Heute ist unübersehbar, dass sich dieses Land in einer tiefen Krise befindet." Davon zeigte sich der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Professor Hans Joachim Meyer, überzeugt. Auf der Herbstvollversammlung des höchsten katholischen Laiengremiums in Bonn rief er in seinem traditionellen Rechenschaftsbericht die Gesellschaft zu mehr Gemeinwohl auf: "Zu viele in dieser Gesellschaft entziehen sich ethischen Bindungen und Ansprüchen an ihre Leistungsfähigkeit."
Wenn ein so erfolgreiches Land wie die Bundesrepublik Deutschland erneuert werden müsse, dann bedürfe es dazu zwangsläufig schmerzhafter Einschnitte. Solche Reformen seien aber nur dann durchsetzbar, "wenn sie Bestandteil einer neuen und überzeugenden Perspektive sind, welche die Menschen mitnehmen kann." Von dem Versuch, die Menschen mitzunehmen, entferne sich die Politik jedoch immer mehr.
Der ZdK-Präsident bedauerte, dass es nicht gelungen sei, einen fraktionsübergreifenden Antrag zur gesetzlichen Neuregelung der Spätabtreibungen im Deutschen Bundestag zustande zu bringen. Die katholischen Laien würden deshalb fortfahren, auch weiterhin bei den politisch Verantwortlichen und in der breiten Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit einer Neuregelung hinzuweisen.
"Mit Sorge" erfülle die Katholiken der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium zur Stärkung der Patientenautonomie, "weil er - entgegen der erklärten Intention - Möglichkeiten zur aktiven Sterbehilfe eröffnen könnte". Patientenverfügungen müssen, so Meyer, rechtlich eng eingegrenzt werden. Meyer forderte die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der Vereinten Nationen für ein weltweites striktes Klonverbot einzusetzen.
In der allgemeinen Debatte der Herbstvollversammlung zeigte sich, dass es erhebliche Vorbehalte gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei gibt. Präsident Meyer bedauerte, dass man von Religionsfreiheit nicht sprechen könne und dass der türkische Laizismus nicht mit dem französischen zu vergleichen sei.
Das ZdK verabschiedete eine Erklärung gegen den Menschenhandel und die Zwangsprostitution in der Europäischen Union. Danach werden Bund und Länder aufgefordert, sich intensiver um dieses Thema zu kümmern. Nach Schätzungen der EU-Kommission arbeiten gegenwärtig rund 500.000 junge, meist aus Ost- und Südosteuropa stammende Frauen illegal und unter Zwang als Prostituierte in der Europäischen Union. Dieser kriminelle Menschenhandel wirft nach Schätzungen des bayerischen Justizministeriums einen jährlichen Gewinn von 10 Milliarden Euro ab.
Das ZdK forderte mehr Razzien seitens der Polizei und bedauerte, dass sich der Deutsche Bundestag bei der Novellierung des entsprechenden Gesetzes Ende Oktober nicht dazu habe durchringen können, auch die Freier unter Strafe zu stellen. Das ZDK forderte hingegen, falls der Freier merkt, dass er es mit einer Zwangsprostituierten zu tun hat, er dies melden müsse oder aber er mache sich selbst strafbar.
Verabschiedet hat die ZdK-Herbstvollversammlung rentenpolitische Leitlinien, die Hermann Kues (CDU-MdB) vorstellte. Das ZDK spricht sich für eine beitragsfinanzierte Pflichtversicherung aus und für eine leistungsbezogene Rente. Die Rentenversicherungen sollen von versicherungsfremden Leistungen befreit werden. Vordringlich ist die eigenständige Alterssicherung von Frauen. Das Umlageverfahren soll die Norm bleiben, die Kapitaldeckung nur für die ergänzende Altersvorsorge vorgesehen werden.