Der gute Glaube "Handwerk hat goldenen Boden" ist noch bei mehr jungen Menschen unserer Tage verhaftet, als man denkt. Die aktuellen Statistiken über Lehrlinge, Nachfrage und Abschlusszahlen zeichnen ein positives Bild.
In rund 847.000 Handwerksbetrieben arbeiten 5,1 Millionen Menschen. Mehr als 500.000 Lehrlinge erhalten dort eine qualifizierte Ausbildung. Damit sind nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) etwa 13,3 Prozent aller Erwerbstätigen und rund 32 Prozent aller Auszubildenden in Deutschland im Handwerk tätig
Im Jahr 2003 erreichte der Umsatz im Handwerk fast 470 Milliarden Euro. Somit ist das Handwerk der vielseitigste Wirtschaftsbereich in der Bundesrepublik und bildet mit seinen kleinen und mittleren Betrieben das Kernstück der deutschen Wirtschaft
Trotz aller Zukunftsangst und aktueller Arbeitsprobleme vertrauen Mädchen und Jungen nach ihrem Schulabschluss in steigender Zahl darauf, dass sie in einem Handwerksberuf ihre wirtschaftliche Sicherheit finden können. Nach Darstellung des Handwerks und anderer Wirtschaftsunternehmen könnte jeder Schulabsolvent bei Erfüllung der Grundvoraussetzungen eine Lehrstelle erhalten, wenn er flexibel sei. Das bedeutet in der Praxis, er muss mitunter auch seinen langjährigen Wohnort aufgeben, um in einer anderen Region den Arbeitsplatz anzutreten. Diese erforderliche Bereitschaft ist nach bisherigen Erfahrungen bei jungen Leuten in den neuen Bundesländern größer als in Westdeutschland. Insgesamt müsse die Bereitschaft zur größeren Flexibilität zunehmen, um auch in diesem Bereich Arbeitslosigkeit abzubauen.
"Die Meisterprüfung ist auch 2003 die am häufigsten abgelegte Fortbildungsprüfung der deutschen Wirtschaft geblieben", bestätigt ZDH-Präsident Dieter Philipp in Berlin. Dies bekräftigt auch eine aktuelle Erhebung seiner Organisation: Im Jahr 2003 haben insgesamt 26.509 Gesellen und Gesellinnen ihre Meisterprüfung bestanden. Das waren mehr als in jeder anderen Wirtschaftsbranche geprüft worden sind. Mit einem Rückgang um lediglich 0,6 Prozent liegt die Zahl der erfolgreichen Meisterschüler damit nahezu auf dem Vorjahresniveau. In den Jahren zuvor waren die Prüfungszahlen deutlich rückläufig (2002 um 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, 2001 um drei Prozent gegenüber dem Vorjahr).
"Diesen Abwärtstrend konnten wir stoppen", sagte Philipp. "Das zeigt, dass junge Menschen nach wie vor ein großes Interesse an der Qualifikation Meister haben, weil sie eine wichtige Voraussetzung ist für die erfolgreiche Selbstständigkeit und den beruflichen Aufstieg." Besonders bemerkenswert sei, dass immer mehr junge Frauen ihre Meisterprüfung ablegen. So seien im Jahr 2003 insgesamt 15,3 Prozent aller erfolgreicher Absolventen Meisterinnen geworden.
Nach der ZDH-Erhebung gab es 2003 vor allem in den Berufen Friseur, Augenoptiker und Hörgeräteakustiker einen Zuwachs an Meisterprüfungen. Weiterer "Renner" blieb der Kraftfahrtzeugtechniker. Ganz oben auf der Rangliste der am häufigsten abgelegten Meisterprüfungen stehen auch Elektrotechniker, Installateure und Heizungsbauer.
Auf die erfolgreichen Abschlusszahlen habe sich die Diskussion um die Novellierung der Handwerksordnung noch nicht durchgeschlagen, sagte Philipp. Einige Handwerkskammern hätten jedoch für das erste Halbjahr 2004 bereits starke Einbrüche bei den Anmeldungen zu den Meisterlehrgängen gemeldet. Da ein berufsbegleitender Meisterkurs rund zwei Jahre dauere, würden die tatsächlichen Auswirkungen der seit Anfang dieses Jahres veränderten Gesetzeslage erst frühestens Ende 2004 zu spüren sein. Der ZDH-Präsident befürchtet mit dem Rückgang an Meistern eine "Dequalifizierungs-Spirale": Indem die Bundesregierung die Qualifikationsanforderungen zurückschraube, werde auch allmählich das Leistungsniveau in der beruflichen Praxis sinken.
Die deutsche Wertarbeit im Handwerk wird bei den Verbrauchern auch in der EU und Übersee geschätzt. Ein in Deutschland erworbener Gesellen- oder gar ein Meisterbrief ist ein Gütesiegel und ein Garant für gute Jobs im Ausland. Selbst Auswanderer nach USA, Kanada und Australien profitieren davon.
Die Ausbildung im deutschen Handwerk ist international hoch angesehen. Daher ist es nicht selten, dass Ausländer ihre Schulung in Deutschland absolvieren. Als ein gutes Beispiel gilt der 19-jährige Tischlerlehrling Allen Shultz aus den USA. "Ich bin heilfroh, dass ich hier meine Tischlerausbildung machen kann", sagt Allen Shultz. "Das deutsche System, in dem man gleichzeitig im Betrieb und in der Schule lernt, ist besser." Der junge Texaner hatte nach einem so genannten Berufsgrundbildungsjahr Holz im Jahr 2003 seine Tischlerausbildung bei der Bromer Bauelemente Montage GmbH sowie parallel in der Berufsschule und im Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer Lüneburg-Stade gestartet. .
Das duale System genießt selbst in den USA ein sehr hohes Ansehen, weiß Allen: "Dort stehen mir mit einem deutschen Gesellenbrief alle Türen offen." In den USA müsse man sich entscheiden: Ausbildung ausschließlich im Betrieb oder in der Schule. Nachteil der Ausbildung ausschließlich im Betrieb sei , dass die Praxis nicht alle für den Beruf erforderlichen Kenntnisse vermittelt. Bei der ausschließlichen Ausbildung in der Schule fehlt dagegen der Praxisbezug gänzlich. Außerdem sei die Schule fast unerschwinglich. "Je nach Bundesstaat ist man in den USA für eine Tischlerausbildung zwischen 20.000 und 40.000 Euro pro Semester los", sagt Schultz. Solche Beträge fallen nach Angaben des ZDH noch nicht einmal über die gesamte Dauer der deutschen Meisterausbildung an - auch Dank der neuen Regelungen zum Meister-BAFöG! Ein weiterer Vorteil des deutschen Systems ist für Allen: Als Lehrling bekommt er derzeit sogar eine Ausbildungsvergütung von rund 400 Euro im Monat.
Joe F. Bodenstein
Der Autor ist freier Journalist in Bonn und Berlin.