In den vergangenen Jahren hat das Stiftungswesen sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern eine Renaissance erfahren. Es scheint neues Leben in die altehrwürdige Institution der Stiftung gekommen zu sein. Die politischen und wirtschaftlichen Einbrüche in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts und der lange Niedergang des Stiftungsgedankens und des Stiftungswesens - all dies scheint überwunden. Die Zahlen des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen und des Maecenata Instituts belegen eine eindrucksvolle Trendwende: Mehr als die Hälfte der nunmehr über zehntausend deutschen Stiftungen wurde innerhalb der vergangenen drei Jahrzehnte gegründet. 1
Auch die Politik hat sich seit den neunziger Jahren verstärkt mit Stiftungen befasst und über eine Reform des Stiftungswesens nachgedacht. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog verknüpfte Stiftungen mit der Bürgergesellschaft und bezeichnete sie als "Pioniere auf dem Weg zur unmittelbaren, spontanen, dezentralen, effizienten, vielfältigen Verbindung von unternehmerischer Dynamik und Dienst am Gemeinwohl" 2 . Zumindest für den politischen Bereich gelang es, das Institut der Stiftung aus einer etwas angestaubten Nische herauszuholen und mit neuen Vokabeln wie bürgerliche Gesellschaft, Engagement, Innovation und Unternehmertum in den modernen Diskurs zu überführen. Dementsprechend fand sich die Herzog'sche Definition bald in den verschiedenen parteipolitischen Entwürfen wieder und diente fortan mit als Begründung für eine Reform des Stiftungswesens. 3
Nach anfänglichem Schwung mündete das Vorhaben allerdings übervorsichtig in - wie Stiftungsexperte Rupert Graf Strachwitz treffend formulierte - ein "Reförmchen" 4 und kaum in die mutige Stiftungszukunft, welche Herzogs Rede hatte erhoffen lassen. Parallel entfaltete sich eine zunehmend akademisch geführte Diskussion, die jedoch vom politischen Kerngeschäft abgekoppelt und mit juristischen Detailfragen und steuerrechtlichen Aspekten beschäftigt blieb. Es scheint, als wäre der Politik die ursprüngliche inhaltliche Zielsetzung der Reform abhanden gekommen. Die Debatte über die Rolle von Stiftungen in der modernen postindustriellen Gesellschaft wurde noch nicht ausführlich genug geführt und hat bisher kaum unangenehme Fragen gestellt.
Gerade mit solchen will sich dieser Beitrag befassen, indem wir zu drei Aspekten je zwei konträre Sichtweisen aufzeigen, die aus der möglichen Perspektive der Stifter, des Staates und der Zivilgesellschaft erläutert werden. Leider muss es in weiten Teilen bei thesenartigen Formulierungen bleiben, da endgültige Einschätzungen aufgrund der Datenlage zum Stiftungswesen nicht formuliert werden können. Ziel des Beitrags ist es, gerade wegen der kontroversen Prägnanz der Argumente einem empirisch fundierten Dialog über die Möglichkeiten und Grenzen des modernen Stiftungswesens Vorschub zu leisten.
Unabhängig von ihrer langen Geschichte muss gefragt werden, welche Gründe für den Fortbestand existierender Stiftungen und die Förderung von Neugründungen sprechen. Welche Argumente können angeführt werden, um für bzw. gegen ihre Existenz im 21. Jahrhundert zu plädieren?
These: Stiftungen existieren, weil sie privates Vermögen für das Gemeinwohl nutzbar machen und somit dem Staat wie der Zivilgesellschaft zusätzliche Möglichkeiten eröffnen.
Gegenthese: Stiftungen leisten zwar punktuell nützliche Beiträge, sind aber letztlich elitäre und undemokratische Institutionen, die für die moderne Gesellschaft zunehmend irrelevant erscheinen. Die ihnen zugute kommenden Privilegien wie die weitgehende Steuerbefreiung sind gesellschaftspolitisch fraglich und tragen kaum zum demokratischen Gemeinwesen bei.
Die empirisch zu belegende, einfachste Antwort auf die Frage, warum Stiftungen fortbestehen, wäre: Sie werden von der Gesellschaft geschätzt, weil sie ihr etwas bieten, was ohne sie verloren gehen würde. Prewitt sowie Anheier und Toepler schlagen vor, den "Mehrwert" der Stiftungen in Form der freiwilligen Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums, der Innovation, der Unterstützung bei sozialem Wandel unter gleichzeitiger Sicherung des gesellschaftlichen Erbes, der Versorgung von Ansprüchen von Minderheitspräferenzen und des Einsatzes für den Pluralismus zu messen. 5
Aber selbst wenn dieser Mehrwert empirisch nachzuweisen wäre, könnte es sein, dass man die institutionelle Trägheit unterschätzt, die mit der Zeit durch die privilegierte Behandlung von Stiftungen entsteht und durch den Schutz gesellschaftlicher und politischer Eliten verstärkt wird. Im Falle Großbritanniens und der USA kann behauptet werden, dass Stiftungen von der Elite des Landes nicht nur gegründet, sondern auch geführt und kontrolliert werden. 6 Daraus resultiert, dass die Abschaffung einer Stiftung mit hohen politischen und ökonomischen Kosten verbunden wäre.
Eine andere, weit verbreitete Begründung für die Existenz und Gründung von Stiftungen verweist auf folgende Vorzüge: größere Innovationsfähigkeit und Risikofreudigkeit gegenüber staatlichen Institutionen; freiwillige Umverteilung privaten Vermögens in gemeinnützige Aktivitäten; Komplementärfunktion zu staatlichen Leistungen. Zudem können sie langfristigere Ansätze verfolgen, als es einer Regierung möglich ist, deren Handeln vor allem durch das Ziel der Wiederwahl und von politischem Pragmatismus geleitet wird. 7
Zwei wichtige Aspekte gilt es hervorzuheben: Zum einen sind alle Erklärungsansätze für die Existenz von Stiftungen eng verknüpft mit spezifischen Annahmen und Einstellungen zur Rolle des Staates. Zum anderen bleibt die Frage offen, warum die Stiftung als eigenständige Form notwendig ist und Stifter ihr Vermögen nicht an eine existierende gemeinnützige oder öffentliche Einrichtung geben. Die Antwort scheint weniger in der Wirtschaftlichkeit des Transfers als in der Option der Einflussnahme auf die Vermögensverwendung zu liegen. Dies wird in erster Linie durch den Akt des Stiftens erreicht, d.h. der Vermögensübertragung mit Zweckbindung.
Welche spezifischen Motive zur Einrichtung einer Stiftung führen, konnte in amerikanischen Untersuchungen herausgearbeitet werden: 8
Werteorientierung: Sorge um das Wohlergehen anderer, soziale Verantwortung; religiöse und politische Überzeugung; Wunsch, der Gesellschaft "etwas zurückzugeben"; Interesse an bestimmten Aktivitäten oder Themen; Verbundenheit mit einer geographisch-lokalen Gemeinschaft.
Nützlichkeit in spezifischen Situationen: Flexibilität der Stiftung gegenüber anderen gemeinnützigen Organisationsformen; Steuervergünstigungen; Instrument für eine systematischere Mittelvergabe.
Gesellschaftlicher Druck: Einfluss des sozialen Umfelds; Stiften als "Mode".
Egoismus: Beibehaltung der Kontrolle über das Vermögen; Wunsch, sich selbst ein Denkmal zu setzen, persönliche Befriedigung; dynastische Motive, Gedenken an Familienangehörige, Familientradition; Ersatz für fehlende Erben.
Betrachtet man diese Auflistung, so scheint nachvollziehbar, warum Stiftungen von ihren Kritikern lediglich als Lösungsinstrument für die Probleme der Wohlhabenden und der gesellschaftlichen Eliten gesehen werden, anstatt sie allein dem gemeinnützigen Impetus und zivilgesellschaftlichen Engagement zuzuschreiben. 9
Die Antwort auf die Frage, warum Stiftungen weiterhin existieren, setzt sich demnach aus mehreren Teilen zusammen. Dazu gehören: die engen Verbindungen zur politischen und gesellschaftlichen Elite; die Fähigkeit der Stiftungsvertreter, die Leistungen von Stiftungen hervorzuheben; der Mangel an politischem Willen zur Förderung von Alternativen; eine Art Ahnungslosigkeit in der politischen Öffentlichkeit. Aktiv gegen Stiftungen vorzugehen würde erfordern, die schwierige politische Aufgabe einer Neudefinition des Begriffs "Gemeinnützigkeit" zu lösen und dem Staat alternative Privatisierungsinstrumente anzubieten.
Was wäre verloren, würden Stiftungen abgeschafft? Würden wir sie zurückwünschen?
These: Stiftungen schaffen gesellschaftlichen Nutzen, der sowohl ihre Betriebskosten als auch die staatlichen Steuereinbußen überwiegt. Dieser Mehrwert entfiele, würden Stiftungen abgeschafft oder ihre steuerliche Besserstellung rückgängig gemacht.
Gegenthese: Stiftungen sind eine ineffiziente Art, Vermögen für das Gemeinwohl zu akquirieren. Anstatt einen zusätzlichen gesellschaftlichen Nutzen zu schaffen, gehen sie aufgrund der Steuereinbußen zu Lasten der öffentlichen Hand. Stiftungsgründungen sollten deshalb nicht länger gefördert und bestehende Stiftungen stufenweise abgebaut werden.
Was der deutschen Gesellschaft verloren ginge, würde die Form der Stiftung abgeschafft, ist offensichtlich keineswegs trivial. Denn gegen ein lediglich rhetorisches Verständnis dieser Frage spricht, dass es in der Tat Länder gibt (etwa Frankreich, Österreich, Finnland, Dänemark oder Japan), die ganz gut mit nur wenigen Stiftungen auszukommen scheinen. Diese Länder weisen ein hohes Pro-Kopf-Einkommen und einen hohen gesellschaftlichen Entwicklungsgrad auf, haben kaum Armut und verzeichnen eine Einkommensungleichheit, die den deutschen Verhältnissen sehr nahe kommt. In Frankreich wurden Stiftungen nach der Revolution von 1789 abgeschafft und später mit strengeren Auflagen und innerhalb der Dachorganisation Fondation de France wieder zugelassen. In Österreich wurde, nachdem sich fast alle Stiftungen während der beiden Weltkriege aufgelöst hatten, bislang wenig dafür getan, den Stiftungssektor wieder zu beleben. In Japan hatte die Regierung bis in die neunziger Jahre hinein einen wachsamen Blick auf die Stiftungen, und in Skandinavien betrachtet man diese grundsätzlich mit Misstrauen. 10
In der Tat scheint es aus demokratietheoretischer Sicht nicht verständlich, dass demokratische Gesellschaften Stiftungen schützen und Neugründungen fördern. In den USA beispielsweise werden Stiftungen von jeher regelmäßig öffentlich kritisiert. 11 Während Untersuchungen des US-Kongresses über zu niedrige Auszahlungsraten, Intransparenz und politische Einflussnahme schon 1969 zu einer Stiftungsreform führten, wurden deutsche Stiftungen noch nie mit einer solchen Untersuchung konfrontiert. 12 In Anbetracht der Tatsache, dass bei deutschen Stiftungen traditionell Verschwiegenheit herrscht (obwohl sich hier vieles gebessert hat), ist es erstaunlich, dass bislang keine Bundesregierung eine systematische Erhebung über die Praxis und Möglichkeiten der Stiftungsarbeit veranlasst hat.
Das mag daran liegen, dass Stiftungen in Zeiten des neoliberalen Politikverständnisses als Alternativen zu staatlichen Einrichtungen gesehen werden. Dieses Argument lässt sich einfach nachvollziehen: Hat allein der Staat die exklusive Aufgabe, die Sicherung der Grundversorgung und des Angebots an allgemeinen Leistungen (von wohlfahrtsstaatlichen Diensten über Bildung bis hin zur Kultur) zu gewährleisten, steht dies im Gegensatz zum neoliberalen ideologischen Grundsatz einer beschränkten Staatsmacht. 13 Der Staat blickt daher wohlwollend auf Stiftungen und sieht in ihnen ein Instrument, um bestimmte Bereiche in den Teilen zu privatisieren, die entweder von staatlicher Seite nicht ohne erheblichen Aufwand aufrechtzuerhalten wären oder weniger effizient durchgeführt werden könnten. 14
Ein weiteres Standardargument, Stiftungen würden private Geldquellen wirksam für gesellschaftliche Belange einsetzen, kann in zwei Versionen gefunden werden. Die erste behauptet, Vermögen würde, wenn nicht gestiftet, auf andere Weise ausgegeben oder käme lediglich den privilegierten Erben zugute. Ferner wird argumentiert, dass Stiftungen durch ihre (kleinen) Zuschüsse andere (größere) Geldgeber zur weiteren Unterstützung ermutigen. Beide Argumente bleiben jedoch unzureichend, sofern nicht zwei Punkte in Bezug auf den gesamtgesellschaftlichen Nutzen empirisch nachgewiesen werden können:
Porter/Kramer weisen in scharfem Ton auf die Verantwortung von Stiftungen hin, die gesellschaftliche Wirkung ihrer Zuschüsse und Beiträge aufzuzeigen und zu belegen. Diese müsse überproportional zu den Aufwendungen sein, da es sich bei einem Teil der Stiftungsgelder letztlich um nichts anderes als entgangene öffentliche Steuermittel handele. 15 Sie gelangen zu einer wichtigen Schlussfolgerung: Nur wenige Stiftungen versuchen, diese überproportionale Wirkung zu erzielen; die meisten werden leicht zu einem wirtschaftlich ineffizienten und politisch kritisierbaren Instrument.
Ein Beispiel: Wenn eine Einzelperson einer gemeinnützigen Organisation 100 Euro spendet, verliert die Staatskasse (bei einem angenommen Steuersatz von 40 Prozent) 40 Euro durch gewährte Vergünstigungen. Die Organisation kann jedoch diese 100 Euro direkt für gesellschaftliche Belange verwenden. Der Nutzen beträgt demnach 250 Prozent der Kosten durch den Steuerverlust. Bei Stiftungen ist die Situation eine andere, unter der Annahme, dass diese im Durchschnitt jährlich fünf Prozent ihres Vermögens an gemeinnützige Zwecke weiterleiten. 16 Wenn eine Stiftung eine Spende in Höhe von 100 Euro erhält, verliert der Staat wiederum 40 Euro, jedoch beträgt der gesellschaftliche Nutzen nur 5 Euro, d.h. lediglich 12,5 Prozent der Steuereinbuße. Bei einer Rendite von zehn Prozent betrüge die von der Stiftung verausgabte Summe nach fünf Jahren lediglich 21 Euro bzw. 50 Prozent des Steuerverlustes, und nach 100 Jahren wären es 55 Euro oder knapp 133 Prozent des Verlustes, den die Staatskasse ein Jahrhundert zuvor hat einbüßen müssen.
Die Zahlen zeigen, dass im Grunde die Steuerzahler für einen Großteil dessen aufkommen, was als Steigerung des Gemeinwohls den Stiftungen zugeschrieben wird. Des Weiteren muss dieser verzögerte Gewinn im Zusammenhang mit zwei anderen Kostenarten betrachtet werden: den administrativen Kosten auf Seiten der Stiftungen und den Kosten, die auf Seiten der Empfänger für Bewerbungen und Berichte entstehen. All diese Aspekte zusammen formieren für Porter/Kramer die Basis ihrer Ablehnung der Organisationsform Stiftung als ein gesellschaftlich zu teures und daher in seiner jetzigen Form nicht zu rechtfertigendes Verfahren, private Vermögen für gesellschaftliche Anliegen nutzbar zu machen. 17
In welchem Verhältnis stehen Stiftungen, Demokratie und Zivilgesellschaft? Sind Stiftungen gar ein notwendiger Bestandteil für ein funktionierendes demokratisches System?
These: Stiftungen erfüllen eine wichtige Rolle innerhalb der Gesellschaft, was zu einem Gewinn für das Gemeinwohl führt, der die vielen Nachteile der Stiftungsform überwiegt.
Gegenthese: Es besteht kein klarer Nachweis darüber, dass Stiftungen die ihnen zugeschriebenen Aufgaben erfüllen. Zudem ist zu bezweifeln, dass sie über das finanzielle und organisatorische Potenzial verfügen, diesen Aufgaben jemals gerecht zu werden.
Die Tatsache, dass Stiftungen außerhalb des etablierten Parteien-, Regierungs- und Verwaltungssystems politisch agieren können, schafft die Möglichkeit zur Unterstützung von Themen, die von der allgemeinen Politik umgangen werden. Dies betrifft die Interessen ethnischer, religiöser und kultureller Minderheiten, sozial Ausgegrenzter oder anderweitig Benachteiligter, denen es schwer fällt, sich im politischen Alltagsgeschäft Gehör zu verschaffen. In diesen Fällen bieten Stiftungen eine Unterstützungsmöglichkeit und können das demokratische Defizit ausgleichen.
Bekannte Beispiele sind die Unterstützung der Bürgerrechtsbewegung in den USA durch die Ford-Stiftung und andere Stiftungen sowie der Beistand zur Anti-Apartheidsbewegung in Südafrika durch US-amerikanische, niederländische und skandinavische sowie eine kleine Anzahl von deutschen Stiftungen. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums spielen konservative Stiftungen in den USA eine gewichtige Rolle, indem sie etwa eine "traditionelle Familienpolitik" im Kongress finanziell unterstützen, die religiöse Erziehung an staatlichen Schulen fördern oder in den achtziger Jahren der neoliberalen Wirtschaftspolitik Ronald Reagans den Weg ebneten.
Man trifft Stiftungen zudem an einem wunden Punkt, wenn man die Unterstützung politisch heikler Themen im Kontext der Diskussion um accountability von NRO, d.h. der Rechenschaft gegenüber Anspruchsgruppen, betrachtet. Denn sie haben weder Anteilseigner, Wähler noch Kunden - und eine Kritik von Seiten ihrer "Klienten" ist höchst unwahrscheinlich. Horowitz vom konservativen Hudson Institut schreibt: "Stiftungen haben den fundamentalen Fehler begangen, sich selber als moralisch und intellektuell überlegen zusehen. Sie werden von dem Gedanken angetrieben, demokratisch vorgeschriebene Ergebnisseabwehren zu müssen, und von der Idee, sie seien die zu Unrecht angegriffenen Verteidiger moralischer Werte, die an den Toren der gutenundgerechten Gesellschaft ihren Posten haben." 18
Seit langem wird daher eine Debatte darüber geführt, ob Stiftungen nicht eher als öffentliche Institutionen anzusehen sind. 19 Ein Argument dafür lautet, dass Stiftungen konstitutiv mit dem Konzept von Gemeinnützigkeit verknüpft sind, welches die Begründung sowohl für ihre (steuer)- rechtliche Stellung als auch für die Forderung nach öffentlicher Rechnungslegung ist. "Der Schutz der Stiftungen ist ein Privileg, das ihnen aufgrund ihrer Leistungen für die Gesellschaft gewährt wurde und nicht als Entschuldigung dafür gedacht war, die Verantwortlichkeiten der Bürgerschaft in einer Demokratie einfach zu ignorieren." 20 Ein weiteres Argument für die öffentliche Rechenschaftspflicht von Stiftungen findet sich in ihrer Rolle, dazu beizutragen, die öffentlichen Prioritäten in einer modernen Gesellschaft festzulegen. Diese Aufgabe besteht aus drei Elementen: Stiftungen versuchen, die öffentliche Politik direkt zu beeinflussen (z.B. durch Lobbying); sie entscheiden über ihre inhaltlichen Prioritäten selbst und verfolgen diese mit Hilfe ihrer Vergabepolitik, über die der Staat keine Kontrolle hat; und sie unterstützen Themen und Organisationen, die auf Dauer einer staatlichen Unterstützung bedürften. Dieser letzte Punkt mündet wiederum oft in die Kritik, dass Stiftungen "staatliche Einrichtungen dazu veranlassen, ihre Themen auf die staatliche Agenda zu setzen (...). Das klingt zwar harmlos, täuscht aber." 21
In Deutschland ist die Erwartung, Stiftungen sollten Einfluss auf die öffentliche Politik nehmen, nur schwach ausgeprägt. Hier agiert der Großteil der Stiftungen eher in einer Rolle der gemeinnützigen Helferin und zeigt nur geringes Interesse an genuin politischen Belangen - möglicherweise, weil diese bereits durch die parteipolitischen Stiftungen besetzt zu sein scheinen.
In vielerlei Hinsicht kann das Stiftungswesen als ein Produkt des modernen, demokratischen und wirtschaftlich erfolgreichen Deutschlands nach 1945 bezeichnet werden. Die Stiftungsgründungen wachsen auf den sozialen und wirtschaftspolitischen Fundamenten, die während der Aufbauphase der Bundesrepublik gelegt wurden. Mit anderen Worten: Die derzeitige Hausse im deutschen Stiftungswesen ist der Ertrag von mehr als fünfzig Jahren politischer und sozialer Stabilität und wirtschaftlichem Wohlstand.
Stiftungen sind voraussetzungsvolle Einrichtungen. Einerseits muss Vermögen in ausreichendem Maße vorhanden sein, um einer Stiftung zugeführt und dauerhaft an sie gebunden werden zu können. Andererseits muss der Wille vorliegen, privates Kapital einem öffentlichen oder gemeinnützigen Zweck zur Verfügung zu stellen. Das Zusammenkommen dieser beiden Faktoren war in Deutschland lange Zeit weit weniger möglich, als dies heute der Fall ist. Stiftungen, in ihrer großen Mehrheit von Privatpersonen gegründet, sind daher auch ein Ausdruck des wachsenden Vertrauens der oberen Mittelschicht und wirtschaftlichen Elite Deutschlands in die Zukunft dieses Landes. Dies trifft insbesondere auf Unternehmer und Freiberufler zu. In gewisser Hinsicht stellen Stiftungen Investitionen in die gesellschaftliche Zukunft dar, obwohl oft dynastische oder individualistische Vorstellungen der Stifter hinzukommen.
Die Renaissance der Institution Stiftung ist auch ein Kennzeichen für eine Gesellschaft, in der das, was als "öffentliches Gut" bezeichnet wird, immer weniger auf einem allgemeinen und breit gespannten Konsens beruht. Während z.B. Hochschulausbildung, Forschung oder auch Kultur noch in den achtziger Jahren weitestgehend als "im öffentlichen Interesse stehend" betrachtet und sowohl von den politischen Parteien als auch in der Haushaltspolitik so behandelt wurden, hat sich dies mittlerweile geradezu fundamental geändert. Wo früher politischer Konsens im Angebot und relative Homogenität der Nachfrage vorlagen, finden sich heute höchst unterschiedliche Vorstellungen über die Rolle des Staates in der Bereitstellung und Finanzierung von Gütern und Dienstleistungen. Die Nachfrage ist heterogener geworden, und der Staat sieht sich vor der schwierigen Aufgabe, in Zeiten höchst angespannter Haushalte Partikularinteressen mit öffentlichem Interesse zu verbinden.
In dieser Entwicklung können Stiftungen zwei Grundfunktionen erfüllen: Komplementarität und Innovation. Stiftungen arbeiten komplementär zu staatlichen und privatwirtschaftlichen Institutionen und greifen entweder spezielle Nachfragen auf oder kompensieren anderweitige Unterversorgung. Im Forschungswesen können Stiftungen Prioritäten jenseits der staatlichen Förderungspolitik setzen und Projekte unterstützen, die außerhalb wirtschaftlicher Interessen in der Forschungsförderung liegen. Außerdem können Stiftungen in dem Sinne innovativ wirken, dass sie Projekte und deren Risiken schneller und flexibler aufgreifen können, als dies für Staat und Wirtschaft möglich wäre. Die Unabhängigkeit der Stiftungen von Vorgaben staatlicher Haushaltspolitik einerseits und von Markterwartungen andererseits macht es möglich, dass sie bestimmte Interessen, die zwischen privaten und öffentlichen Belangen angesiedelt sind, aufgreifen und fördern können. Sie tragen so zur Pluralität und institutionellen Vielfalt moderner Gesellschaften bei.
Obwohl die Programme fast aller politischen Parteien Stiftungen begrüßen und als Bausteine der Bürgergesellschaft schätzen, bedeutet dies nicht, dass sie in ihrer Funktion und Arbeitsweise auch von der Bevölkerung allgemein verstanden werden. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass die negative Lesart des Stiftungswesens, die durch die Gegenthesen oben zum Ausdruck gebracht werden sollte, politisch ernst genommen werden sollte. Wie Graf Strachwitz hervorhebt, haben Stiftungen mit einem ambivalenten öffentlichen Meinungsbild zu kämpfen, welches von "Hochburgen des Konservatismus" bis zur "Spielwiese der Reichen" und von "spinnerten" Einrichtungen bis hin zur selbstlosen Abgabe von Privatvermögen für öffentliche Zwecke reicht. 22 Hier sind Stiftungen und ihre Vertreter dazu aufgerufen, durch Öffentlichkeitsarbeit und erhöhte Transparenz zu einem besseren Verständnis von Stiftungen beizutragen.
Nur durch eine verbesserte Informationsbasis und -politik kann auf Dauer das notwendige Verständnis und letztlich das Vertrauen in der Bevölkerung dafür geschaffen werden, der Institution Stiftung wichtige gesellschaftliche Bereiche zu überlassen und ihr Aufgaben zu übertragen, deren Erfüllung weniger einer demokratischen Kontrolle unterliegt, als dies bei staatlichen Maßnahmen der Fall wäre. Stiftungen sind nun einmal keine demokratischen Institutionen; deshalb sind Transparenz und Vertrauen wichtig, um möglichen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Inwieweit in den kommenden Jahren dieses notwendige Grundvertrauen erreicht werden kann, wird für die zukünftige Entwicklung des Stiftungswesens in unserer Gesellschaft entscheidend sein.
Stiftungen sehen sich neuen Herausforderungen gegenüber. Dies betrifft vor allem die erstaunliche Popularität, welche Stiftungen zurzeit quer durch die Parteienlandschaft genießen. Die Politik sieht äußerst wohlwollend auf Stiftungen und erkennt in ihnen einen besonderen Ausdruck bürgerschaftlichen Engagements. Als privater Beitrag zu öffentlichen Aufgaben werden Stiftungen als wesentliches Element einer Gesellschaft gesehen, die in Zukunft weniger auf staatliche Institutionen und mehr auf Selbstorganisation und Privatinitiative ausgelegt sein soll.
Es ist jedoch eine offene Frage, in welchem Maße Stiftungen diesen hohen Erwartungen ohne grundlegende interne und externe Reformen entsprechen können. Diesen Erwartungshorizont thesenartig abzustecken war Ziel dieses Beitrags, wobei das wirklich Erschreckende an den oben dargelegten Thesen nicht unbedingt deren Inhalt sein sollte, sondern unsere Unfähigkeit, die aufgeworfenen Fragen empirisch untermauert und gesichert zu beantworten. So bilden die Hypothesen, bis klare Antworten gegeben werden können, hoffentlich einen Impetus für eine weitergehende Diskussion zur Zukunft des Stiftungswesens in Deutschland und Europa.
1 'Vgl. den
Überblick in Helmut Anheier, Das Stiftungswesen in
Deutschland: Eine Bestandsaufnahme in Zahlen, in: Bertelsmann
Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 20032, S. 43 -
86.'
2 'Bundespräsident Roman Herzog,
Geleitwort. Zur Bedeutung von Stiftungen in unserer Zeit, in:
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Handbuch Stiftungen, Wiesbaden 1998,
S. V.'
3 'Insgesamt gab es vier Ziele:
Vereinfachung der gesetzlichen Regelungen und Verwaltungspraxis;
grundgesetzkonforme und moderne Handhabung der Zulassung und
Aufsicht von Stiftungen; Ermunterung zum Stiften durch bessere
Anreizsysteme; Verbesserung der Rahmenbedingungen für die
Wirtschaftlichkeit der Stiftungsarbeit und den Substanzerhalt von
Stiftungskapital. Siehe dazu: Bertelsmann Stiftung/Maecenata
Institut (Hrsg.), Expertenkommission zur Reform des Stiftungs- und
Gemeinnützigkeitsrechts, Gütersloh 1999 - 2001.'
4 'Rupert Graf Strachwitz beim
Stiftungssymposium im Maecenata Institut am 28.3. 2003 in
Berlin.'
5 'Vgl. Kenneth Prewitt, The Importance
of Foundations in an Open Society, in: Bertelsmann Stiftung
(Hrsg.), The Future of Foundations in an Open Society,
Gütersloh 1999; Helmut K. Anheier, Foundations in Europe: a
comparative perspective, in: Andreas Schlüter/Volker
Then/Peter Walkenhorst (Hrsg.), Foundations in Europe, London 2001;
Helmut K. Anheier/Stefan Toepler, Why Study Foundations?, in: dies.
(Hrsg.), Private Funds, Public Purpose, New York 1999.'
6 'Vgl. Ben Whitaker, The Foundations:
An Anatomy of Philanthropic Societies, New York 1979. Helmut K.
Anheier und Diana Leat haben nachgewiesen, dass kaum ein Bereich
der britischen Gesellschaft mehr von Angehörigen des Adels
belegt ist als das Stiftungswesen. Vgl. dazu dies., From Charity to
Creativity. Philanthropic foundations in the 21st century.
Perspectives from Britain and beyond, Stroud 2002.'
7 'Vgl. Kenneth E. Boulding, Towards a
Pure Theory of Foundations, Danbury 1972; Teresa Odendahl, Charity
Begins at Home: Generosity and Self Interest Among the
Philanthropic Elite, New York 1990; K. Prewitt (Anm. 5); H. K.
Anheier (Anm. 5); ders./S. Toepler (Hrsg.) (Anm. 5).'
8 'Für Deutschland liegen keine
empirischen Daten vor. Vgl. Paul N. Ylvisaker, Foundations and
Nonprofit Organisations, in: Walter W. Powell (Hrsg.), The
Nonprofit Sector: A Research Handbook, New Haven-London 1987;
Teresa Odendahl (Hrsg.), America`s Wealthy and the Future of
Foundations, New York 1987; Susan A. Ostrander/Paul G. Schervish,
Giving and Getting: Philanthropy as a Social Relation, in: Jon Van
Til u.a. (Hrsg.), Critical Issues in American Philanthropy:
Strengthening Theory and Practice, San Francisco 1990; Francie
Ostrower, Why the Wealthy Give: The Culture of Elite Philanthropy,
Princeton 1995.'
9 'Vgl. T. Odendahl (Anm. 7); Steven
Burkeman, An Unsatisfactory Company? The 1999 Allen Lane Lecture,
London 1999; B. Whitaker (Anm. 6); ders., The Philanthropoids, New
York 1974.'
10 'Vgl. z.B. Kevin M. Brown/Susan
Kenny/Bryan S. Turner zus. mit John K. Prince, Rhetorics of Welfare
Uncertainty: Choice and Voluntary Associations, Basingstoke 2000;
H. K. Anheier (Anm. 5); Kjell Herberts, Finland, in: A.
Schluter/V.Then/P. Walkenhorst (Anm. 5).'
11 'So erwartet man bereits neue
Anhörungen im Senat für das kommende Jahr. Vgl. Barry D.
Karl/Stanley N. Katz, The American Private Philanthropic
Foundations and the Public Sphere, 1980-1930, in: Minerva, (1981)
19, S. 236 - 270; Waldemar Nielsen, The Big Foundations, New York
1972; ders., The Endangered Sector, New York 1979; ders., The
Golden Donors, New York 1985; ders., Inside American Philanthropy:
The Dramas of Donorship, Norman 1996; J. Douglas/Aaron Wildavsky,
Big Government and the Private Foundations, in: Policy Studies
Journal, (1980/81) 9, S. 1175 - 1190; T.Odendahl (Anm. 7); Robert
O. Bothwell, Trends in Self-Regulation and Transparency of
Nonprofits in the US, in: The International Journal of
Not-for-Profit Law, 4 (2001) 1. Ein guter Überblick zu
aktuellen Kritikpunkten findet sich in: Foundation News and
Commentary, (1998) Mai/Juni.'
12 'Vgl. Peterson Commission,
Foundations, Private Giving and Public Policy: Recommendations of
the Commission on Foundations and Private Philanthropy,
Chicago-London 1970; John G. Simon, The Regulation of American
Foundations: Looking Backward at the Tax Reform Act of 1969, in:
Voluntas, 7 (1996) 3, S. 243 - 254; Thomas A. Troyer, The 1969
Private Foundation Law: Historical Perspectives on Its Origins and
Underpinnings, Washington, D.C. 2000.'
13 'Vgl. K. Prewitt (Anm. 5), S.
2.'
14 'Vgl. Helmut K. Anheier/Stefan
Toepler, Philanthropic Foundations: An International Perspective,
in: dies. (Hrsg.) (Anm. 5), S. 4.'
15 'Vgl. Michael E. Porter/Mark R.
Kramer, Philanthropy`s New Agenda: Creating Value, in: Harvard
Business Review, (1999) November/Dezember, S. 121 - 130.'
16 'In den USA ist eine
Mindestauszahlungsquote von fünf Prozent des
Stiftungsvermögens verpflichtend. In Deutschland gibt es keine
solche Quote. Vgl. Helmut K. Anheier/Frank P. Romo, Foundations in
Germany and the United States, in: H. K. Anheier/S. Toepler (Anm.
5), S. 89 - 90.'
17 'Vgl. M. E. Porter/M. R. Kramer
(Anm. 15).'
18 'Das Interview wurde geführt
von Foundation Watch, (1997) 1/2.'
19 'Eine Zusammenfassung findet sich
bei Dennis P. McIlnay, How Foundations Work, San Francisco
1998.'
20 'Ebd., S. 101'
21 'Brigid McMenamin, Trojan Horse
Money, in: Forbes vom 16.12. 1996, S. 123.'
22 'Zit. nach Elisabeth Brummer
(Hrsg.), Statistiken zum Deutschen Stiftungswesen, München
1996, S. 3.'