Die Vorstellungen von und die Wahrnehmung der Zeit haben sich in einem langen geschichtlichen Prozess entwickelt. Der Umgang mit ihr ist das Ergebnis des jeweils herrschenden gesellschaftlichen Zeitempfindens, das sich aus der kulturellen Überformung vergangener Zeitbedeutungen speist. In welcher Weise eine Gesellschaft die Zeit zum Gegenstand ihrer Organisation macht, beeinflusst auch den individuellen und sozialen Umgang mit ihr. Die gesellschaftlichen Probleme des aktuellen Zeitstrukturwandels sind offenkundig: Flexibilisierungen der Arbeits- und Betriebszeiten haben zu sozialer Desynchronisation geführt, etwa mit der Folge, dass sich Fahrgemeinschaften auflösen, der Energieverbrauch in privaten Haushalten durch unterschiedliche Aktivitätszeiten ansteigt und es zu einem Verlust an Kontinuität und Stabilität in den zwischenmenschlichen Beziehungen kommt, deutlich zu erkennen an den steigenden Scheidungsraten.
Inwieweit Zeitstrukturen die soziale Existenz und die Gesundheit beeinträchtigen, hat Jürgen Rinderspacher untersucht. 1 Er ist zum Ergebnis gekommen, dass die zeitliche Normierung von Tätigkeiten und Bedürfnissen unter der Bedingung beschleunigter Handlungen und Prozesse im Widerspruch zum biologisch-sozialen Rhythmus der Personen stehen kann. Dieser Widerspruch stelle eine permanente Belastung dar, die pathogene Züge trage.
Wie wirkt sich nun die aktuelle Zeitstrukturierung unserer Gesellschaft aus, gibt es Unterschiede in der Zeitbedeutung und der Zeitwahrnehmung zwischen den Geschlechtern, und hat sich die sozialstrukturelle Ungleichheit zwischen Mann und Frau gewandelt?
Dies waren die zentralen Fragen einer Bevölkerungsbefragung (n = 150) des Gesundheitsamtes des Stadtverbandes Saarbrücken im März 2002 anlässlich des Gesundheitstages "Zeit(t)räume". Sie erfolgte anonym mittels eines standardisierten Fragebogens. Im vorliegenden Beitrag sollen die wichtigsten Ergebnisse referiert werden.
Die Zeit als metaphysischer Bedeutungsgehalt, die individuellen Einstellungen und Haltungen zu ihr als nicht fasslichem Realitätskonstrukt standen im Blickpunkt der Frage "Was bedeutet Zeit für Sie?". Dabei wurde zwischen folgenden Haltungen differenziert: hohe Wertschätzung der Zeit, aktive Einstellung, passive, materielle, rationale und depressive Haltungen.
Mehr als ein Drittel aller Befragten gab an, eine hohe Wertschätzung von der Zeit zu haben. Unterteilt nach Geschlechtergruppen war dies beinahe jede dritte (2,8) Frau und mehr als jeder dritte (3,4) Mann, d.h., Frauen maßen der Zeit als solche mehr Bedeutung zu als Männer.
Ein Drittel der Befragten äußerte, eine aktive Einstellung zur Zeit zu besitzen; Zeit wurde mit etwas Lebendigem, Selbstbestimmtem, Gestaltbarem assoziiert, wobei die geschlechtsspezifische Abweichung hier nur gering war. Der Umgang mit der Zeit scheint für Frauen und Männer eine gleichwertige Bedeutung zu haben. Der metaphysische Bedeutungsgehalt der Zeit hat danach keine Auswirkungen auf die direkte Umsetzung in der Eigenzeit. 2 Das bedeutet, dass die Sinnhaftigkeit der Zeit als solche bzw. ihre Seinserfahrung unabhängig von der eigenen zeitlichen Orientierung ist.
11 Prozent sowohl der Frauen als auch der Männer nahmen eine eher passive Haltung zur Zeit ein. Jeder Zehnte akzeptierte danach Zeitabläufe in ihrer aktuellen Erfahrbarkeit und wertete sie als eine Determinante im Lebenslauf, als etwas Schicksalhaftes. Das aktuelle gesellschaftliche Zeitregime spiegelte sich direkt in der Werthaltung wider, d.h., hier manifestierte sich die Haltung, dass die Person selbst nicht agiert, nur reagieren kann.
Einstellungen, die einen materiellen Gegenwert zum Bezugspunkt Zeit haben wie z.B. "Geld" oder "Vermögenswert", wurden als materielle Haltung gewertet. Danach äußerten 10 Prozent der Befragten eine eher materielle Haltung, wobei es hier deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern gab. Nur jede vierzehnte Frau, aber jeder sechste Mann gewann der Zeit eine materielle Bedeutung ab. Einerseits spiegelte sich hier auch die unterschiedliche metaphysische Beziehung zur Zeit wider: Zeit wird von Frauen weniger mit einem Nutzeffekt in Beziehung gebracht. Andererseits wirkte sich die Rollenverteilung deutlich aus: Männer sahen in der Zeit eher einen geldwerten Vorteil, was der Rolle des Ehemannes und Vaters als Ernährer der Familie entspricht. Die Losung "Zeit ist Geld" ist danach eine männliche Konnotation.
3 Prozent der Befragten zeigten eine rationale Haltung zur Zeit. Das äußerte sich in Einstellungen wie "Uhrzeit", "Pünktlichkeit" oder "Maßeinheit", wobei diese Angaben nur von Frauen gemacht wurden. Der sorgfältige Umgang mit der Uhrzeit und Pünktlichkeit ist folglich eher eine Frauendomäne. Angesichts der Tatsache, dass nach den Sozialindikatoren der Befragten 76 Prozent der verheirateten berufstätigen Frauen auch Kinder versorgen und daher ein hohes Maß an Organisationstalent aufbringen müssen, um den Alltag zu regeln, ist dies nicht verwunderlich. Es erklärt jedoch nicht den Unterschied in der Konnotation hinsichtlich der materiellen Einstellung: Wenn Zeit Geld ist, bedarf es hierzu auch des sorgfältigsten Umgangs mit ihr.
Die Kategorie depressive Haltung beinhaltet Einstellungen, die über eine distanzierte Subjekt-Objekt-Beziehung hinausgehen. Sie negieren positive Eigenschaften der Zeit unabhängig von ihrer Quantität bzw. Verfügbarkeit und reagieren mit Rückzugstendenzen. Hierunter wurden Einstellungen wie "Langeweile", "sollte man haben", "Vergänglichkeit" oder "mehr als ich brauche" gezählt. Eine eher depressive Haltung nahmen insgesamt sechs Prozent aller Befragten ein, wobei dies geringfügig mehr männliche als weibliche Personen angaben.
Insgesamt betrachtet äußerten zwei Drittel der Befragten eine positive Einstellung zur Zeit. Die größte Abweichung bei den Geschlechtern betraf die materielle und rationale Einstellung und die Wertepräferenz insgesamt. Danach nehmen Frauen die Zeit intensiver wahr und gestalten sie bewusster. Männer hingegen werten Zeit eher als Produktionsgröße. Die Wahrnehmung der Zeit als etwas Metaphysisches scheint bei Männern weniger intensiv ausgeprägt zu sein als bei Frauen (vgl. Abbildung 1).
Die persönliche Zeitwahrnehmung hängt mit der individuellen Eigenzeit eines jeden Menschen zusammen. Ob jemand empfindet, zu viel oder zu wenig Zeit zu haben, misst sich daran, ob er die Dinge, die für ihn Bedeutung haben, in seinem Alltag verwirklichen bzw. ob er die Zeit, die er zur Verfügung hat, mit sinnvollen Dingen ausfüllen kann. Was dabei als sinnvoll verstanden wird, hängt von den individuellen Wertepräferenzen ab.
Über Zeitmangel klagten 37,6 Prozent der weiblichen und 44,4 Prozent der männlichen Befragten. Lediglich 8 Prozent hatten weder zuviel noch zu wenig Zeit, wobei es sich hier ausschließlich um weibliche Personen handelte. Unterteilt nach Alterstruktur klagte ein Viertel der 40- bis 49jährigen weiblichen Befragten über Zeitnot, gefolgt von jeweils 18 Prozent der 50- bis 59-Jährigen und 30- bis 39-Jährigen. Die Altersgruppe der 30 bis 50-Jährigen war am stärksten vertreten. Bei den männlichen Befragten klagte ein Drittel der 40- bis 49-Jährigen, jeweils ein Viertel der 30- bis 39-Jährigen und 50- bis 59-Jährigen über Zeitnot. In der Gruppe der 40- bis 49-Jährigen waren mehr Männer als Frauen zu finden. Insgesamt gaben 37 Prozent aller Befragten Zeitmangel an. Unterteilt nach Geschlecht standen demnach doppelt soviel Männer wie Frauen unter großem Zeitdruck. Unter sehr großem Zeitdruck litten Frauen viermal so häufig wie Männer.
Betrachtet man die Gesamtgruppe der Befragten, so gaben 51 Prozent Zeitwohlstand, 38 Prozent Zeitnot und 8 Prozent ein ausgeglichenes Zeitverhältnis an. Bezogen auf die Geschlechtergruppe hatten 37,6 Prozent der Frauen und 44,4 Prozent der Männer Probleme mit der Zeiteinteilung. Die Hälfte der Befragten war mit der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit zufrieden. Für sie ist Zeit kein Stressfaktor. Jeder Dritte jedoch hatte Schwierigkeiten, mit der ihm zur Verfügung stehenden Zeit auszukommen. 84 Prozent der zeitgestressten Personen erlebten dabei einen mittleren bis sehr hohen Zeitdruck, was bedeutet, dass Probleme mit der Zeit meist massiv auftreten, wenn sie vorhanden sind. Immerhin verspürten 22 Prozent der Gesamtgruppe einen großen bis sehr großen Zeitdruck. Jeder Fünfte läuft danach Gefahr, seine Gesundheit durch den Stressfaktor Zeit zu beeinträchtigen.
Die Frage nach dem Zeitdruck sollte Auskunft über die Bewältigungsformen einer Situation geben. Es ging insbesondere darum, einerseits die Wirkungen von Zeitenge als Stressfaktor mit krankmachenden Auswirkungen und andererseits auch kreative Lösungen herauszuarbeiten.
Die Wertungen wurden in zwei Kategorien angeboten: Reaktion auf Zeitdruck in Form von Disstress mit psychosomatischen Symptomen und in Form von Eustress mit Kreativität und Konstruktivität. Es waren Mehrfachwertungen möglich.
Unruhe und Nervosität waren die häufigsten Anzeichen bei Zeitdruck, und zwar sowohl in der Häufigkeitsverteilung aller psychosomatischen Reaktionen mit 46 Prozent als auch in den Geschlechtergruppen mit 85 Prozent (w) bzw. 83 Prozent (m) (vgl. Symptomliste Tabelle 1). Aggression war die zweithäufigste Reaktion mit 19 Prozent aller Symptome. Auch in den Geschlechtergruppen reagierte jeweils ein Drittel der Befragten dann aggressiv, wenn die Zeit knapp wurde. An dritter Stelle wurden sowohl Magenschmerzen als auch Herzklopfen mit jeweils 11 Prozent als Symptom genannt. In den Geschlechtergruppen traten hier jedoch deutliche Abweichungen auf. 26 Prozent der Männer gaben Magenschmerzen als dritthäufigste Reaktion an, d.h. jedem Vierten schlug der Stressfaktor Zeit auf den Magen. Bei den Frauen rangierte an dritter Stelle mit 23 Prozent jedoch Herzklopfen. Zählt man den Schwindel und Kopfschmerzen als vegetative Reaktionen hinzu, waren dies 46 Prozent. Dies bedeutet, dass Zeitdruck bei fast der Hälfte der Frauen das Herz-Kreislauf-System belastete, was auch der Mortalitätsrate der Frauen an akuten Myokardinfarkten entspricht. 3 Das bedeutet, dass Frauen bei Dauerstress eher körperlich erkranken können als Männer. Bezogen auf die Gesamtgruppe wurde mindestens jeder Zweite nervös, jeder Vierte aggressiv, und jeder Siebte bekam Herzklopfen oder Magenschmerzen.
Während Disstress von vier Prozent mehr Frauen als Männern angegeben wurde, gaben Eustress sieben Prozent mehr Männer als Frauen an. Männer können danach eher produktiv mit Stresssituationen umgehen als Frauen bzw. Frauen reagieren intensiver auf den Stressfaktor Zeit. Zwei Drittel der Befragten reagierten sowohl mit Di- als auch mit Eustress auf Zeitdruck.
Die häufigste Wertung sowohl in der Häufigkeitsverteilung aller produktiven Reaktionen bei Zeitdruck (28 Prozent; vgl. Tabelle 2) als auch in den Geschlechtergruppen war die Konzentration auf das Wesentliche, und zwar bei Männern mit 42 Prozent, bei Frauen jedoch mit 57 Prozent. Frauen reagierten danach eher rational auf Zeitdruck. Diese Aussage korreliert mit der Wertepräferenz der Zeiteinschätzung, bedeutet jedoch auch, dass psychosomatische Reaktionen und Bewältigungsmuster sich nicht entsprechen müssen bzw. rationale Reaktionen auf der Verhaltensebene somatische Reaktionen nicht unbedingt verhindern. Denn obwohl fast die Hälfte der Frauen vegetative Reaktionen auf Zeitdruck zeigte, gaben mehr als die Hälfte an, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Fast jeder zweite Mann reagierte unter Zeitnot rational, jeder dritte sah darin eine Herausforderung, die seine Gesundheit nicht beeinträchtigt. Mindestens jede zweite Frau reagierte unter Zeitnot rational, jede vierte spürte einen Energiezuwachs, war daran gewöhnt und suchte soziale Lösungen. Bezogen auf die Gesamtgruppe (n = 150) gingen fast zwei Drittel der Befragten produktiv mit Zeitdruck um. Mindestens jeder Dritte konzentrierte sich auf das Wesentliche (vgl. Tabelle 2).
Die Beschleunigungsgesellschaft ist unschwer an den Maximen ihrer Ökonomie auszumachen. Mobilität, Flexibilität und ständige Erreichbarkeit kennzeichnen erfolgreiche Arbeitnehmer mit Karrierechancen. Was bedeutet dies im Alltag?
Das aktuelle Zeitregime war bereits Gegenstand verschiedener Untersuchungen. Nach Claus Offe und Rolf G. Heinze nimmt der Beruf einschließlich Wegezeiten täglich 9,75 Stunden in Anspruch. 4 9,3 Stunden des Tages werden den reproduktiven Bedürfnissen wie Essen, Körperpflege, Hausarbeit und Schlafen gewidmet. Von den 24 Stunden eines Werktages verbleiben nach einer Studie von Horst W. Opaschowski noch vier Stunden frei verfügbare Zeit, die allerdings zusammenhängend nur an Wochenenden oder zu Urlaubszeiten zur Verfügung stehen. 5
Die Frage "Wie viele Stunden bringen Sie auf für den Beruf, die Familie, Partnerschaft, Hausarbeit, Hobby und sich selbst?" war eine Frage nach dem aktuell praktizierten Zeitregime und sollte eine Aufschlüsselung ermöglichen bzw. einen Vergleich herstellen zwischen dem gelebten Zeitregime und den bereits untersuchten.
Außerdem sollte überprüft werden, ob sich bei Aufteilung der Geschlechtsrollen Veränderungen aufzeigen lassen. Die Frage nach der Stundenzeiteinteilung enthielt eine Kategorisierung in Hausarbeit, Beruf, Familie/Kinder, Partnerschaft, Hobby und Zeit für sich selbst. Bezogen auf die Gesamtgruppe wurden 28 Prozent der Tagesstunden für die Familie und die Kinder, 22 Prozent für den Beruf, 18 Prozent für die Hausarbeit, 12 Prozent für den Lebenspartner und jeweils 10 Prozent für das Hobby und sich selbst aufgebracht.
Betrachtet man die Geschlechtergruppen getrennt, brachten Männer 33 Prozent der Tagesstunden für den Beruf, 16 Prozent für die Partnerschaft, 15 für die Familie und die Kinder, 14 für das Hobby, 13 für die Hausarbeit und 9 Prozent für sich selbst auf. 7,3 Stunden verblieben täglich für den Schlaf. Frauen brachten 31 Prozent der Tagesstunden für die Familie und die Kinder auf, jeweils 19 für die Hausarbeit und den Beruf, jeweils 11 für den Partner und sich selbst und 9 Prozent für ihr Hobby. Ihnen verblieben 7,9 Stunden für den Schlaf (vgl. Abbildung 2).
Die Familienarbeit nahm Frauen täglich doppelt so lang in Anspruch wie Männer. Die Aufteilung der Hausarbeit scheint sich jedoch allmählich zu verändern. Nach der Umfrage des Gesundheitsamtes benötigten Frauen hierfür 2,4 Stunden der Tageszeit, Männer setzten 1,7 Stunden dafür ein. Die ganztägige Berufstätigkeit ist immer noch anmännlichen Arbeitnehmern orientiert. Ohne Wegezeiten lag die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit bei 8 Stunden, womit sie etwas über den gültigen Tarifverträgen liegt. Das größte Zeitpotenzial setzte die männliche Personengruppe für den Beruf mit 33 Prozent der Stunden ein. Bei Frauen war dies die Familienarbeit mit 31 Prozent. Sie brachten genauso viel Zeit für die Hausarbeit auf wie für den Beruf. Die Familienarbeit machte bei ihnen jedoch ein Drittel der gesamten Tageszeit aus, d.h. 12 Prozent mehr als beispielsweise für den Beruf oder die Hausarbeit. Damit wurden die sozialen Ungleichheitspotenziale durch die strukturell vorgegebenen gesellschaftlichen Bedingungen bestätigt, was bedeutet, dass sich an den traditionellen Geschlechterrollen nicht viel geändert hat.
Deutliche Unterschiede bestanden auch bei der Pflege der Partnerschaft. Männer brachten für ihre Partnerinnen genauso viel Zeit auf wie für die Kinder, Frauen hingegen setzen für die Kinder dreimal so viel Zeit ein wie für die Partnerschaft. Sie investierten außerdem für ihren Partner und sich selbst gleich viel Zeit. Männer nahmen für sich selbst das geringste Zeitpotenzial in Anspruch. Bei den Hobbies konnten sie wiederum 5Prozent mehr an Tageszeit investieren als Frauen. Während sich bei der Übernahme von Hausarbeitspflichten langsam eine Angleichung vollzieht, scheint die Beziehungsarbeit immer noch eine weibliche Domäne zu sein. Die berufliche Arbeitszeit von Frauen verteilte sich durchschnittlich auf sechs Stunden, was bedeutet, dass Teilzeitarbeit bevorzugt wird.
Im Vergleich zu den Ergebnissen von Offe und Heinze ergaben sich damit in der Untersuchung des Gesundheitsamtes des Stadtverbandes Saarbrücken mehr oder weniger deutliche Verschiebungen. Der Anteil an reproduktiver Arbeit betrug in der untersuchten Gesamtgruppe 13,2 Stunden (Hausarbeit, Familie/Kinder und Schlaf), d.h. 3,9 Stunden mehr als bei Offe und Heinze. Nach Geschlechtergruppen differenziert betrug diese Zeit beim weiblichen Personenkreis 14,1 Stunden und im männlichen 11 Stunden. Die frei verfügbare Zeit, die laut Opaschowski durchschnittlich 4 Stunden beträgt, wurde mit 4,1 bestätigt. Jedoch traten auch hier deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtergruppen auf. Frauen verblieben nach dieser Umfrage 3,7 Stunden, Männern hingegen 5 Stunden Zeit.
Insgesamt kann gesagt werden, dass Frauen mehr Schlaf benötigen als Männer, dass Familienarbeit immer noch zunächst einmal Frauensache ist, dass berufstätige Frauen in der Regel teilzeitbeschäftigt sind und dass Männer für die partnerschaftliche Beziehung mehr Zeit investieren als Frauen.
Kommunikation ist die Basis jedweder zwischenmenschlichen Beziehung. Wie viel Zeit nehmen sich die Menschen heute füreinander, reicht die Zeit aus, um über alltägliche Dinge hinaus füreinander da sein zu können, oder stimmt der Eindruck von der "Pinnbrettfamilie", in der sich die einzelnen Familienmitglieder per Zettelbotschaften am Pinnbrett in der Küche verständigen? Die zentrale Fragestellung war hier die Kommunikationshäufigkeit. Die Kategorisierung erfolgte nach Familienmitgliedern. Sie sollte aufzeigen, ob Ehepartner noch genügend Zeit für sich als Paar aufbringen können, wie Elternschaft sich heute im gemeinsamen Gespräch niederschlägt und ob Verwandtschaft mehr ist als die bloße Zugehörigkeit zu einer Abstammungslinie (vgl. Abbildung 3).
Ingesamt verteilte sich die Kommunikationszeit auf die Kategorien wie folgt: Partnerschaft 34 Prozent, Kinder 13 Prozent, Eltern 9 Prozent, Verwandte 8 Prozent, Freunde 18 Prozent, Bekannte 10 Prozent und Geschwister 8 Prozent. Betrachtet man die Kategorien nach sozialen Gruppen, wurde in der Kernfamilie insgesamt pro Tag 2,2 Stunden miteinander kommuniziert, mit der Groß- bzw. Herkunftsfamilie 1,2 und mit dem Freundes- und Bekanntenkreis 1,4 Stunden. Das bedeutet, dass die Struktur der Großfamilie weithin nicht mehr existiert und soziale Beziehungen im sozialen Umfeld als gleichwertig zu betrachten sind bzw. dass das Gespräch mit dem Nachbarn, der Freundin, dem Kegelbruder, dem Fußballfreund etc. genauso viel bedeutet wie das Gespräch mit der Verwandtschaft. Die Kernfamilie bildet den Mittelpunkt des persönlichen Austauschs. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern lagen in einer generell deutlich höheren Kommunikationshäufigkeit bei Frauen. Ihre Kommunikationszeit betrug insgesamt 5,1 Stunden, bei den Männern waren es nur 3,84 Stunden täglich. Väter sprachen mit ihren Kindern 20 Minuten täglich, Mütter 48 Minuten. Deutliche Unterschiede bestanden auch im Beziehungsgeflecht zur Großfamilie. Männer redeten mit ihren Eltern, Onkeln, Tanten und Geschwistern insgesamt 26 Minuten am Tag, wobei die Gesprächshäufigkeit mit Geschwistern nur wöchentlich eine sinnvolle Quantität ergab, nämlich 1,1 Stunden. Für den Freundes- und Bekanntenkreis wendeten Frauen genauso viel Zeit auf wie für die Verwandtschaft, nämlich 1,4 Stunden. Dies bedeutet auch, dass die Pflege der Beziehungen in der Großfamilie von den Frauen abhängt. Frauen verfügen danach über eine bessere Kommunikationsfähigkeit als Männer. Sie reden doppelt so lange mit ihren Kindern und dreimal so häufig mit der Verwandtschaft wie ihre Ehepartner. Auch wenn sich die Beschäftigung der Frauen deutlich zugunsten der Berufstätigkeit neben der Familienarbeit verschoben hat, bleiben hier die traditionellen Rollen erhalten.
Trotz des rasanten Wandels der gesellschaftlichen Strukturen bleibt die traditionelle Rollenverteilung der Geschlechter aufgrund der sozialstrukturellen Ungleichheitspotenziale erhalten. Der sich daraus ergebende Zeitdruck führt bei Frauen schneller zu Erkrankungen, messbar an der Zunahme akuter Myokardinfarkte.
1 'Vgl.
Jürgen Rinderspacher, Gesellschaft ohne Zeit. Individuelle
Zeitverwendung und soziale Organisation der Arbeit, Frankfurt/M.
1985.'
2 'Vgl. Helga Nowotny, Eigenzeit.
Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls,
Frankfurt/M.-New York 1993.'
3 '57 Prozent der Todesursachen im
Saarland waren 1999 Herz-Kreislauf-Erkrankungen, davon starben 14
Prozent an einem akuten Myokardinfarkt, 45 Prozent davon waren
Frauen. Vgl. Statistisches Landesamt Saarland, Statistisches
Jahrbuch des Saarlandes, Saarbrücken 2000, S. 20ff.'
4 'Vgl. Claus Offe/Rolf G. Heinze,
Organisierte Eigenarbeit. Das Modell Kooperationsring,
Frankfurt/M.-New York 1990.'
5 'Vgl. Horst W. Opaschowski,
Freizeitökonomie: Marketing von Erlebniswelten, Opladen
1995.'