Die Fakten über den demografischen Wandel in Deutschland liegen auf dem Tisch, und allmählich folgen die Antworten darauf. So in der Hochschullandschaft, wo aufgefallen ist, dass 40 Prozent der Akademikerinnen kinderlos bleiben, obwohl 80 Prozent sich eigenen Nachwuchs wünschen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf - an den Hochschulen stellt sich die Frage auch für gut 100.000 Studenten, die bereits Kinder haben. Mancherorts werden sie geradezu umworben.
Er kann sich noch gut an die Situation erinnern, als er wissenschaftlicher Assistent war und seine Frau als Studentin ein Kind erwartete. Klaus Hembach hat sich damals mit anderen jungen Eltern an der Uni für eine Betreuungseinrichtung für Studentenkinder eingesetzt. Ein Novum. Denn ob Studenten sich um eigene Kinder kümmern mussten, war den Hochschulen seinerzeit ziemlich egal. Heute ist das etwas anders. In Zeiten des Nachwuchsmangels in allen Bereichen, hat bei manchen Hochschulen ein Umdenken eingesetzt. Wenn die Universitäten für qualifizierte Mitarbeiter attraktiv sein wollen, müssen sie Arbeitsbedingungen schaffen, bei denen sich Karriere und Kinder nicht mehr ausschließen. Das Zertifikat "Familienfreundliche Hochschule" wird dabei als Werbefaktor gezielt eingesetzt, auch wenn es mit einigen Mühen verbunden ist, es zu erlangen. Denn immerhin sind etwa sechs Prozent der Studierenden an deutschen Hochschulen (rund 120.000) auch gleichzeitig Eltern.
Klaus Hembach ist mittlerweile Kanzler der Universität Trier und wegen seiner eigenen Erfahrung an allem interessiert, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Studium verbessert. Deshalb hat seine Hochschule sich 2002 als eine der ersten an einem Forschungsprojekt der Hertie-Stiftung beteiligt. "Ich hatte den Eindruck, schon viel für Studenten und Mitarbeiter mit Kindern getan zu haben und wollte zunächst nur wissen, wo wir stehen." Als die externen Prüfer von der gemeinnützigen GmbH Beruf und Familie genauer nachforschten, zeigte sich jedoch, dass es mit Betreuungseinrichtungen für Kleinkinder nicht getan war. Denn was nutzt die schönste Kinderbetreuung, wenn Prüfungstermine und Arbeitszeiten nicht darauf abgestimmt sind ? Es gab noch keine Gleitzeit für Bedienstete der Universität, die Teilzeitarbeitsmodelle waren noch zu starr, die Prüfungsordnungen hatten auf die Terminprobleme schwangerer Studentinnen keine Antwort. Da musste die Universitätsleitung bei den Fachbereichen zunächst einmal ein Problembewusstsein wecken. "Schließlich wollten wir nicht, dass Eltern sich ständig als Bittsteller fühlen müssen", sagt Hembach.
Nach diesem ersten "Audit" hatte die Universität drei Jahre Zeit, die aufgefallenen Schwachpunkte zu korrigieren. Jährliche Berichte waren fällig, bis in diesem Jahr die zweite Prüfung anstand, die zur endgültigen Zertifizierung führte. "Für deutsche Verhältnisse waren wir schon ganz gut, aber wenn man sich mit Skandinavien, Frankreich oder den Niederlanden vergleicht, gibt es doch immer noch genug zu tun", unterstreicht der Kanzler. Auch nach dieser zweiten Prüfung, denn schließlich wird nach drei Jahren wieder evaluiert. Warum nimmt die Universitätsleitung in Trier das so wichtig? "Weil wir nicht wollen, dass Studenten ihre Ausbildung aus familiären Gründen abbrechen müssen oder unsere Mitarbeiter uns verlassen, weil sie die berufliche Belastung mit den familiären Pflichten nicht unter einen Hut bekommen." Zufriedenheit kann man nicht messen, ihren Erfolg nicht in Heller und Pfennig ausdrücken. Aber wenn Fehlzeiten bei den Universitätsangestellten sich signifikant verringern, hat sich der Einsatz auch unter Produktivitätsgesichtspunkten gelohnt, meint Kanzler Hembach.
So denken offenbar immer mehr Hochschulleiter. Auf 330 stieg die Zahl derjenigen, die ihre Institutionen auf Familienfreundlichkeit prüfen lassen wollen. Sie erarbeiten mit den externen Gutachtern maßgeschneiderte Konzepte. "Wir müssen manchmal darauf achten, dass sich die Hochschulen nicht übernehmen", sagt Stefan Becker, Geschäftsführer der Gemeinnützigen Gesellschaft Beruf und Familie. Je nach personellen, strukturellen und räumlichen Voraussetzungen sollte sich die eine Hochschule zunächst darauf beschränken, Informationsmaterial zusammenzustellen und Betreuungsmöglichkeiten zu fördern, während andere mit tiefgreifenden Strukturveränderungen bei Personalplanung und Prüfungsordnungen operieren können. Ideen gibt es offenbar zuhauf.
Oft helfen schon kleine Aufmerksamkeiten den studierenden Eltern, ihren Alltag besser in den Griff zu bekommen. So gestattet die Christian-Albrecht-Universität zu Kiel studierenden Eltern, über Nacht und am Wochenende Bücher aus den Präsenzbibliotheken auszuleihen. Ein Lern- und Übungsseminar soll jungen Eltern Arbeitstechniken und Zeitmanagement beibringen, mittels derer sie die Doppelbelastung besser bewältigen können. Das Studentenwerk hat in der Mensa einen Spielraum für Kinder eingerichtet und daran gedacht, Wickelmöglichkeiten auch in den Herrentoiletten einzurichten. An der Universität des Saarlandes wandte sich ein Workshop speziell an Väter und solche, die es werden wollen. Das mit Hilfe der Bundesministerien für Familie und Wirtschaft angeschobene Projekt muss zwar demnächst aus eigener Kraft weitermachen. Je nach Anzahl der Studenten kostet ein Audit der Gesellschaft Beruf und Familie zwischen 8.500 und 12.000 Euro. In Hessen übernimmt das Land diese Kosten. Es scheint sich zu lohnen - jedenfalls, wenn man sich die Eigenwerbung der bisherigen Teilnehmer anschaut.
Die Fachhochschule Nürnberg beispielsweise wirbt mit 100 Arbeitszeitmodellen und dem Vorhaben, demnächst verstärkt E-Learning und Teilzeitstudiengänge anzubieten. In Leipzig, wo das Studentenwerk in der "Villa Unifratz" 27 Betreuungsplätze für Kinder ab zwei Monaten anbietet, Wohngemeinschaften für Alleinerziehende und Familienappartements im Studentenwohnheim vorhält und sogar einen über Semestergebühren finanzierten Kinderladen für die stundenweise Betreuung, frohlockt Beraterin Angelika Stoll: "Es werden wieder mehr Kinder geboren und auch die Eltern sind wieder jünger."
Doch die Betreuungsmöglichkeiten sind noch längst nicht überall so gut. An der Uni Hamburg haben sich schon 1999 studierende Eltern zu einer Selbsthilfegruppe zusammengeschlossen. Im AStA bieten sie ausführliche Beratung für Schwangere und frischgebackene Eltern an. "Bei uns muss die stundenweise Betreuung von Kleinkindern selbst organisiert werden", sagt Daniela Kock. Immerhin bietet das Gelegenheit für die Betroffenen, bei den "Uni-Eltern" Erfahrungen auszutauschen und Anliegen zu formulieren. "Doch insgesamt geht alles, was mit Kindern zu tun hat, hier eher schleppend."
Die 28-Jährige studiert seit zwölf Semestern Englisch und Theologie für das Lehramt; sie will in zwei Semestern ihr Staatsexamen ablegen. "Natürlich dachte ich anfangs, ich steig schnell wieder ins Studium ein und kann auch noch meinen 20-Stunden-Job erledigen." Doch Sohn Lukas brachte Daniela Kock und ihren - ebenfalls studierenden - Lebensgefährten schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Erst ein Freisemester und dann noch eins - zum Glück sind die Großeltern in der Nähe und können jetzt auch einmal einspringen, wenn es Terminkollisionen gibt. Strenge Fehlzeitenregelungen können studierende Eltern schon ganz schön in Bedrängnis bringen; denn wer mehr als zweimal im Seminar fehlt, bekommt den Teilnahmeschein nicht. Es gibt Fachbereiche, an denen ein Auge zugedrückt wird, wenn kranke Kinder der Grund für das Fehlen waren, "aber bei den Medizinern zum Beispiel sind Kinder nicht vorgesehen und die nehmen auch keinerlei Rücksicht", meint Daniela Kock.
In den Beratungsstunden der "Uni-Eltern" in Hamburg dreht sich aber zunächst einmal alles ums Geld. Denn in den seltensten Fällen ist der Nachwuchs bei Studenten geplant. Sie stehen plötzlich vor der Frage, wie sie ein kleines Kind durchfüttern sollen, wo sie doch weder mehr BAföG-Unterstützung bekommen noch sich nebenbei etwas dazuverdienen können. Sozialgeld, Kindergeld, Zuschüsse für die Erstausstattung - das muss alles bekannt sein und rechtzeitig und richtig beantragt werden. Und dann macht unter den Ministerpräsidenten das Modell "Studiengebühren" die Runde, bei dem junge Eltern - zumal wenn sie beide noch studieren - regelrecht Existenzängste bekommen. "In Hamburg gibt es im Gesetzentwurf dafür keine einheitliche Lösung. Nur für gute Leistung soll man von den Gebühren befreit werden, andere Fälle stehen im Ermessen der jeweiligen Hochschule. Da fürchten jetzt schon viele, die ein Kind bekommen, dass sie ihr Studium aufgeben müssen", weiß Daniela Kock. Sie selbst hat den Schritt nie bereut, ganz bewusst während des Studiums ihr erstes Kind zu bekommen: "Den richtigen Zeitpunkt dafür gibt es sowieso nicht." Es soll auch nicht das einzige bleiben; allerdings wird Lukas auf sein Geschwisterchen auf jeden Fall warten müssen, bis seine Mutter das Erste Staatsexamen geschafft hat.
Die Autorin ist freie Journalistin in Dresden.