neugierig und wissbegierig sind. Für jede Lehrerin eine Traumklientel.

Studiert hat Monika Hein in Köln, in der Bundestagsbibliothek begann sie 1993 zu arbeiten. Von 1998 bis 2001 gab es eine Zwischenstation in Washington, in der Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts. Kurz nach dem Studium hatte sie bereits Berufserfahrung im DHI in London gemacht. „Ich habe es wirklich geschafft, mit meiner Ausbildung viel zu reisen. Ist das nicht wundervoll?“ Ja, das ist es, zumal die Vorstellung von diesem Beruf häufig auf das Bild von älteren Damen, die wahlweise streng oder schüchtern sind und staubige Bücher sortieren, hinausläuft. Klischees sind hartnäckig, auch das von der Bibliothekarin, die regelmäßig im Lesesaal über ihren Brillenrand schaut und ein „Pst“ in Richtung Störenfriede schickt. Der Typ ist Monika Hein ganz gewiss nicht. Wird sie auch nie werden.

Zurück nach Washington. Dort habe sie sich als so etwas wie eine „Minibotschafterin“ gefühlt, sagt sie. Die Bibliothek umfasste nur 30.000 Bände und Monika Hein war für alles verantwortlich, vom Schreiben der Signaturschildchen bis zur Ausleihe und Beratung. Es kam vor, dass an einem Abend auf CNN eine große Dokumentation über den Holocaust im Fernsehen lief und am nächsten Tag viele Menschen in der Bibliothek des Deutschen Historischen Institutes anriefen, weil sie aufgewühlt waren, Fragen hatten, Statements abgeben wollten. Aus solchen Erlebnissen speiste sich Monika Heins Gefühl, mehr zu sein als nur Bibliothekarin – sie war eben auch Deutsche und vertrat eine deutsche Institution.

Das tut sie auch in der Bundestagsbibliothek, und es gefällt ihr. Vor allem dann, wenn sie viel direkten Kontakt mit Menschen hat. Und wenn es das gibt, was die Engländer „instant gratification“ nennen, ein spontanes Dankeschön für schnelle und professionelle Hilfe, für Rettung aus kleinen Nöten, für befriedigte Neugier.

Die Frage, was jemand gerade liest, kann sie allerdings eher selten stellen. Sie selbst hat gerade das sechste von sechs Büchern gelesen, die den Titel „Stadtgeschichten“ tragen und in San Francisco spielen. Jedes neue Buch, das sie erwirbt, ist die Möglichkeit einer Entdeckung, eines bleibenden Eindruckes. „Ich habe lange in einer Bibliothek in der Erwerbungsabteilung gearbeitet. Jeden Tag kamen die fabrikneuen Bücher, und wenn man sie auspackte – das war ein unverwechselbarer Geruch. Bücher riechen unglaublich gut.“

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier


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