Susanne Reichrath ist zurzeit im Saarland viel unterwegs, und bei ihren Besuchen vor Ort zeigt sich die Kultus-Staatssekretärin spendabel. Ob in den Grundschulen Schmelz-Hüttersdorf, Kirkel oder Furschweiler, ob in der Schule für geistig Behinderte in Merzig-Merchingen: Stets überreicht sie Schecks über mehrere hunderttausend Euro. Zuweilen schaut ihr Chef persönlich vorbei: So tritt in der Grundschule von Bous CDU-Minister Jürgen Schreier als Überbringer des Geldsegens auf. Dass die Lokalpresse über solche Visiten berichtet, ist für Schreiers und Reichraths Polit-PR in der Öffentlichkeit natürlich nicht abträglich. Die Zuschüsse fließen in Investitionen beispielsweise für neue Pavillons oder für Erweiterungsbauten von Turnhallen, wo Schüler nachmittags betreut werden. Dem Ressortchef und seiner Staaatssekretärin fällt die Großzügigkeit leicht: Die Mittel stammen nicht aus dem überschuldeten Landesetat, sondern aus dem Vier-Milliarden-Euro-Projekt des Bundes zur Förderung von Ganztagsschulen.
Aus diesem Investitionsprogramm "Zukunft, Bildung und Betreuung" (IZBB) erhält das Saarland 50 Millionen Euro bis 2007. Bernhard Bone, Referatsleiter Statistik im Ministerium, rechnet vor, dass das Saarland bereits an die 14 Millionen Euro und damit fast 30 Prozent der für den Südwesten reservierten Bundesgelder abgerufen hat, womit man im Ländervergleich in der Spitzengruppe rangiere. Zudem betont er, dass die Saar mit rund 260 Einrichtungen in allen Schulzweigen republikweit "die größte Zahl an Standorten mit Nachmittagsbetreuung hat". Staatssekretärin Reichrath: "Kein anderes Bundesland besitzt bei den Ganztagsschulen ein derart dichtes Betreuungsnetz."
Im Saarland puschen die IZBB-Gelder die "Freiwilligen Ganztagsschulen", die Minister Schreier als "Erfolgsmodell" preist. Dieses Lob des CDU-Politikers wird indes keineswegs überall geteilt. Es wird vielmehr heftig über dieses Thema gestritten: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Elternvertretungen und die Opposition im Landtag kritisieren Schreiers Kurs als pädagogisch-konzeptionell unzureichend. Der GEW-Vorsitzende Klaus Kessler findet die Zahl der Einrichtungen durchaus beeindru-ckend. Freilich handele es sich um "äußerst fragwürdige Betreuungsmodelle". Kessler wirft dem Minister einen "Etikettenschwindel" vor: "Wo Ganztagsschule draufsteht, muss auch Ganztagsschule drin sein."
Bislang haben an der Saar nur fünf echte Ganztagsschulen das Licht der Welt erblickt. Die "Freiwillige Ganztagsschule" ist anders gestaltet. Träger vor Ort sind zuweilen Schulfördervereine, meist jedoch Organisationen wie etwa DRK, Arbeiterwohlfahrt, Diakonie oder Caritas. Deren Mitarbeiter beaufsichtigen bis 14 oder 16 Uhr das Erledigen von Hausaufgaben und organisieren Lesestunden, Musikübungen, Kochkurse, Basteln oder Sport. Eltern zahlen im Schnitt monatlich 60 Euro pro Kind für die Teilnahme. Die Regierung subventioniert die Personalkosten jährlich landesweit mit 3,5 Millionen Euro, wozu auch wöchentlich drei Lehrerstunden je Standort gehören. Klaus Funck, Abteilungsleiter für Allgemeinbildende Schulen im Ministerium, sagt, diese Form der Betreuung sei "nicht als Verlängerung der Schulzeit in den Nachmittag gedacht, die Eltern sollen vielmehr wissen, dass ihre Kinder gut aufgehoben sind".
Genau diese Linie ist den Kritikern ein Dorn im Auge. "Die Betreuung im Sinne von Versorgung hat Vorrang vor Bildung und Erziehung", moniert der GEW-Vorsitzende Kessler, es mangele "an Fachpersonal". Auch Jörg Dammann plädiert für mehr Qualität und mehr Professionalität. "Drei Lehrerstunden je Standort in der Woche reichen nicht", so der Vorsitzende der Landeselternvertretung (LEV) an den Grundschulen, "da gibt es Nachholbedarf". Weil es kaum um eine Vertiefung der Bildung gehe, klagt Kessler, "nützt diese Nachmittagsbetreuung schwächeren Schülern wenig und gleicht soziale Benachteiligungen nicht aus".
Landesweite statistische Daten über die Teilnahme von Schülern hat das Ministerium noch nicht ermittelt, auf jeden Fall schickt bisher nur eine Minderheit der Eltern ihren Nachwuchs in die "Freiwilligen Ganztagsschulen". Kessler und Dammann führen diese Zurückhaltung nicht nur auf das pädagogische Konzept, sondern auch auf die recht hohen Kosten zurück. GEW und LEV verlangen eine gebührenfreie Nachmittagsbetreuung.
Helfen kann aus Sicht der GEW nur ein flächendeckendes Angebot an kostenlosen echten Ganztagsschulen. Auch wegen der 2001 verfügten landesweiten Einführung des achtjährigen Gymnasiums (G 8) und der damit verbundenen Stoffverdichtung fordert die SPD-Opposition im Landtag ebenfalls eine solche Lösung. Der SPD-Bildungspolitiker Reiner Braun: "G 8 ist nur mit einer echten Ganztagsschule zu bewältigen." Ursula Gressung-Schlobach, Vorsitzende der Gemeinnützingen Gesellschaft Gesamtschule und Leiterin einer solchen Einrichtung, hat Bemerkenswertes beobachtet: Seit der Etablierung von G 8 würden wegen des verstärkten Drucks und der Stofffülle immer mehr Gymnasiasten auf eine der 15 Gesamtschulen wechseln.
Hier kann man das Abitur weiterhin nach neun Jahren absolvieren. Der Streit über Ganztagsschulen dürfte an der Saar fortdauern. Mehr und professionellere Betreuung? Da wird die CDU-Regierung angesichts der Haushaltsnotlage stets auch auf die leeren Kassen verweisen.