Dies war die Motivation für die Bertelsmann Stiftung, in Zusammenarbeit mit dem Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) die Potenziale von Toleranzförderung, Menschenrechtspädagogik und politischem Journalismus zu untersuchen. Wir wollten sehen, ob diese Elemente zur Herausbildung einer langfristigen und umfassenden Präventionsstrategie in Kindertagesstätten, Schulen und Redaktionen beitragen können. Jetzt, nach drei Jahren Arbeit, sind daraus konkrete Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis entstanden. Ein Ergebnis des Projekts: Mit der Prävention muss schon früh und individuell begonnen werden.
So bauen erfolgreiche Bildungsprogramme gegen Rechtsextremismus auf der Beobachtung auf, dass positive soziale Kompetenzen wie Empathiefähigkeit und ein angemessenes Selbstwertgefühl schon früh in Kindertagesstätte und Grundschule gefördert werden können. Die Wissenschaft weiß seit langem, dass sich diese Kompetenzen in jungen Jahren entwickeln. In Deutschland hat man daraus bereits erste Lehren gezogen: Es gibt erfolgreiche Beispiele für die Prävention von Fremdenfeindlichkeit und Aggression in verschiedenen Bildungseinrichtungen. Bislang jedoch wurden erprobte Programme leider nicht flächendeckend implementiert.
Dazugehören statt ausgegrenzt zu werden - das ist für jedes Kind wichtig. Die Biographieforschung aber zeigt, dass viele rechtsextreme Täter aus zerrütteten Familien stammen und häufig in Kindergarten und Schule um Aufmerksamkeit jenseits der schulischen Leistungen gerungen haben. Das bedeutet, dass frühzeitig auf die individuelle Situation des Kindes, wie Familienhintergrund und Temperament, eingegangen werden muss, damit sich aggressive und intolerante Haltungen gar nicht erst herausbilden. Die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund ist dabei ganz besonders wichtig. Das könnte zum Beispiel durch die Förderung interkultureller Ansätze im Bildungssystem geschehen. Wichtig wäre dafür, dass die Lehrerschaft zumindest ähnlich zusammengesetzt ist wie die deutsche Gesellschaft. Es muss selbstverständlich werden, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund auch Lehrer oder Erzieher werden.
Kurz: Es ist Zeit für eine neue und intensive öffentliche Diskussion über die Normen, an denen sich unser Bildungssystem orientiert. In der deutschen Gesellschaft können die Menschenrechte den Rahmen für eine solche Diskussion bilden. Sie sind der Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Fragen des Miteinanders, der Verantwortung, der Chancen und der Pflichten, die ein Leben in einer Demokratie bietet und fordert. Die zahlreichen Modellprojekte zur Demokratiebildung in Deutschland und anderen europäischen Ländern zeigen, dass eine Erfolg versprechende Menschenrechtserziehung systemisch verankert ist. Deshalb sollten die Menschenrechte ein Thema im Unterricht, bei der Entwicklung eines Schulprofils und im täglichen Miteinander einer Schule sein.
Neben Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus bemühen sich rechtsextreme Akteure um eine plakative Themenhoheit bei Sozialreformen, Arbeitslosigkeit, Gerechtigkeit, Nationalismus, deutscher Geschichtsschreibung, Erinnerungskultur und Globalisierung. Deren Leerformeln können in der Schule durch eine fundierte politische Bildung widerlegt werden. Kinder und Jugendliche müssen befähigt werden, sich mit Formen und Folgen von Diskriminierung sowie mit Ideologien, Vorurteilen und Feindbildern auseinander zu setzen. Neben Faktenwissen und Reflexionsfähigkeit gehört dazu vor allem eine dialogische Vermittlung demokratischer Werte.
Bisher sind nur wenige der pädagogischen Ansätze, die einen Beitrag zu einer demokratischen, offenen Gesellschaft leisten wollen, auf ihre langfristige Wirkung untersucht worden. Aus den Erfahrungen von Modellprojekten müssen Qualitätsstandards für Bildungsprogramme entwickelt werden.
Die Medien, insbesondere das Fernsehen, sind für die Sozialisation moderner Gesellschaften ebenfalls sehr wichtig. Sie beeinflussen wesentlich die öffentliche Debatte zu brisanten und normativ besetzten Themen wie Integration, Gerechtigkeit oder Toleranz. Die Analyse der Fernsehberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender - in Kooperation mit der ARD/ZDF-Medienkommission und den Kirchen - bestätigt die Aussagen anderer Studien, dass sich die Medien bei der Behandlung des Themas an der politischen Konjunktur orientieren. Das aber greift zu kurz: Das Thema Rechtsextremismus benötigt vielmehr eine dauerhafte und intensive Berichterstattung, die auch über die Hintergründe informiert. Sich auf aktuelle Ereignisse zu fixieren, reicht nicht. Eine profundere Darstellung mit ausreichender Sendezeit würde zur Ausdifferenzierung von stereotypen Betrachtungen der rechten Szene beitragen und es eher ermöglichen, auch "Rechte in Nadelstreifen" und Alltagsrassismus zu thematisieren.
Für den Fernsehjournalismus zeigt sich sehr deutlich, dass dramatisierende und emotionalisierende Effekte sparsam und bewusst eingesetzt werden sollten. Archivbilder müssen eindeutig als solche gekennzeichnet sein und sollten kein unzutreffendes und überzeichnetes Szenario des rechtsextremen Bedrohungspotenzials vermitteln. Gleiches gilt für dramatisierende Darstellungen, die gesteigerte Aufmerksamkeit oder gar höhere Einschaltquoten gewährleisten sollen. Eine dosierte Emotionalisierung hingegen kann durchaus die Empathiefähigkeit des Zuschauers steigern und dadurch eine thematische Auseinandersetzung fördern.
Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen ist ein weiteres Mal deutlich geworden, dass der Versuch zum Scheitern verurteilt ist, Rechtsextremismus lediglich moralisch auszugrenzen, ohne sich gleichzeitig argumentativ mit ihm auseinanderzusetzen. Zudem gehört es zur Medienstrategie von Rechtsextremisten, sich durch bewusste Provokationen der gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung entgegenzustellen und durch empörte Reaktionen auf sich aufmerksam zu machen. Schließlich weisen rechtsextremistische Stellungnahmen durchaus kohärente Argumentationsmuster auf, die es zu durchbrechen und zu widerlegen gilt. Dafür müssen die inhaltlichen und rhetorischen Fähigkeiten von Interviewern und Moderatoren aber gezielt gefördert werden.
Was für die Medien gilt, trifft natürlich auch auf die Politik zu. Die Kommunikation mit rechtsextremen Personen und Parteien ist geprägt durch moralische Appelle und eine Symbolik der Sprachlosigkeit. Dabei gälte es vielmehr, die Argumentationshoheit zu bewahren und die Auftritte von Rechtsextremen zu entzaubern. Gegen deren zumeist holzschnittartige Thesen kann sich die Politik durch bewährte Argumentationstrainings besser wappnen. So können sie intolerante und demokratiefeindliche Äußerungen besser zurückweisen und die politische Initiative zurück gewinnen.
Eine Gesamtstrategie gegen Rechtsextremismus, die von allen demokratischen Parteien mitgetragen wird, könnte einen Handlungskorridor in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus abstecken. Dafür müssten die Vertreter der demokratischen Parteien die aktuelle Situation gründlich analysieren und eine umfassende und durchdeklinierte Zielvorstellung von dem, was man erreichen will, entwickeln. Die Politik kann aber auch weiteren Handlungsspielraum und größere Fachkenntnis durch eine verbesserte Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativen erhalten.
Die Gesamtstrategie sollte in einem Maßnahmenpaket konkretisiert werden. Das müsste auf einem Katalog der Übereinstimmungen zwischen den Parteien basieren. Er würde deutlich machen, auf welche Ansätze und Maßnahmen sich die Politik verständigen kann, was alle demokratischen Parteien gemeinsam tragen wollen und welche Schwerpunkte bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus langfristig gesetzt werden sollen. Dies würde gerade zivilgesellschaftliche Initiativen in ihrem Handeln absichern und Vertrauen schaffen.
Die Klärung von Inhalten und die Umsetzung der Strategie wäre möglichst bald zu diskutieren. Einige Parteien haben mit guten Argumenten einen "Arms-Length-Body" - eine öffentliche Stiftung - als kontinuitätssichernde Institution ins Gespräch gebracht. Die Ergebnisse unserer Projektarbeit legen es nahe, demokratiefördernde Elemente im Sinne der jetzigen Bundesprogramme mit präventiven Ansätzen, insbesondere im Bereich der Bildung, zu verbinden - ganz so, wie es die hier vorgelegten Handlungsempfehlungen vorsehen.
Sie sind eine Einladung zum Dialog und zu einem dauerhaften und vorausschauenden Engagement, um nicht erst nachträglich auf rechtsextreme Taten reagieren zu müssen.
Hauke Hartmann und Michael Seberich sind Mitarbeiter der Bertelsmann Stiftung. Die Projektergebnisse sind dokumentiert in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Strategien gegen Rechtsextremismus. 2 Bände. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2005.