Das Parlament: Hat das Handwerk noch goldenen Boden?
Schleyer: Wer als Meister sein Handwerk versteht, der hat damit auch die beste Basis für eine gute Zukunft. Für den wirtschaftlichen Erfolg müssen sich die Betriebe aber in konjunkturell schwierigen Zeiten mehr engagieren als je zuvor. Stichworte sind Innovation, Kundenorientierung, Dienstleistung, Kooperation, Internetpräsentation - heute wird einfach mehr als eine gute Handwerksleistung verlangt.
Das Parlament: Nicht nur in Großstädten schließen immer mehr traditionelle Handwerksbetriebe, weil sie mit den großen Handelsketten nicht mehr mithalten können - von der Metzgerei bis zur Bäckerei, von der Schneiderei bis zur Schuhmacherei. Ist ein Ende dieses Handwerkersterbens in Sicht?
Schleyer: In Deutschland gilt derzeit leider "Geiz ist geil", wie eine Handelskette suggeriert. Dieser Trend zwingt manchen Einzelhändler oder Handwerker ins Aus. Doch dem uniformen Industriebrot aus dem Supermarkt setzen Handwerksbäcker längst auch erfolgreich traditionelle Qualität entgegen. Fleischer bieten Beratung und Sicherheit beim Fleischeinkauf, die beim Discounter fehlen. Und wer keine Wegwerfware, sondern hochwertige Schuhe trägt, der bringt sie auch zur Reparatur zum Schuhmacher. Der Markt verändert sich, das Handwerk wird seinen Platz behalten.
Das Parlament: Gleichzeitig suchen viele ältere Handwerksmeister händeringend einen Nachfolger für ihren Betrieb. Warum ist die Nachfolge so ein Problem?
Schleyer: Mitten in der längsten Rezessionsphase der Nachkriegszeit am Binnenmarkt ist es schwer, auch für einen eingeführten Betrieb einen Nachfolger zu finden. Zumal die Kinder im Gegensatz zu früher oft auf die Nachfolge verzichten, sie wollen sich nicht der Belastung eines mittelständischen Unternehmers aussetzen. Wir beraten die Betriebsinhaber intensiv. Wichtig ist vor allem, dass die Nachfolge frühzeitig geregelt wird - das erleichtert auch den finanziellen Aspekt.
Das Parlament: Das Handwerk ist nach wie vor der größte Ausbilder. Viele Betriebe klagen über die mangelnde schulische Ausbildung der jungen Menschen. Zu Recht?
Schleyer: Die Ergebnisse der PISA-Studie haben ja nur bestätigt, was unsere Meister seit vielen Jahren beklagen: Absolventen der Haupt- und Realschulen beherrschen Lesen, Schreiben und Rechnen immer schlechter. Dann können sie aber weder einen Boden verlegen noch eine Wurst mischen, geschweige denn eine computergesteuerte Maschine bedienen oder eine Homepage aufbauen.
Das Parlament: Können die Betriebe und Berufsschulen ausgleichen, was in der Schule versäumt worden ist?
Schleyer: Viele Lehrlinge bestehen ihre Prüfungen nur, weil der Meister im Betrieb mit ihnen Rechnen übt oder Nachhilfe in Deutsch organisiert. Die Handwerkskammern führen entsprechende Nachschulung durch. Dennoch steigt die Zahl derjenigen, die zwei Anläufe brauchen oder ganz durchfallen.
Das Parlament: Welche Chancen haben ausländische Jugendliche im Handwerk?
Schleyer: Die Zahl ausländische Lehrlinge sinkt - leider. Wir müssen befürchten, dass dies an den fehlenden Sprachkenntnissen der jüngsten Ausländergeneration liegt. Denn Ausländer sind im Handwerk stets willkommen - an der Werkbank zählt Leistung, nicht Herkunft. Viele Ausländer sind auch erfolgreiche Unternehmer im Handwerk geworden.
Das Parlament: Auf die Politik ist das Handwerk gegenwärtig nicht gut zu sprechen?
Schleyer: Der Bundesregierung ist es trotz großer Ziele und Agenda 2010 nicht gelungen, wirksame Reformen bei der Steuer-, Sozial- Arbeitsmarkt- oder Bildungspolitik umzusetzen. Die schlechten Rahmenbedingungen bremsen unsere Betriebe aus. Seit 2000 verliert das Handwerk Umsatz und Beschäftigung.
Das Parlament: Welche Lasten drücken das Handwerk besonders - die Steuern oder die Sozialabgaben?
Schleyer: In beiden Bereichen sind Strukturreformen überfällig. Das arbeitsintensive Handwerk spürt es jedoch besonders, dass die Kosten auf Arbeit hierzulande exorbitant gestiegen sind. Das hat auch zur Ausweitung der Schwarzarbeit geführt. Wenn unsere Betriebe wettbewerbsfähig bleiben sollen, müssen die Sozialabgaben drastisch sinken. Der ZDH hat Vorschläge für Strukturreformen vorgelegt.
Das Parlament: Immer wieder wird die Forderung nach einer Erhöhung der Erbschaftssteuer laut. Davon würde das Handwerk doch besonders getroffen?
Schleyer: Es gibt keinen Spielraum für Steuererhöhungen, auch nicht bei der Erbschaftsteuer. Eine Erhöhung trifft in der Tat insbesondere den Mittelstand. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass die Erbschaftsteuerbelastung der Betriebe bereits am oberen Rand der Belastungsskala liegt. Damit ist sie ebenfalls ein Hemmnis für die Betriebsübergabe. Der ZDH schlägt daher die Verknüpfung der Bemessung der Erbschaftsteuerschuld mit der Fortführung des Betriebs vor. Wird das Unternehmen über einen Zeitraum von zehn Jahren fortgeführt, sollte sich die Erbschaftssteuer in gleichen Jahresbeträgen von jeweils zehn Prozent verringern.
Das Parlament: Immer wieder versichert die Regierung, die Bürokratie abzubauen. Spüren Sie inzwischen etwas davon?
Schleyer: Unsere Unternehmen sagen: Nein: 1994 schätzten 48 Prozent der Betriebe im Rahmen einer Untersuchung des Instituts für Mittelstandsforschung die Bürokratiebelastung der Betriebe mit "hoch" bzw. "sehr hoch" ein. In der aktuellen Studie des Instituts sind dies schon 79 Prozent. Die derzeitige Gesamtbürokratiebelastung kostet allein den Mittelstand jährlich rund 38 Milliarden Euro. Das geplante Bürokratiemonster "Ausbildungsplatzabgabe" wurde gerade noch rechtzeitig gestoppt.
Das Parlament: Haben Sie im Kopf, wieviele Gesetze und Verordnungen ein Handwerksmeister beachten muss?
Schleyer: Aus einem Bestand von mehr als 2.000 Gesetzen, rund 3.000 Rechtsverordnungen und 80.000 Einzelvorschriften muss ein Handwerksmeister für seinen Betrieb und das gerade zu fertigende Werksbuch die richtige Textstelle finden. Zu allem Überfluss werden bestehende Gesetze laufend geändert. Bestes Beispiel ist die Steuergesetzgebung. Wir brauchen dringend weniger Gesetze, mehr Transparenz und mehr Kontinuität.
Das Parlament: Wie sieht die Zukunft des Handwerks aus?
Schleyer: Die Zukunft des Handwerks ist abhängig von der Qualität der Unternehmer und ihrer Mitarbeiter. Daher tun wir alles, um die Ausbildung zum Meister attraktiv zu machen und dafür zu werben. Unsere Meisterinnen und Meister sind der Garant für gut ausgebildeten Nachwuchs. Die neue Handwerksordnung ist da allerdings kontraproduktiv, eine allmähliche Dequalifikationsspirale ist absehbar, da die neuen Regelungen das System der geprüften Qualifikation unterlaufen.