In seiner Antrittsrede entwickelte Bundespräsident Horst Köhler die Vision von einem Deutschland der Ideen - mit "Neugier und Experimentieren, in allen Lebensbereichen Mut, Kreativität und Lust auf Neues, ohne Altes und Alte auszugrenzen". Es scheint, als habe er dabei das Handwerk, das Herzstück des Mittelstandes in Deutschland, vor Augen gehabt.
Im Handwerk finden wir die Menschen mit Ideen, Handwerker auf der Suche nach Neuem und bereit zu Experimenten, Unternehmer mit Mut gepaart mit Gemeinsinn. Ohne diese "Zukunftswerkstatt der Nation" mit ihren praktischen Eliten wäre die Substanz nach fünf Jahren Rezession am heimischen Markt, nach Jahren des vergeblichen Kampfes für bessere Rahmenbedingungen für den Mittelstand in Deutschland längst aufgebraucht.
Im Kampf um Wettbewerbsfähigkeit und neue Märkte haben die Handwerksbetriebe sich pragmatisch erst einmal selbst auf den Prüfstand gestellt. Die Erfolge sind greifbar. Kreative kombinieren High-tech-Entwicklungen mit ihren traditionellen Fertigkeiten und bieten passgenaue Lösungen für industrielle Kunden an. Kleine Betriebe bringen ihr Spezialwissen in Kooperationen ein und bieten das gemeinsame Know-how an. Dienstleister erobern mit innovativen Geschäftsmodellen neue Märkte. Mutige Unternehmer, die in Deutschland an die Grenzen des Wachstums stoßen, machen sich auf, ausländische Märkte zu gewinnen.
Der Mittelstand hat kein Verständnis dafür, dass ausgerechnet der politischen Elite selbst die Ideen ausgehen und der Mut fehlt, kreativ Neues anzupacken.
Wir haben uns stets eine Reformdebatte gewünscht. Wir haben eine Vision dessen angemahnt, was am Ende stehen sollte und eine Debatte über die Wege dorthin. Denn nach diesem Motto verfahren Handwerker auch bei der Problemlösung für ihre Kunden. Status quo analysieren, Ziel definieren, Wege dorthin finden und den mit dem besten Preis-/Leistungsverhältnis beschreiten - ohne auf dem Weg den Kunden zu verlieren.
Wer Wachstum will, weniger Arbeitslose und vor allem mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, der muss die Konjunktur im Inland in Schwung bringen und den Mittelstand stärken. Dazu brauchen wir unter anderem eine Senkung der Kosten auf Arbeit. Dazu müssen wir den Arbeitsmarkt deregulieren und vor allem für kleine Betriebe die Bürokratie so weit wie möglich streichen. Dazu müssen wir Menschen und Betrieben mehr Netto ermöglichen, für Konsum und für Investitionen. Dazu sollte die Politik wieder verlässlich werden, damit die Menschen ihr vertrauen können.
Die Bundesregierung hat leider keine Ziele formuliert, keine Debatte über den Weg geführt und verordnet nur Bruchstücke, deren konzeptioneller Zusammenhang nicht erkennbar wird - der Beifall der "Kunden" bleibt daher aus.
Denn was war intelligent an Sparprogrammen zu einem Zeitpunkt, an dem der Binnenmarkt in die Rezession fiel? Was war intelligent an einer Steuerreform, die Großkonzerne besser stellt, Einkommensbezieher und kleine Betriebe aber erst einmal bluten lässt, bevor sie die längst vorfinanzierten "Steuersenkungen" bekommen? Was ist so clever an Subventionsstreichungen, die nur den Staatssäckel füllen, nicht aber durch Steuersenkungen zurück in die Taschen der Steuerzahler und damit den Konsum fließen?
Auch die Ökosteuer senkt die Rentenbeiträge nicht. Die erhöhte Tabaksteuer und die Praxisgebühr senken die Krankenkassenbeiträge nicht spürbar. Der weiter wachsende zweite Arbeitsmarkt bringt Arbeitslose nicht in Beschäftigung - also bleibt der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf Rekordhöhe. Damit bleiben die Kosten auf Arbeit hoch. Und der Staat vernichtet die Milliarden, die für Konsum und Investitionen fehlen.
Der private Verbrauch schrumpft, der Staat verliert - über weniger Einkommensteuer- und Mehrwertsteuereinnahmen, über höhere Transfersbeträge in die Sozialversicherungen. Das geschieht in einer Größenordnung, dass die Schuldenmaschine auf Hochtouren läuft und die Kriterien für die Verschuldung im EuroLand Jahr um Jahr missachtet werden. Wir schrumpfen uns arm.
Die Rezession hat sich im Lande festgesetzt, seit mittlerweile fünf Jahren - und ein Ende der Konsumverweigerung, des Investitionsstaus, des Angstsparens, des Betriebssterbens, der Arbeitsplatzverluste ist nicht in Sicht.
Professor Norbert Berthold schreibt im Jahresmittelstandsbericht 2004 der Arbeitsgemeinschaft Mittelstand: "Der konjunkturelle Aufschwung, die letzte Hoffnung der überforderten politischen Medizinmänner, bleibt eine Fata Morgana." So ist es - leider. Und deshalb passt es nicht in die Zeit, notwendige Reformen zur Zukunftssicherung einfach als Reformismus abzutun. Nur mit Realismus und Pragmatismus und einem Engagement der gesellschaftlichen Kräfte für tatsächliche Reformen mit Ziel und Verstand ist doch die Zukunft zu gewinnen. Der Mittelstand und das Handwerk machen lieber heute als morgen mit. Unsere Handwerksmeister laden die Politik gerne in ihre "Zukunftswerkstatt der Nation" ein. Ideen sind inbegriffen. Dieter Philipp
Der Autor ist seit 1997 Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH).