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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Die Dickbrettbohrer
Gültig ab: 06.05.2009 14:37
Autor: Gregor Mayntz
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Die Dickbrettbohrer

IPU-Konferenz 1928 in Berlin
Zur 25. Konferenz der IPU trafen sich die Abgeordneten 1928 im Reichstag in Berlin
© Georg Pahl/Bundesarchiv

120 Jahre Interparlamentarische Union

Könnte es sein, dass Abgeordnete näher dran sind am Volk als Regierungen? Und dass es gut ist, wenn sich nicht nur Regierungen um den Frieden in der Welt sorgen, sondern auch Parlamentarier aller Länder um den besten Weg dorthin ringen? Antworten auf diese Fragen gibt die Interparlamentarische Union (IPU) – und zwar seit 120 Jahren.

Medien mögen Macht. Je schillernder die Gipfeltreffen der Mächtigen dieser Welt, desto gewaltiger ist das Echo in Presse, Funk und Fernsehen. Die Welttreffen der Interparlamentarischen Union sind den Zeitungen dagegen meistens keine einzige Zeile wert. Deshalb ist die IPU zwar das älteste Instrument einer fairen Globalisierung – und ist zugleich doch die unbekannteste Institution. Das hat Gründe, für die die Medien nichts können. Es scheint nun einmal interessanter und aktuell wichtiger, was der Führer einer Weltmacht für die nächsten Wochen ankündigt, als das, was der Oppositionspolitiker eines Dritte-Welt-Landes für die langfristige Entwicklung zu bedenken gibt.

Zwei weitere Umstände werden ebenfalls zu Stolpersteinen für die IPU-Medienpräsenz: Zum einen treten hier auch Politiker auf, deren Heimat-„Parlamente” beim besten Willen nicht dem Standard demokratischer Systeme entsprechen. Und zum anderen kommen die Resolutionen und „Beschlüsse” der Interparlamentarischen Union über Hoffnungen, Erwartungen und Appelle selten hinaus, sind darüber durch langes Aushandeln hinter den Kulissen zwischen den vielen widerstreitenden Interessen mitunter derart „weichgespült”, dass ihre Sprache nur noch von sehr eingeschränktem Charme ist.

Verständigung statt Gewalt

Dennoch möchten die acht Bundestagsabgeordneten, die den Bundestag als deutsche Delegation in der IPU vertreten, diese Organisation der Parlamente der Welt nicht missen. Ja, sie bezeichnen ihren Job sogar als „spannend”. Damit sind sie in ihrem Empfinden ganz dicht dran an den Absichten der Gründer: Der englische Gewerkschafter William Randel Cremer und der französische Pazifist Frédéric Passy suchten nach einem Instrument zur Kriegsverhinderung. Verständigung statt Gewalt, internationale Schiedsgerichtsbarkeit statt Griff zu den Waffen. Bereits 1889 ging es also nicht darum, ein „Parlament der Parlamente” zu schaffen, sondern ein Forum für Frieden und Sicherheit zu finden. Das ist nach wie vor ein Kernanliegen der IPU.

Deutsche Delegation bei der IPU-Tagung 1999
Die Leiterin der deutschen Delegation Rita Süssmuth bei der IPU-Tagung 1999 in Berlin
© DBT/Michael Ebner/MELDEPRESS

Es sind eine Reihe weiterer Schwerpunkte hinzugekommen. Der Aus- und Aufbau repräsentativer Demokratie gehört genauso dazu wie die Beachtung der Menschenrechte weltweit. Bildung, Wissenschaft und Kultur sollen genauso gefördert werden wie nachhaltige Entwicklungen. Nicht zuletzt achtet die IPU immer wieder auf die Teilhabe der Frauen. Dabei hat sich die Satzung einen wirkungsvollen „Trick” einfallen lassen: Delegationen haben nur dann volles Stimmrecht, wenn in ihnen mindestens eine Frau vertreten ist. Für manchen islamischen Staat bedeutete diese Bedingung eine echte Herausforderung. Wie Monika Griefahn (SPD), stellvertretende Leiterin der deutschen Delegation, feststellt, gehören jetzt in der Tat immer mehr Frauen dazu. „Allein dafür lohnt sich schon die Arbeit”, lautet ihr Resümee. Dies umso mehr, als nun jeder Vollversammlung eine Tagung vorgeschaltet ist, die sich vor allem Frauenthemen widmet und insbesondere den Kolleginnen wichtige Handlungsoptionen für ihren jeweiligen parlamentarischen Alltag an die Hand gibt.

Griefahn hat auch selbst schon häufig eine Funktion der IPU erlebt, die in keiner Satzung steht und die doch ungemein wichtig für Konfliktlösungen oder sogar vorbeugende Konfliktverhinderung ist: Wo Regierungen diplomatisch Zurückhaltung üben müssen, können sich Parlamentarier unterhalb und neben offiziellen Linien zusammensetzen, unproblematisch und unauffällig auch mal bilaterale Treffen am Rande der großen Konferenzen vereinbaren, Signale und Hinweise austauschen, die ganz diskret einen Verständigungsprozess einleiten können.

Versöhnung ist möglich

Wo Hass und Gewalt kein Ende nehmen wollen, bekommen IPU-Parlamentarier vor Augen geführt, wie es auch geht. Großen Eindruck hinterließ zum Beispiel der deutsche Delegationsleiter, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU/CSU), als er sich in einem Redebeitrag mit dem französischen Parlamentarier Robert del Picchia ständig abwechselte, um so die freundschaftlich-partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Franzosen plastisch vor Augen zu führen. Sie erwähnten die „Erbfeindschaft” zwischen beiden Ländern, die verheerenden Kriege mit ihren furchtbaren Folgen – und zeigten die daraus gewonnenen Botschaften: „Erstens: Versöhnung ist nötig, zweitens: Versöhnung ist möglich.”

Selbst etwas tun können, global Gehör mit seinem Anliegen zu finden, das gehört zu den Motiven, mit denen die Parlamentarier an die oft kräftezehrende IPU-Arbeit herangehen. Griefahn beispielsweise wollte ein Zeichen gegen die systematischen Menschenrechtsverletzungen unter der Taliban-Herrschaft in Afghanistan setzen, die mit der Zerstörung der Buddha-Statuen auch symbolisch als Bilder um die Welt gingen: Sie trug die Resolution selbst vor der IPU-Versammlung vor – und engagiert sich seither regelmäßig für das Forum der Parlamente der Welt.

Das hat mit inzwischen 154 Mitgliedsländern die Grenzen unkomplizierter Steuerbarkeit seit Langem verloren. Deshalb sind eine Reihe von Strukturen eingezogen worden, damit die IPU-Aktivitäten nicht im Chaos versinken. So steht an der Spitze ein jeweils für drei Jahre gewählter Präsident, seit Oktober 2008 ist dies Theo-Ben Gurirab, der frühere namibische Ministerpräsident. Er vertritt die IPU in der Tagespolitik, ruft etwa Experten an den IPU-Sitz nach Genf zum Thema Weltfinanzkrise zusammen oder versucht zum Beispiel, in einer Nahostreise auf die Verhandlungsbereitschaft der Akteure einzuwirken.

Unterstützt wird der Präsident vom Exekutivausschuss, vom Koordinierungsausschuss und vom Rat der IPU. Drei ständige Ausschüsse kümmern sich um „Frieden und internationale Sicherheit”, um „nachhaltige Entwicklung, Finanzen und Handel” sowie um „Demokratie und Menschenrechte”. Auch die eigene Mittelverwendung haben die Abgeordneten dabei im Blick: Für das Jahr 2008 leitete Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU) als „Internal Auditor” als bislang erster deutscher Abgeordneter die Rechnungsprüfung der IPU. Sein Anliegen: Die IPU-Ausgaben sollen nicht nur wie bisher nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit, sondern auch unter dem Gesichts punkt der Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Zweimal jährlich tritt die Konferenz aller Mitgliedsländer zu einer mehrtägigen Tagung zusammen, jeweils wechselnd zwischen den Ländern im Frühjahr, im Herbst inzwischen stets in Genf. 2008 sahen sich die Parlamentarier in Kapstadt, in diesem Jahr ist es Addis Abeba, die 122. Konferenz wird 2010 in Bangkok sein.

IPU-Konferenz 2008
Abgeordnete der IPU-Konferenz 2008 in Kapstadt, Südafrika
© epa/Bothma/Picture Alliance

„Sehr gewöhnungsbedürftig” war für Bodo Ramelow (Die Linke) das Erleben der „parlamentarischen” Abläufe. Mit echtem Parlamentarismus habe das wenig zu tun. Fast alles sei im Vorfeld ausgehandelt. Umso interessanter seien je doch die Gespräche mit den anderen Delegationen. Gern erinnert sich Ramelow etwa, wie die deutsche Gruppe auf die Bitte der iranischen Parlamentarier reagierte, mit den Deutschen das Gespräch über ihren mal wieder wegen der Holocaustleugnung in der Kritik stehenden Präsidenten zu suchen. „Wir haben Frau Griefahn nach vorne gebeten – damit taten sich die iranischen Männer entsprechend schwer.” Für Ramelow ist eine weitere wichtige Erkenntnis, wie die Mitglieder der deutschen Delegation über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg als einheitliche Gruppe vorgehen und etwa im Karikaturenstreit die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes verteidigen. Der Parlamentarismus nach deutscher Überzeugung bekomme so oft den Charakter eines Exportgutes. So wird die IPU zur Lehrstätte in Sachen Demokratie. Daneben spielen immer wieder auch einzelne Anliegen eine herausragende Rolle – für den Thüringer Ramelow wurde nach dem Amoklauf an einer Erfurter Schule das weltweite Vorgehen gegen die Verbreitung von Kleinwaffen zu einem Höhepunkt der IPU-Arbeit.

Klare Sätze

Josef Winkler (Bündnis 90/Die Grünen) gehört als Mitglied der deutschen Delegation zu den Parlamentariern, die aus dem Chaos mehr oder weniger klare Sätze machen: Er sitzt in einem Redaktionsausschuss, der damit beauftragt wird, aus verschiedenen Antragstexten, Anregungen und Einsprüchen eine mehrheitlich akzeptierte Resolution zu machen – mehrfach hatte er bereits als Vorsitzender des Gremiums besonders viel Einfluss auf das Gelingen. Hochinteressant sei immer wieder, eine andere Sicht auf die Zusammenhänge in anderen Regionen zu bekommen, wo mitunter Länder den Ton angäben und von ihren Nachbarn als „Player” akzeptiert seien, die in der allgemeinen deutschen Wahrnehmung der Welt kaum in Erscheinung träten oder wegen ihrer „indiskutablen” Regime beiseitegeschoben würden.

Winkler sagt ungeschminkt, dass der Einfluss der IPU auf das Weltgeschehen doch „sehr begrenzt” sei. Gleichzeitig habe die Arbeit nach seinen Erfahrungen aber durchaus Sinn. Es gehe weniger um einen fortwährenden Nutzen für die Welt, es gehe vor allem um „Schadensbegrenzung”. Winkler: „Die Interparlamentarische Union kann den einen oder anderen Schaden begrenzen, wenn nicht sogar vermeiden helfen.”

Wenn also Politik bildlich betrachtet das zähe Bohren dicker Bretter bedeutet und folglich Weltpolitik das extrem schwierige Bohren extrem dicker Bretter, dann bekommt die IPU die Funktion, diesen Bohrer zu stärken. Immer wieder neu, nun schon seit 120 Jahren.

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Text: Gregor Mayntz 
Erschienen am 5. Mai 2009


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