Der Mittelstand ist nicht am Ende. Aber die Wende dauert viel länger als gedacht. Im Reformsommer 2004 ist die Wetterkarte der deutschen Wirtschaft uneinheitlich:
Während Großunternehmen wie Siemens und DaimlerChrysler mit Stellenabbau und Jobverlagerung drohen, damit für Tiefdruck-Stimmung sorgen, suchen mehrheitlich kleine- und mittelständische Unternehmen (KMU) nach anderen Wegen. Ihre Lage ist komplizierter, weil sie in weit höherem Maße an Standorte gebunden sind und ihr Personal bis zum bitteren Ende halten. Der Mittelstand ist - bei aller Unschärfe dieser Kategorie - traditionell um ein gutes Klima zu seiner Belegschaft bemüht. Deshalb ringen die KMU auch bei knapper Kasse um die drei Ziele Qualifizierung, Motivation und Flexibilität der Mitarbeiter. Der Ausweg Rauswurf ist keine wirkliche KMU-Alternative.
Blickwechsel: In diesen Wochen befragen fast alle Industrie- und Handelskammern (IHK) in Deut-schland ihre Mitgliedsfirmen. Was bringt die Steuerreform? Gibt es Vorteile aus den Strukturveränderungen des Arbeitsmarktes insgesamt? Die Antworten der zumeist kleineren Handwerksbetriebe und Dienstleistungsunternehmen lesen sich auf den Internetseiten der IHK wenig euphorisch. Mehr als 50 Prozent glauben an keine positiven Effekte. Konkret wünschen sich die KMU aber eine Senkung der Lohnnebenkosten.
Das sind die Aufwendungen, die einen Arbeitsplatz zwischen 30 und 40 Prozent pro Monat teurer machen, ohne dass der Arbeitnehmer davon etwas erfährt. Eine Minderung dieser Summen eröffnen Spielräume für weitere Einstellungen, schaffen Garantien für bestehende Arbeitsplätze und ermöglichen zusätzliche Investitionen in den Betrieben - so lauten die Stellungnahmen der Unternehmen.
Diese Punkte deuten an, was geschehen muss. KMU brauchen finanzielle Entlastungen, um ihre Ressource Nummer eins - das Personal - zu stärken. Politiker, Experten des Arbeitsmarktes und Wissen-schaftler beklagen seit Jahren nicht den Mangel an neuen Ideen für raffinierte Produkte und clevere Dienstleistungen in Deutschland. Vielmehr prangern sie strukturelle Hemmnisse an, die eine Umsetzung neuer Ideen in Angebote, für die Konsumenten auch Geld ausgeben, behindern. Aus mittelständischer Sicht stimmt daran manches. Richtig ist aber etwas anderes: Den Faktor Mensch ins Zentrum der Innovationen stellen.
Ist die Belegschaft gut ausgebildet, durch Weiterbildung motiviert und in einem flexiblen Umfeld tätig, das auch einmal Sondersituationen wie zum Beispiel einer zeitlich begrenzten familiären Belastung standhält, dann wird das Tor zur Innovation weit aufgestoßen. Davon ist auch der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Michael Rogowski, überzeugt. Auf die Frage, wie er sich Deutschland im Jahr 2014 vorstelle, zeichnete er kürzlich sein Szenario vom engagierten und ideenreichen Mitarbeiter: "Wir haben dann lauter kleine Unternehmer in unseren Unternehmen. Wer den Menschen in den Betrieben mehr Freiheit gibt, löst einen unglaublichen Motivationsschub aus." Mit dieser Beweglichkeit, so Rogowski weiter, der selbst Unternehmer ist, seien neue Produkte und Dienstleistungen dann wirklich möglich.
Für den Mittelstand gilt trotz wirtschaftlichem Gegenwind im Jahr 2004 die Devise: Halten der Mannschaft und mit den Themen Weiterqualifikation, Flexibilität bei Jahresarbeitszeiten und moderaten Gehaltserwartungen durchkommen. Denn viele kleinere Unternehmen fühlen sich wie im Treibsand: Hektische Aktionen ziehen das Opfer nur in die Tiefe, keine Regung dagegen verlangsamt nur den Abwärtssog. Also liegt das KMU-Rezept in der Mitte, wie beim Verhalten im Treibsand. Markus Lemmens
Der Autor ist Inhaber der Lemmens Verlags- & Mediengesellschaft mbH Bonn/Berlin/London.