Äußerlich betrachtet schien die Zusammenkunft hochrangiger Vertreter des SS- und Polizeiapparates, der Ministerialbürokratie und der NSDAP nicht mehr als ein administrativer Akt zu sein. Was indes besprochen wurde, das war die von den Beteiligten so genannte "Endlösung der Judenfrage". Jene "Besprechung mit Frühstück" sollte unter dem Namen "Wannsee-Konferenz" für immer einen der vordersten Plätze in der langen Liste der Maschinerie des Schreckens des 20. Jahrhunderts einnehmen. Wer sich ihr scheinbar harmloses Zeremoniell anschaut, der findet Hannah Arendts oft zitierte Worte von der "Banalität des Bösen" nachhaltig bestätigt.
Es mussten 50 Jahre verstreichen, bis sich der Berliner Senat dazu durchringen konnte, in der Villa eine Gedenk- und Bildungsstätte einzurichten. Jahrzehnte hatten Holocaust-Überlebende, wie der Historiker Joseph Wulf für dieses Ziel gekämpft. 1992 dann wurde die lang ersehnte Gedenkstätte eröffnet. Seither haben mehr als 760.000 Besucher - nahezu die Hälfte aus dem Ausland - die im Erdgeschoss angesiedelte Dauerausstellung mit dem Titel "Die Wannsee-Konferenz und der Völkermord an den europäischen Juden" besucht. Auch wenn mit dem neuen Dokumentationszentrum unter dem Holocaust-Mahnmal nun in Berlin ein weiterer Ort geschaffen worden ist, an dem an den Völkermord an den europäischen Juden erinnert wird, so gehört diese Schau am westlichen Rand der Hauptstadt aufgrund der Vielzahl der Dokumente noch immer zu den umfangreichsten Darstellungen zur Geschichte des Holocaust.
Und doch: Die bisherige Ausstellung hat nicht immer dazu beitragen können, einen weit verbreiteten Irrtum zu korrigieren: An jenem Januarmorgen des Jahres 1942 ist der Massenmord an den europäischen Juden nicht erdacht und geplant worden. Als sich mit dieser "Staatssekretärsbesprechung" die gesamte administrative Führung des nationalsozialistischen Deutschlands zu Mitwissern und Mittätern des Verbrechens machte, war die massenhafte Vernichtung von Menschenleben bereits in vollem Gang. Spätes-tens im Sommer 1941 war jene Todesmaschinerie angelaufen, der bis zum Ende der Nazidiktatur rund sechs Millionen Juden zum Opfer fallen sollten. Die Konferenz wurde anberaumt, um Zuständigkeiten zu klären; um konkrete Schritte bei der Durchführung von Deportation und Mord zu planen. Das Ziel aber stand bereits längst fest.
Besonders die Dokumente, die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in Archiven in Mittel- und Osteuropa aufgetaucht sind, konnten in den letzten Jahren dabei behilflich sein, das Bild von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu vervollständigen und in Teilen zu korrigieren. Und dieser neueste Stand der Forschung konnte an der seit 14 Jahren gezeigten Dauerausstellung nicht spurlos vorbeiziehen.
600.000 Euro, aufgebracht aus Sondermitteln des Kulturstaatsministers und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie, sind daher in den letzten Monaten darauf verwandt worden, eine Neukonzeption zu erstellen. Am 20. Januar, dem Jahrestag der Konferenz, ist diese Ausstellung nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Gezeigt werden jetzt nicht nur neue Dokumente; auch die didaktischen Erfahrungen, die man in den letzten Jahren im Haus sammeln konnte, sind mit in die erneuerte Ausstellung eingeflossen.
Unter Leitung von Norbert Kampe, seit acht Jahren Direktor der Gedenkstätte, ist ein Ausstellungsrundgang entstanden, der nicht nur die Täter und die von ihnen erdachten Strukturen des industriellen Tötens in den Blick nimmt. Mehr als zuvor werden auch die Opfer und repräsentative Einzelschicksale berücksichtigt. Am Beispiel von vier jüdischen Familien aus Deutschland, Frankreich und Polen wird die Totalität des Grauens für den Besucher der Gedenkstätte fassbar. Bereits im ersten Raum der Ausstellung, der eine kurze Einführung in die Gesamtthematik bietet, werden die Geschichten von vier Familien vorgestellt. Ihre Schicksale werden im Laufe des Parcours, der durch insgesamt 15 Räume führt, immer wieder auftauchen. Während die alte Schau mit ihrem Schwerpunkt auf Deportation und Konzentrationslager die Folgen der Konferenz in den Mittelpunkt gestellt hatte, wird nun auch ausgiebig die Vorgeschichte thematisiert. Denn der Weg in die Vernichtungslager wurde nicht erst durch die Fantasien eines Adolf Hitler geebnet. Mit dem Aufkommen des Rassenantisemitismus im 19. Jahrhundert und der völkisch-nationalen Propaganda während der Weimarer Republik wurden die Grundlagen für jenen Hass gelegt, der sich später in Auschwitz, Treblinka oder Majdanek so barbarisch entladen sollte. Von den ersten Boykotten über die jüdischen Auswanderungswellen und die Novemberpogrome von 1938 zeichnet die Ausstellung den Weg bis zu den Krematorien der Vernichtungslager nach.
Auch der Krieg im Osten mit seinen Plünderungen und Massenerschießungen bekommt nun einen eigenständigen Präsentationsraum. Auf schwebenden Textbändern werden historische Fotos und Schriften präsentiert, in denen das Grauen und die perfide Denkungsart des Tötens bis in die Gegenwart hinein nachhallt. So etwa auf jenem in Moskauer Archiven gefundenen Telegramm des Befehlshabers des Sicherheitsdienstes in Kaunas, Karl Jäger, der die bis zum 1. Februar 1942 in dieser Region durchgeführten Exekutionen fein säuberlich auflistet und addiert. Er reiht ermordete Juden, Kommunisten oder Partisanen aneinander; trennt, was dem selben weltanschaulichen Wahn entsprungen ist.
Obwohl die neue Ausstellung den größten Teil der alten Dokumente und Texttafeln nicht übernommen hat, ist der eigentliche Kern dieses historischen Panoramas erhalten geblieben. Wie beispielsweise das von Adolf Eichmann verfasste Protokoll der Konferenz, welches wenige Jahre nach Kriegsende wieder aufgetaucht war. Im eigentlichen Konferenzsaal gibt es bis heute nicht nur Auskunft über den Tagungsverlauf, es verdeutlicht zudem, mit welch sprachlicher Raffinesse die Versammelten selbst einen millionenfachen Mord noch schönzureden wussten.
Am Ende, wenn man als Besucher die mittels der neuen Architektur leicht und schwebend präsentierten Informationen dennoch als inhaltlich so bedrück-ende in sich aufgenommen hat, führt ein schmaler Raum ins Freie zurück. Hier stehen einzelne Zitate von Überlebenden in großen Lettern an der Wand. Darunter ein Wort von Primo Levi: "Mir war, als müsse jeder uns Fragen stellen, uns an den Gesichtern ablesen, wer wir waren, demütig unsere Berichte anhören. Aber niemand sah uns in die Augen, niemand nahm die Herausforderung an." Die nun erneuerte Dauerausstellung wird diese schmerzlich gemachten Erfahrungen nicht wettmachen können. Sie kann aber dabei helfen, ein Stück dieser Herausforderung anzunehmen und in die Zukunft zu tragen.