Wer war's? fragt BLICKPUNKT BUNDESTAG und lädt Sie ein, Persönlichkeiten der Parlamentsgeschichte wieder zu begegnen. In jeder Ausgabe stellen wir jeweils ein Mitglied des Bundestages vor, das in der Geschichte Deutschlands eine bedeutende Rolle gespielt hat. Sein Name wird nicht genannt. Lüften Sie sein Inkognito und gewinnen Sie eine Reise für zwei Personen nach Berlin.
Sie war eine geborene Sozialdemokratin:
Hineingewachsen ins sozialdemokratisch geprägte Arbeitermilieu
ihrer fränkischen Heimatstadt schließt sie sich bereits
als 13-Jährige der Sozialistischen Arbeiterjugend an. Nach dem
Zweiten Weltkrieg widmet sie sich ganz der Politik, getreu ihrem
Motto: „Politik ist eine viel zu ernste Sache, um sie allein
den Männern zu überlassen.”
Sie hat niemals ihre Herkunft vergessen. Der Vater, gelernter
Schuhmacher, arbeitet später als Gewerkschaftssekretär.
Die Mutter hat nach der Heirat ihren Beruf als Köchin
aufgegeben und widmet sich ganz der zuletzt neunköpfigen
Familie. Unsere Kandidatin, das vierte Kind, besucht erst die
„Volksschule”, dann die Handelsschule. Ihr
Berufswunsch, Gärtnerin, erfüllt sich nicht. So verdient
sie ihr Geld als Bürokraft beim Landesverband für Obst-
und Gartenbau, was sich später als Glücksfall
herausstellen wird.
Sie ist politisch aktiv, arbeitet für die der SPD verbundenen
„Kinderfreunde”, die sich um die Betreuung und
Weiterbildung von Kindern und Jugendlichen kümmern. Hier
steigt sie bis zur Landesvorsitzenden in Bayern auf, wo die Arbeit
der „Kinderfreunde” ab 1930 massiv beschnitten wird.
Ihnen wird die „Politisierung von Schulpflichtigen” und
die „gemeinsame Erziehung von Mädchen und Jungen”
vor allem in Zeltlagern vorgehalten. 1933 werden die
„Kinderfreunde” verboten.
Auch in der eigenen Familie erlebt sie politische Verfolgung
hautnah. Seit 1928 ist sie mit einem Schriftsetzer und
Sozialdemokraten verheiratet, der 1934 wegen „Vorbereitung
zum Hochverrat” zu zweieinhalb Jahren Gefängnis
verurteilt und später in das Konzentrationslager Dachau
eingeliefert wird. Im Krieg wird er zum berüchtigten
Strafbataillon 999 versetzt und gerät schließlich in
Gefangenschaft. Seine Frau muss sich zu dieser Zeit mit ihren
beiden Töchtern allein durchschlagen. Sie ist froh,
unmittelbar nach Kriegsende ihre Arbeit in der Obst- und
Gartenbaugenossenschaft wieder aufnehmen zu können.
Als ihr Mann 1946 aus der Gefangenschaft zurückkehrt,
kandidiert sie bereits für den bayerischen Landtag. Sie ist
entschlossen, sich ganz der politischen Arbeit zu widmen. Ihr Mann
und ihre Eltern unterstützen sie dabei. Bei ihrem ersten
Anlauf scheitert sie noch. Sie lässt sich jedoch nicht beirren
und wird 1949 in den Bundestag gewählt.
Als Politikerin konzentriert sie sich auf die Europa- und
Friedenspolitik, die Landwirtschaft und den Verbraucherschutz.
Neben ihrer Mitgliedschaft im Bundestag gehört sie von 1958
bis 1966 dem Europäischen Parlament an, dessen
Vizepräsidentin sie zwei Jahre lang ist.
1966 verlässt sie das Europäische Parlament, um in Bonn
in der neu gebildeten Großen Koalition das
Gesundheitsministerium zu übernehmen. Ihre Befugnisse werden
1969 erweitert, als in der sozial-liberalen Koalition ein
Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit entsteht. An
seiner Spitze kämpft sie mutig und hartnäckig für
bessere Sexualaufklärung. Mit dem mit Bundesmitteln
finanzierten Aufklärungsfilm „Helga” bricht sie
1967 ein Tabu: Erstmals wird im Kino über Geschlechtsverkehr
und Geburtenkontrolle aufgeklärt, erstmals ist eine Geburt in
allen Details zu sehen.
Für noch mehr Wirbel sorgt 1969 der
„Sexualkunde-Atlas”, der den Beginn einer
systematischen Sexualerziehung in westdeutschen Schulen markiert.
Zu den Reaktionen sagt die verantwortliche Politikerin später:
„Das war schlimm. Sogar mein Mann wurde seinerzeit darauf
angesprochen, dass ich doch den ,Sexualkunde-Atlas? herausgegeben
hätte und deshalb damit rechnen müsse, in die Hölle
zu kommen.”
Bei der Bundestagswahl 1972 tritt sie nicht mehr an, engagiert sich
aber im Stadtrat ihrer Heimatstadt und bis ins hohe Alter für
ihre Partei auf Bundesebene. Sie stirbt 88-jährig in der
Stadt, in der sie geboren ist.
Wer war's?
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Einsendeschluss: 18. Juli 2007.
Unter den richtigen Einsendungen werden fünf Preise verlost.
Der Hauptgewinn ist eine Reise für zwei Personen nach Berlin.
Die Lösung unseres Rätsels in Heft 2/07 lautet: Hans
Katzer. Eine Reise nach Berlin hat Heike Bremes aus Essen
gewonnen.
Foto: Picture-Alliance/dpa
Erschienen am 18. Juni 2007