Schöne Ausstellung. Danke." Solche Kommentare stehen meist in Büchern, in die sich Ausstellungsbesucher nach beendetem Rundgang eintragen können. Nicht so bei der Ausstellung "Rock! Jugend und Musik in Deutschland". Die Sex Pistols und der Beginn des Punk hätten gefehlt, das Thema Rockmusik und Politik käme zu kurz und überhaupt, die Bands Tocotronic und Blumfeld könnte man doch nicht in einem Atemzug mit Juli und Silbermond nennen. Diese Gästebuch-Kommentare bedeuten jedoch nicht, dass die Ausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig nicht sehenswert wäre. Im Gegenteil. Den Machern geht es weniger um Vollständigkeit als vielmehr um Rock als Jugendkultur, als Lebensgefühl.
Rockmusik ist mehr als ein Musikstil. Es ist die Revolte der Jugend, es ist die Auflehnung gegen die Werte der bürgerlichen Gesellschaft und gegen die von Erwachsenen verordneten Regeln. Rockmusik hat die Träume ganzer Generationen geprägt. Daraus gingen neue Bands und Subkulturen hervor, die damit zum Symbol auch einer bestimmten politischischen Haltung wurden.
Die Ausstellungsmacher haben nicht nur die deutsche, sondern die deutsch-deutsche Geschichte des Themas erzählt. Dabei unterscheiden sich die Jugendlichen in Ost und West nicht so sehr in der Wahl ihrer Bezugspunkte - Stars wie Elvis oder die Beatles werden in Ost und West gleichermaßen verehrt -, sondern in der Richtung ihres Protestes. In Bezug auf die Rock'n'Roll-Welle der 50er-Jahre schreibt Kurator Bernd Lindner im Katalog zur Ausstellung: "Wehrten sich die Jugendlichen im Westen damit vor allem gegen die moralische Bevormundung durch ihre Eltern, richtete sich die Auflehnung im Osten verstärkt auch gegen den Staat und seine Institutionen." Parallelen und Gemeinsamkeiten werden in der Ausstellung visualisiert: Auf rotem Hintergrund hängen die Exponate, die von Jugend, Rock und Subkulturen in der DDR berichten, und vor blauer Wand die Gegenstücke aus der Bundesrepublik. Auf der einen Seite der Ausstellung ist die "Rock'n'Roll-Schrittfolge auf dem Boden angebracht. Gegenüber klebt der Lipsi-Tanzschritt. Es war der Versuch der SED-Führung, der Jugend in der DDR eine sozialistische Alternative zum Rock'n'Roll zu verordnen. Ohne Erfolg: Die Rock'n'Roll Liebhaber wollten partout nicht danach tanzen.
Der Rock'n' Roll galt als Taktgeber für den Aufschrei der Jugend und wurde von der Ost-Berliner "Jungen Welt" am 19. November 1958 als "transatlantischerVeitstanzmusik" bezeichnet, allen voran die "Heulboje Elvis Presley", die als "Geschütz im kalten Krieg" enttarnt wurde. Doch Elvis wurde trotzdem geliebt in Ost und in West sowieso. Hinter Glas hängt ein Brief an: "My Dear Friends in Germany", den er 1957 an die Zeitschrift Bravo geschrieben hat. "Mehr und mehr erkenne ich, dass Teenager in der ganzen Welt viel Freude an den gleichen Dingen haben", stellt Elvis darin fest.
Für Kurator Bernd Lindner drückt dieser Satz die Kernbotschaft der Ausstellung aus. Die führt chronologisch und mit der jeweils passenden Rundumbeschallung bis in die Gegenwart. Anfangs können die Stile noch eindeutig einer Zeit zugeordnet werden: Elvis und Rock'n'Roll für die 50er-Jahre, die Beatles und Beat-Musik für die 60er-Jahre und schließlich die deutsche Rockmusik der 70er-Jahre. Die Ausstellung stellt Nina Hagen nebst ihren Holzkisten mit denen sie 1976 in den Westen ging, als deutsch-deutsche Ikone ins Zentrum dieser Phase. Erfolge und provozierende Auftritte hatte sie auch im Westen. Neu war das Heimweh. An ihre Mutter schrieb sie ratlos: "Ich bin weg. Wo is'n das donnernde Leben?" Flankiert wird Nina Hagen von Kraftwerk, Udo Lindenberg, Marius Müller-Westernhagen und Herbert Grönemeyer. Doch spätestens seit den 80er-Jahren lösen sich die Trends in immer kürzeren Zeiträumen ab, spaltet sich die Jugendkultur in Subkulturen auf: Punks, Gothics, New Waver, Heavy Metals, Hip-Hoper und Skinheads unterscheiden sich nicht nur in Kleidung und Musik, sondern auch in ihrem Lebensgefühl.
Kurator Bernd Lindner musste sich deshalb von Beginn der Recherchen an auf den schmalen Grat zwischen Auswählen und Auslassen begeben. Nur ein Drittel der Exponate, die die Ausstellungsmacher in zweieinhalb Jahren zusammengetragen haben, sind nun in Leipzig zu sehen - insgesamt sind es 1.200 Zeugnisse der Rockgeschichte. "Wir haben versucht, die Aufbruchstimmungen in der Rockkultur aufzuspüren", erklärt Lindner. Ausgewählt wurden schließlich solche Stücke und Tondokumente, die eine Verbindung zwischen der internationalen Rockszene und den deutsch-deutschen Subkulturen herstellen: ein selbst geschneidertes Hippiehemd; Erinnerungen an den illegalen Ost-Rocksender "Sender Freies Paunsdorf" oder Viva, das wiederum die deutsche Alternative zu MTV symbolisert. Stellvertretend für die Träume der 90er-Jahre sind Kassettenrekorder, Langspielplatte und T-Shirt ausgestellt, gekauft vom Begrüßungsgeld nach dem Mauerfall.
Die Stärke der Ausstellungsmacher des Zeitgeschichtlichen Forums ist es, Geschichte erlebbar zu machen. Darauf setzen sie auch in ihren Wechselausstellungen. Klassische Techniken, wie Exponate hinter Glas zu zeigen, werden verbunden mit Medienstationen, an denen Videoclips und Filme angesehen, alte Radioaufnahmen oder Musiktitel angehört und Dokumente angefasst und gelesen werden können - man kann sich sogar an die Turntables stellen und DJ spielen. Um es kurz zu fassen: Diese Ausstellung rockt.