Der Schengenraum umfasst 15 Länder. 13 davon (Belgien, Deutschland, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Holland, Italien, Luxemburg, Österreich, Portugal, Spanien und Schweden) gehören zur EU. Zwei (Norwegen und Island) nicht. Zwölf Länder sind Mitglieder der EU, aber nicht voll integriert in Schengen. Verwirrend?
Schengen und EU stellen zwei unterschiedliche, aber sich teilweise überlappende Räume dar. Das schafft Probleme, wie schon die Entstehungsgeschichte des Abkommens zeigt. 1985 beschlossen zunächst nur Frankreich, Deutschland, Belgien, Luxemburg und die Niederlande, das Übereinkommen zu unterzeichnen. Die Staaten hatten sich geeinigt, untereinander einen Raum ohne Grenzen zu schaffen - den so genannten Schengenraum - benannt nach der Luxemburgischen Stadt, in der das Übereinkommen zu Stande kam. Die Idee, die EU solle ein Raum sein, in dem Freizügigkeit herrsche und in dem es keine trennenden Grenzen mehr gäbe, teilten zwar auch die anderen EU-Länder. Aber sie konnten sich noch nicht darauf einigen, wie sie dies umsetzen wollten.
Die Kritiker von Schengen wollten am Prinzip der Grenzkontrollen zwischen den Staaten festhalten. Freizügigkeit sollte nur den Bürgern aus der Europäischen Gemeinschaft gewährt werden; jene aus Drittländern wollten sie nach wie vor bei Überschreitung der Grenze kontrollieren. Die Entscheidung, welche Staatsbürger für welches Land ein Visum benötigen, wäre so eine nationale Angelegenheit geblieben mit dem Ergebnis, dass Reisende aus Nicht-EU-Ländern unter Umständen für jedes Land ein neues Dokument hätten beantragen müssen. Schengen dagegen gewährt auch Bürgern aus Drittländern eine gewisse Freizügigkeit innerhalb seiner Grenzen.
Wer einmal die Einlasspforte, die so genannte Schengen-Außengrenze, überschritten hat, darf innerhalb des Raumes unbehelligt reisen. Für Kurzaufenthalte gibt es nur noch ein gemeinsames Visum. Die Außengrenzen werden verstärkt, die Einreisekontrolle vereinheitlicht, und das heißt: alle Grenzstationen von Schengen fertigen den Reiseverkehr nach identischen Vorschriften ab, Visa- und Asylverfahren sind gleich. Grenzkontrollen im Inneren des Raumes fallen weg.
Da sich nicht alle EU-Länder zu einem so radikalen Wandel entschließen konnten, beschlossen nur fünf von ihnen die Umsetzung der Maßnahmen. Um Freiheit und Sicherheit miteinander in Einklang zu bringen, wurden darüber hinaus die so genannten Ausgleichsmaßnahmen eingeführt: Die Unterzeichnerstaaten von Schengen vereinbarten die Zusammenarbeit ihrer Polizei-, Zoll- und Justizbehörden und den Austausch von personenbezogenen und anderen geheimdienstlich oder polizeilich relevanten Daten über das gemeinsame Informationssystem SIS.
Die Außengrenze von Schengen sollte ein Bollwerk gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität, Drogenhandel und illegale Einwanderung werden. Doch dadurch drohte innerhalb der EU, dort, wo man eigentlich keine Grenzen mehr haben wollte, eine neue Grenze zu entstehen, die stärker war als alle anderen zuvor. Wie wollte man den Übergang von der EU zu Schengen regeln? Wie sollte man innerhalb der EU gemeinsam Terrorismus bekämpfen, wenn einige der Staaten Informationen aus dem gemeinsamen System erhalten konnten und andere nicht? Nach und nach entschlossen sich auch die meisten anderen Mitgliedsländer, dem Abkommen beizutreten: 1990 Italien, 1991 Spanien und Portugal, 1992 Griechenland, 1995 Österreich, 1996 Dänemark, Finnland und Schweden. England und Irland gehören zwar bis heute offiziell nicht zum Schengen-Raum, haben sich aber entschlossen, an einigen Aspekten der Zusammenarbeit teilzunehmen, zum Beispiel am Schengener Informationssystem oder der Kooperation in Strafsachen und bei der Drogenbekämpfung.
Durch den Beitritt von Dänemark, Finnland und Schweden entstand übergangsweise ein neues Problem. Die drei nordischen Länder gehörten gemeinsam mit Island und Norwegen zur Nordischen Passunion. Die fünf Staaten hatten ähnlich wie die Schengen-Staaten die Kontrollen an ihren gemeinsamen Grenzen aufgehoben. Was nun? Sollte man die nordische Union einfach schlucken, also die beiden Nicht-EU-Staaten Island und Norwegen als gleichberechtigte Mitglieder innerhalb Schengens integrieren? Oder wollte man das Bündnis spalten, indem man die Schengen-Außengrenze zwischen die fünf Staaten legte? Ein Assoziierungsabkommen mit Island und Norwegen löste das Problem bis 2001, als die beiden Staaten als einzige Nicht-EU-Mitglieder Teil des Raumes wurden. Zuvor war Schengen mit dem Amsterdamer Vertrag in den Rahmen der EU integriert worden.
Der Beitritt der zehn neuen EU-Länder bringt das Miteinander der ineinander geschachtelten Räume nun wieder in Bewegung. Die neuen Mitglieder gehören noch nicht zu Schengen. Doch um dem Prinzip der Freizügigkeit treu zu bleiben und überall ein gleichhohes Niveau innerer Sicherheit zu garantieren, hat die EU ihre neuen Mitglieder bereits im Beitrittsvertrag dazu verpflichtet, das Schengen-Abkommen so schnell wie möglich umzusetzen. Wann die EU-Außengrenzen erstmals deckungsgleich mit denen von Schengen sein werden, will niemand voraussagen.
Vor 2006 werden die internen Grenzen nicht fallen, vermuten die Verantwortlichen, denn damit sind für die neuen Länder noch schwierige Reformen verbunden. Die Polizei-, Zoll und Justizbehörden müssen in das bestehende Informationssystem integriert werden. Dazu brauchen sie neue Computer, neue Datenverarbeitungsprogramme und manchmal sogar neue Mitarbeiter. Einige der altgedienten Beamte schaffen es trotz der EU-gesponserten Ausbildungsprogramme nicht, offener als bisher mit Informationen umzugehen. Ähnlich sieht es bei den Grenzkontrollen aus, vor allem beim Schutz vor illegaler Einwanderung. Die alten Geräte taugen nicht, um den erwarteten Ansturm von Flüchtlingen aufzuhalten. Für neues Gerät fehlt das Geld. Und die wenigen Beamten sind ein Problem für sich. Ungarn etwa bezahlt seine Grenzer schlecht. Korruption ist eine Folge.
Schengen nicht oder erst spät beizutreten können sich die neuen Mitglieder aber umgekehrt noch weniger leisten. Denn dadurch würden sie nicht nur an politischer Macht und Ansehen innerhalb der Union verlieren. Sie müssten dann auch für den Schutz ihrer Grenzen allein sorgen. Drogendealer, Menschenhändler und Terroristen könnten die schwächer geschützten Randbereiche der EU nutzen, um von dort aus, ihre Aktionen zu planen. Barbara Minderjahn Die Autorin ist freie Journalistin in Köln.