Mehr Spielzeugfabriken bauen!" "Tarifverhandlungen für Taschengeld einführen!" "Schulpflicht abschaffen!" Für kurze Zeit haben Kinder im Familienministerium das Kommando übernommen. Sie sind am vorletzten Augustwochenende der alljährlichen "Einladung zum Staatsbesuch" gefolgt, in dessen Rahmen die Türen der Bundesministerien in Berlin für alle Bürger offen stehen. Am Alexanderplatz, im ehemaligen Gebäude der Treuhandanstalt, tummeln sich ein gutes Dutzend Jungen und Mädchen im erst vor kurzem bezogenen, schlichten Büro der Ministerin. Vom Chefsessel aus sollen die "Nachwuchspolitiker" jetzt verkünden, was sie als Erstes tun würden, wenn sie denn das Sagen im Staate hätten.
Die Kameras blitzen, die Eltern schmunzeln, der Mitarbeitertross lächelt etwas verkrampft und Familienministerin Renate Schmidt (SPD) hat sichtlich Spaß daran, die kindlichen Wünsche in die komplizierte Welt des politischen Tagesgeschäfts zu übertragen. Das bedeutet vor allem: möglichst geschickt die vielen großen Erwartungen zurechtzustutzen. Schließlich stößt man überall auf die Grenzen des Machbaren.
Tarifverhandlungen, kommentiert sie fröhlich, die seien nicht Sache der Regierung. "Da müsst Ihr schon eine Gewerkschaft gründen und auf die Organisation der Eltern zugehen." Keine Schulpflicht? Nun, das regeln die Länder. Außerdem ein chancenloses Unterfangen, denn Lernen ist doch wichtig! Siehe die Kinder in Afrika, die nicht mehr so arm wären, wenn sie in die Schule gehen könnten. Mehr Straßen? Die schaden doch der Umwelt. Stimmt, pflichtet ein Junge der Frau Ministerin vorlaut bei: "Wo sollen die auch alle hinführen?"
Übertönt von den Lachern der Großen, läuft so manche Hoffnung der kleinen Leute unerwartet und rasch ins Leere. "Schweinerei", beklagt etwa der achtjährige Emanuel aus Eiche, einem Dorf im östlichen Speckgürtel Berlins, dass sich viele Eltern wegen Kleinigkeiten trennen: "Die Kinder leiden doch darunter." "Aber was soll die Regierung da machen?", kontert Ministerin Renate Schmidt. Vieles lasse sich eben nicht ändern, meint, fügt aber hinzu: Und wenn's so sei, dann sollten die Erwachsenen wenigstens anständig auseinandergehen.
Am besten nehme man aber die eigenen Anliegen selber in die Hand. "Bloß nicht immer erst auf die anderen warten", lautet die Direktive der Ministerin an den Nachwuchs. Bei 15 Millionen Kindern in Deutschland könne sie sich im Übrigen nicht um jedes einzelne kümmern. Inzwischen sitzt, wie selbstverständlich, ein kleines Mädchen auf dem Schoß der vierfachen Oma. Hinter ihnen, auf einem Portrait an der Wand, lächelt milde Alt-Bundeskanzler Willy Brandt.
Dann gibt es da für Frau Ministerin Sachen, von denen man bloß die Finger lassen soll. Etwa, wenn es um Kriege geht, "wenn sich also Könige streiten", wie ein Mädchen sagt, "oder Präsidenten oder Kaiser". Emanuel wiederum fordert dennoch beharrlich von Deutschland ein stärkeres Engagement im Irak. Aber nicht, solange sich die da die Köpfe einschlagen, verwahrt sich die Ministerin, auch wenn die Außenpolitik nicht direkt in ihren Arbeitsbereich fällt. Immerhin verleitet sie der Einspruch zu einem außergewöhnlichen Vorhaben: "Ich schicke mal den Herrn Bush bei dir vorbei."
Emanuels Glaube ist indes ungebrochen. "Es könnte viel erreicht werden, wenn die Ministerin mehr Reden hält", diktiert der Drittklässler später nassforsch. Zum Beispiel bei ihnen in der Nachbarschaft, in den Großsiedlungen, wo Kinder wegen eines kleinen Streits den Papa verlieren würden. Die Mama nickt, und Sohnemann fügt noch hinzu: "Toll, dass Frau Schmidt so offen gesagt hat, dass sie jemanden lieb hat." Ihren Mann nämlich und ihre Enkelkinder, für die sie am Wochenende Zeit haben will.
Unter der Woche muss sich die Ministerin allerdings Gedanken machen, an ihrem Schreibtisch mit lauter Papier. Dem Jungen, der auf dem Chefsessel stumm bleibt, sagt sie: "Also wenn dir nichts einfällt, dann musst du gehen."