Innerhalb von zehn Jahren ging die Kurve steil nach oben: Mitte der 90er-Jahre gab es in Deutschland 24 private Hochschulen, heute existieren 69 ihrer Art. Aber noch immer sind nur etwas mehr als zwei Prozent der insgesamt 1,8 Millionen Studierenden an Privathochschulen eingeschrieben. Was die Zahlen angeht, sind diese Hochschulen definitiv Randerscheinungen; das Fächerspektrum ist begrenzt überwiegend auf Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Ihre Verantwortlichen haben kein Problem damit, dies zuzugeben. Im Gegenteil, sie argumentieren mit der Kleinheit als Stärke. "Wir sind beweglicher und besitzen aufgrund unserer Unabhängigkeit vom Staat auch mehr Handlungsfreiheiten", sagt zum Beispiel Michael Zürn, Akademischer Direktor der Hertie School of Governance (HSoG) in Berlin. Für alle, von der HSoG über die Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung (WHU) im Koblenzer Vallendar über die Zeppelin University in Friedrichshafen zur Dortmunder International School of Management, gilt: Freiheit bei der Auswahl der Studenten, mehrere Fremdsprachen, frühzeitig Auslandssemester und Auslandspraktika. Der jahrelange "Reformstau" an den öffentlichen Universitäten und Hochschulen hat die Karriere der Newcomer begünstigt. Doch bei realistischer Betrachtung zeigt sich heute ein anderes Phänomen: Die Unterschiede zwischen beiden Sektoren beginnen sich aufzulösen. Schon sprechen Vertreter beider Seiten von einer gegenseitigen Befruchtung.
Die Privaten wirkten wie Reformhefe für die traditionellen Hochschulen. Der Wettbewerb steht über allem, er soll die Standards setzen. "In Zukunft wird es nicht mehr so darauf ankommen, welche Hochschule privat oder staatlich ist, sondern welche Qualität sie in Forschung und Lehre bietet", weiß Detlef Müller-Böling, Leiter des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE). "Es entsteht eine Leistungsspirale im Wettbewerb zwischen den privaten und staatlichen, die nach oben führt."
Konkret: Es ist einiges in Bewegung geraten, selbst bei der Finanzierung. Studiengebühren sind auch bei den staatlichen Hochschulen nicht mehr aufzuhalten. Umgekehrt halten die Privaten verstärkt Ausschau nach öffentlichen Mitteln. Denn so manche mit viel Euphorie und Idealismus gegründete private Hochschule musste ihre Ambitionen zurückschrauben oder sogar aufgeben. Die Kassel International Management School, 1999 von nordhessischen Unternehmern aus der Taufe gehoben, wurde vom Jahresbeginn 2005 als Einheit innerhalb der Universität Kassel weitergeführt. Zuletzt waren die Finanzierungsprobleme zu groß geworden, und die Zahl der Studenten blieb hinter den Erwartungen zurück. Ähnlich die Situation im Südwesten. Anfang 2005 übernahm die Uni Stuttgart rund 40 Prozent der Anteile des Stuttgart Institute of Management and Technology. Renommierte Großfirmen hatten sich, als der wirtschaftliche Durchbruch ausblieb, von dem Projekt verabschiedet.
Die Geldnot drückt auf beide Sektoren, den öffentlichen wie den privaten. Für die Privaten sei es momentan allerdings noch ungleich schwerer an öffentliche Fördergelder heranzukommen, bedauert Stephan A. Jansen, Präsident der Zeppelin University. Allerdings haben die Privaten hier auch noch einiges zu leisten. Es reiche eben nicht aus, nur eine hervorragende Ausbildung anzubieten, meint etwa Ulrich Brömmling von der Berliner HSoG, "man muss auch mit akademischer Exzellenz kommen". Jansen sagt: Eine private Hochschule könne mittelfristig nicht nur durch gute Lehrangebote bestehen, sondern müsse auch in der Forschung mithalten können. Die Frage ist: Werden sich auch Private um Teilhabe an dem Exzellenzprogramm zur Forschungsförderung bewerben können?
Bisher haben die privaten Hochschulen den Studierenden das sichere Gefühl vermittelt, sie seien die wichtigste Ressource für die Entwicklung des Landes, man kümmere sich um sie - auch im Blick auf die Zukunft. Ausländische Erfahrungen spielten dabei eine Rolle. Auch in diesem Punkt waren die Privaten der Reformmotor für die staatlichen Universitäten und Hochschulen, die sich nun ihrerseits dieser Ressourcen besser annehmen. Bei der inhaltlichen Profilbildung zeigen sich gleichfalls Annäherungen. Unter Qualitätsgesichtspunkten wird die Frage diskutiert: breites Studienangebot und Fächervielfalt oder doch lieber Konzentration auf bestimmte Bereiche? Selbst Fusionen erscheinen denkbar.
Die Hochschulreform wird den staatlichen Universitäten mehr Flexibilität bringen; Flexibilität war bislang ein Markenzeichen der Privaten. Die Universitäten werden in Zukunft - Stichwort stärkere Selbstverwaltung - mehr Möglichkeiten haben, selbst Studiengänge zu verändern, neu einzuführen oder auch zu schließen. Das war bisher äußerst schwierig. Die Universität Würzburg führt demnächst einen Studiengang "Technologie der Funktionswerkstoffe" ein - vor zehn Jahren war er beantragt worden, erst jetzt wird er realisiert. Unter dem Vorzeichen einer größeren Autonomie soll das künftig schneller gehen. Zur "Selbstverwaltung" wird auch gehören, dass sich die Universitäten künftig die Studenten aussuchen können - ein weiterer Schritt zur Annäherung zwischen öffentlichen und privaten Hochschulen. Aber ganz ohne Probleme wird diese Harmonisierung nicht verlaufen. "Denn bei der Selbstauswahl braucht man natürlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diese Auswahl auch vornehmen. Und nachdem die Universitäten eine sehr knappe Personaldecke haben, wird die Selbstauswahl sicherlich nicht sehr einfach sein", sagt der Würzburger Uni-Präsident Axel Haase.
Auf jeden Fall ist die Tür zu einer erweiterten Autonomie aufgestoßen. Und die Vertreter der staatlichen Hochschulen zeigen sich entschlossen, dieses Mehr an Freiheit offensiv zu nutzen und im Wettbewerb um Studenten die Stärken ihrer "Marke" auszuspielen. Auf einem Symposium des CHE und der HSoG in Berlin suchten sie zu demonstrieren, dass Flexibilität und Innovationsbereitschaft nicht nur bei den Privaten zu Hause sind. So ist an der Universität Bayreuth ein Masterprogramm "Philosophie and Economics" entstanden - aus einer Notsituation heraus: Ein Magisterstudiengang, in dem praktisch niemand mehr studierte, wurde durch ein internationales und interdisziplinäres Masterprogramm ersetzt. "Es wird inzwischen hoch nachgefragt", freute sich der Philosoph Rainer Hegselmann. Und Dieter Lenzen, Präsident der Freien Universität Berlin, verwies auf neue Wege beim Forschungstransfer: neben Firmenausgründungen (Spin Offs) und Auftragsforschung auch erste Ansätze zur Gründung gemeinsamer Innovationsunternehmen zwischen Hochschulen und privater Wirtschaft. Die "gegenseitige Befruchtung", von der die Hochschulmanager sprechen, ist kein Wahn. Sie wird zunehmend Wirklichkeit.