Kurslaufzeit: durchgehend; freie Plätze: unbegrenzt; Kursanmeldung: 00.00 bis 23.59 Uhr. Was ein wenig futuristisch anmutet, gehört für Eric Hilgendorf fast schon zum Berufsalltag. Hilgendorf ist Juraprofessor an der Julius-Maximilian-Universität in Würzburg. Mit seinen fünf Online-Kursen zum Thema Strafrecht erreicht er derzeit 6.000 von 20.000 Jurastudenten in Bayern. "Wir sind jetzt am Limit", sagt der Professor mit Blick auf die Kapazitäten. Hilgendorf hat den Stoff seiner Standardvorlesung in Lerneinheiten unterteilt. Die Veranstaltung ist Teil der Virtuellen Hochschule Bayern (VHB), ein Verbund aus mehreren Universitäten, der vor fünfeinhalb Jahren gegründet wurde, rund 170 Veranstaltungen online anbietet und es derzeit rund 21.000 Studierenden ermöglicht, ihr klassisches Präsenzstudium durch E-Learning-Veranstaltungen zu ergänzen. Hilgendorfs Studenten steht - zu Hause, in der Mensa, im Zug oder wo auch immer - ein Lernteil und ein Testteil zur Verfügung. Sie können Übungsklausuren einschicken, die in Würzburg korrigiert werden, sie kommunizieren mit ihrem Professor via E-Mail oder Videokonferenz, und sie können sich ihre Arbeitszeit völlig selbstständig einteilen. Für die persönliche Betreuung stehen Mitarbeiter zur Verfügung, die an die jeweiligen Universitäten reisen. Am Ende steht die Examensklausur in Würzburg. "Es handelt sich um eine eigenständige neue Lehrform", betont der Strafrechtler, "die mehr und anderes bietet als bloß digitalisierte Bücher und Skripte".
Beinahe vollständig virtualisierte Veranstaltungen sind jedoch eher noch die Ausnahme in der deutschen E-Learning-Landschaft. Der größte Teil des Angebots liegt im Bereich der veranstaltungsbegleitenden Materialien. 85 Prozent der Studierenden griff im Jahr 2003 auf solche Materialien zurück, besagt eine repräsentative Online-Erhebung des Hochschul-Informationssystems (HIS) in Hannover, die Ende 2004 mit rund 4.000 Studierenden durchgeführt wurde. Drei Jahre zuvor waren es nur 34 Prozent gewesen. 23 Prozent der Befragten nutzten interaktive Selbstlernangebote. Immerhin 90 Prozent der befragten Studis verfügten über einen eigenen Internetzugang, davon 54 Prozent sogar über einen Breitbandanschluss. Der Bekanntheitsgrad rein virtueller Veranstaltungen, war zwischen 2000 und 2003 aber lediglich von neun auf zwölf Prozent gestiegen.
E-Learning als "selbstzweckhaftes Experimentierfeld" sei weitgehend passé, resümieren die Autoren, als Instrument einer zukunftsorientierten Hochschulentwicklung dagegen "brandaktuell". Zehn Millionen Euro hat etwa der Stadtstaat Hamburg zwischen 2002 und 2006 in die E-Learning-Förderung gesteckt. Nach der Contententwicklung ginge es nun darum, einen ganzheitlichen Ansatz hin zu einer neuen Hochschulkultur rund um den E-Campus zu entwickeln, berichtet Ulrich Schmid, Geschäftsführer des Multimedia Kontor Hamburg, das die Virtualisierung der Lehre in der Hansestadt leitet. Schmid sieht den Mehrwert des E-Learning nicht nur in der multimedialen Verbesserung der Präsenzlehre, sondern langfristig auch Rationalisierungspotentiale, wenn es darum geht, künftig erwartete Heerscharen von Studenten durch die Uni zu schleusen. Das wirtschaftliche Potential für den Regellehrbetrieb sei zwar noch nicht näher beleuchtet worden. "Die Basiskompetenzfächer sind gar nicht anders zu bewältigen", prognostiziert der Experte jedoch.
Dank des Aufschwungs der vergangenen Jahre hat Deutschland nach Einschätzung des HIS-Experten Klaus Wannemacher mit seinem E-Learning-Angebot international inzwischen einen ganz guten Stand. "Die Zukunft jedoch gehört dem so genannten Blendid-Learning, also einer Mischung aus virtuellem und klassischem Studium", sagt der Fachmann. Auf dieses Konzept setzt auch die Technische Universität Darmstadt (TUD). Zu den Ansprüchen einer universitären Erstausbildung gehöre schließlich auch das "Hineinwachsen in eine Profession", betont die Geschäftsführerin des E-Learning-Centers an der TUD, Susanne Offenbartl. "Das kann man nicht online abbilden." So heißt das E-Learning-Leitbild an der TUD Dual-Mode - eine systematische Verschränkung von Präsenz-und Online-Lehre. 64 Projekte gibt es bereits. Bis 2010, hat sich die TUD unter anderem vorgenommen, sollen 17.000 Studierende die unterschiedlichen Lernplattformen nutzen, und die Zahl der gleichzeitig ablaufenden
Professoren, die persönliche Vorbilder "als Mensch und Fachmann" für die Studierenden sind, und den Erwerb von sozialen Kompetenzen, die nur ein Präsenzstudium ermöglicht, will auch Eric Hilgendorf erhalten. Und der Strafrechtler sieht weitere Probleme des Computerstudiums: Automatisierte Lernprogramme könnten zu oberflächlichem, rein faktenorientiertem Lernen führen, viele Rechtsfragen seien derzeit noch ungeklärt und E-Learning sei nicht gleich E-Learning, weil viele Angebote noch nicht zertifiziert seien. Dennoch ist der Jurist überzeugt: "Der Computer wird ein ebenso selbstverständlicher Teil der Lehre sein, wie es Buch und Papier heute sind."