Wie bekannt kam es anders, und die Regierung Berlusconi wurde Mitte 2001 ohne weitere Umstände in den Kreis der europäischen Partner aufgenommen. "Ich glaube kaum, dass Sanktionen gegen Italien verhängt werden können, weil wir ein Gründungsland der EU mit einem starken Stimmrecht sind", hatte Lega-Chef Umberto Bossi bereits im Vorfeld richtig vermutet. Heute steht Ministerpräsident Silvio Berlusconi seit nunmehr vier Jahren einer Koalition vor, in der die drei größten Parteien zumindest dem Verdacht des Rechtsextremismus ausgesetzt sind.
Die Geschichte der politischen Rechten in der Italienischen Republik beginnt bereits 1946 mit der Gründung des Movimento Sociale Italiano (MSI) als Auffangbecken für die versprengten Kämpfer der Republik von Salò. Obwohl die Verfassung auf einem antifaschistischen Grundkonsens basiert und die "Reorganisation der aufgelösten faschistischen Partei in jeglicher Form" ausdrücklich verbietet, blieb der MSI in der Folge unbehelligt. Bei Wahlen kamen die Neofaschisten unter ihrem langjährigen Vorsitzenden Giorgio Almirante auf Ergebnisse zwischen 4,5 und 8,7 Prozent und waren damit von 1948 bis 1994 ununterbrochen im Parlament vertreten. Nachdem die Lega Nord Ende der 80er-Jahre das Repertoire rechter Parolen wieder zeitgemäß gemacht hatte, erzielten auch die "Missini" mit ihrem jungen Vorsitzenden Gianfranco Fini zunehmende Erfolge, indem sie sich als eine Art "ehrliche Lega des Südens" empfahlen.
Der Ausbruch aus dem neofaschistischen Getto gelang aber erst im Frühjahr 1994 mit Hilfe Silvio Berlusconis, der neben der Lega Nord auch die offiziell noch immer dem Faschismus huldigende Partei Finis in sein Regierungsbündnis aufnahm. Ein Jahr später zelebrierte Fini auf dem Parteitag von Fiuggi mit der Auflösung des MSI und der Neugründung der Nationalen Allianz (AN) die endgültige Abkehr vom Faschismus, und die bis dahin noch überall in den Hinterzimmern ausgestellten Mussolini-Büsten verschwanden aus den Parteibüros. Eine nostalgische Minderheit unter Pino Rauti machte den Schwenk auf den Boden der Demokratie indes nicht mit und gründete mit der Fiamma Tricolore eine neue rechte Splitterpartei. Im Jahre 2002 kam es noch zu einer weiteren Abspaltung durch die Enkelin des Duce, Alessandra Mussolini. Sie verließ die Alleanza Nazionale im Streit mit Fini, um eine neue Alternativa Sociale (AS) ins Leben zu rufen.
Bei einer Untersuchung der italienischen Rechten müssen deshalb heute insgesamt fünf Parteien in Betracht gezogen werden: Finis Alleanza Nazionale, Bossis Lega Nord, Berlusconis Forza Italia, Alessandra Mussolinis inzwischen in Azione Sociale umbenannte Partei und die heute von Luca Romagnoli geführte Fiamma Tricolore. Die ersten drei bilden das Rückgrat der Regierungskoalition, die beiden übrigen stehen in Opposition, werden aber zwecks Wahlabsprachen von Berlusconi teilweise heftig umworben. Bei den letzten Parlamentswahlen wurde so auf Betreiben des Forza Italia-Chefs ein Stillhalteabkommen mit der extremen Rechten geschlossen. Obwohl dies von der Nationalen Allianz ungern gesehen wird, ist eine ähnliche Absprache unter Einbeziehung Mussolinis auch für die nächsten Parlamentswahlen fest in Planung. Bei den Europawahlen 2004 kam die Forza Italia sogar auf 21 Prozent, die AN erhielt 12,5 Prozent, die Lega 5 Prozent, die Fiamma 0,7 Prozent und Mussolinis erstmals antretende AS immerhin 1,2 Prozent.
Eine Sonderstellung im rechten Spektrum Italiens nimmt ohne Zweifel die Lega Nord ein, die Anfang der 90er-Jahre mit regionaler Folklore, fremdenfeindlichen Parolen und teils föderalistischer, teils sezessionistischer Programmatik reüssierte. Mit ihrer Polemik gegen den römischen Zentralismus leistete die Lega einen wichtigen Beitrag zum Sturz des korrupten Parteienregimes und avancierte zu einer der meiststudierten neuen Parteien Europas. Bemerkenswert war dabei die Ambivalenz der Partei, die einerseits fremdenfeindliche Hasstiraden wieder hoffähig machte, andererseits aber mit der Forderung nach Dezentralisierung und Liberalisierung durchaus zeitgemäße Forderungen stellte.
Ende 1994 stürzte Lega-Chef Umberto Bossi als abtrünniger Koalitionspartner die erste Regierung Berlusconi. Ende der 90er-Jahre gelang es dem Fernsehmagnaten jedoch, seinen Widersacher Bossi ins medienpolitische Abseits zu drängen und so zur Rückkehr ins rechte Lager zu bewegen. Heute ist die Lega Nord vor allem um die Verabschiedung einer föderalistischen Staatsreform ("Devolution") bemüht und hat dafür alle anderen eventuell einmal vorhandenen liberaldemokratischen Anwandlungen dem Machtwillen Berlusconis geopfert. Auch ihr Parteivorsitzender Bossi ist nach einem Infarkt nur noch ein Schatten seiner selbst.
Forza Italia als größte Regierungspartei wird von ihrem Gründer Silvio Berlusconi gern als freiheitsliebende liberale Bewegung gefeiert. Gemessen an der konkreten Wirtschaftspolitik, einer Mischung aus steuerpolitischer Begünstigung der Wohlhabenden und Alibi-Eingriffen zugunsten der Schwächeren, bleibt von diesem Anspruch aber recht wenig. Dem liberalen Parteiprogramm widerspricht auch die Tatsache, dass Forza Italia mehr als jede andere italienische Partei nach dem Führerprinzip strukturiert ist. Bei solchen Vorgaben ist es kaum verwunderlich, dass auch Berlusconi selbst immer wieder seinen persönlichen historischen Revisionismus durchscheinen lässt. So wies er in einem Interview im Sommer 2003 einen Vergleich zwischen Saddam Hussein und Benito Mussolini entrüstet zurück, da die Diktatur Mussolinis doch eher "wohlwollend" gewesen sei, der Duce "niemanden tötete" und die Regimegegner allenfalls "ins Exil in Urlaub geschickt" habe.
Bedient werden mit solchen Erklärungen auch bestimmte "rechte" Stimmungslagen wie der Ruf nach dem starken Mann. Dabei ist auffällig, wie geschickt dabei die Nationale Allianz umgangen wird, deren Führer Gianfranco Fini sich solche Entgleisungen wegen seiner neofaschistischen Vergangenheit wohl niemals erlauben dürfte. Außenminister Fini übt sich vielmehr in Mäßigung, reist beispielsweise zum Kniefall nach Israel, während sein Verbündeter Berlusconi jede Gelegenheit nutzt, in seinem Revier zu wildern. Die Hauptleute Finis wie der Agrarminister Gianni Alemanno sehen diese Problematik wohl und bedauern den Profilverlust der Partei, der sich auch in stagnierenden Wahlergebnissen niederschlägt.
Tatsächlich hat Berlusconi mit seinem Revisionismus den Parteien der nostalgischen Rechten immer wieder den Wind aus den Segeln genommen. Die Verbreitung rechten Gedankenguts ist deshalb wohl kein Selbstzweck in der Welt des Medien-Tycoons, sondern eher ein Zufallsprodukt machtpolitischer Erwägungen.
Die Debatte um die Entsendung italienischer Truppen in den Irak ist ein interessantes Beispiel. Da diese Entscheidung Berlusconis höchst umstritten blieb, forderte er Flankendeckung von seinen Gefolgsleuten, und tatsächlich bemühen sich spätestens seit dem 11. September konservative Intellektuelle wie die Erfolgsautorin Oriana Fallaci, der Fernsehjournalist Giuliano Ferrara und Senatspräsident Marcello Pera (Forza Italia) darum, die Italiener für einen neuen Kreuzzug gegen den radikalen Islamismus zu mobilisieren. So sucht die italienische Rechte heute nach neuen Feindbildern, aber trotz beachtlichen Medienrummels scheint der Erfolg bisher eher begrenzt, und alle eventuell doch vorhandene Kriegslust dürfte selbst den Hardlinern nach einer Serie von Anschlägen und Geiseldramen endgültig mit der Ermordung des Geheimdienstagenten Nicola Calipari durch US-Truppen vergangen sein.
Wesentlich leichter fällt deshalb die Bewertung der konkreten gesetzgeberischen und administrativen Entscheidungen der Regierung Berlusconi, insbesondere die Aushöhlung der Verfassung, die Diskreditierung der unabhängigen Justiz, den Niedergang der Staats- und Steuermoral und die unverhohlene Bereicherung des Regierungschefs und seiner Unternehmen durch direkte Kontrolle der Konkurrenz.
Besonders in der Medienpolitik scheint Italien unter Berlusconi wohl endgültig den Boden der freiheitlichen Demokratie verlassen zu haben. Deutlich wird dies sowohl in der Themenauswahl wie auch in der systematischen Diffamierung der Opposition auf allen Fernsehkanälen. 60 Jahre nach dem Sturz Mussolinis herrscht heute in den italienischen Medien wieder ein repressives monokratisches Regime, in dem das klassische Rizinusöl zur Einschüchterung der Dissidenten recht elegant durch die Drohung mit abruptem Karriereknick durch lebenslängliches Auftrittsverbot im TV ersetzt wurde. Damit hat die postdemokratische Telekratie Berlusconis ihre Ziele weitgehend durchgesetzt. Vor diesem Hintergrund könnte es sich im Nachhinein tatsächlich als ein Fehler erweisen, dass die EU auf Sanktionen gegen Italien bisher verzichtet hat.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Rom.