Als Handys noch rar waren, also Anfang der 90er-Jahre, da hatte ich bereits eines. Es war eher eine Kiste, aber sie machte mobil. Mein aktueller Computer kann hundert Mal mehr, als der, den ich damals hatte. Aber auch er half mir bei der politischen Arbeit. Wobei "Newsletter", "Googeln" und "Weblogs" seinerzeit noch Unbekannte waren. Ich fand den Mobilfunk und den Computer einfach hilfreich für meine politische Arbeit. Prägend wurden sie erst später.
Heute beginnt mein Tag im Internet. Und er endet mit ihm. Morgens verschaffe ich mir einen Überblick: Was gibt es Neues und was könnte für mich heute wichtig sein. Abends speise ich ein: Was habe ich heute getan und was fand ich heute wichtig. Dafür biete ich seit Jahren, auch als dies für andere Bundestagsabgeordnete noch längst nicht Usus war, eine eigene Webseite an.
Das Internet ist etwas Anderes, als das gute alte Dampfradio oder die Rudi-Carell-Show. Es folgt anderen Kommunikations-Regeln. Und es wächst und wächst und wächst. 1997 habe ich einen Gerichts-Prozess begleitet. Es ging um die Frage, ob man das Internet zensieren sollte. Genauer: Ob man es kann? Das war die eigentlich neue Frage. Es funktioniert halt anders als das ZDF-Morgenmagazin oder der ARD-Abend bei "Christiansen".
Zur selben Zeit wurde uns klar, dass man am weltweit vernetzten Computer mehr braucht, als ein paar Geräte mit Ein- und Aus-Schalter. Zunehmend gefragt ist Medienkompetenz. Ich war damals Landesvorsitzende der Berliner PDS. Wir eröffneten ein Internet-Café. Heute gibt es sie an allen Ecken. Aber 1998 schufen wir ein Exklusivangebot. Allemal für viele, die sich keinen eigenen Computer leisten konnten. Wir boten kostenlose Lebenshilfe an.
Damals war Bundestagswahlkampf und erstmals zog ich mit einer eigenen Webseite ins Rennen. Es war ein Zusatzservice für Insider und besonders Neugierige. Heute sind eigene Seiten ein Muss. Kommunikationsforscher prophezeien seit längerem: Das Internet wird immer wahlentscheidender. Ich habe es im vergangenen Spätsommer erlebt. AOL bat mich, für die Linkspartei.PDS einen Weblog zu schreiben. Binnen weniger Wochen hatte ich dort mehr als 70.000 Zugriffe auf meine Tageseinträge. Leute, die ich sonst nie erreicht hätte.
Die Parteien haben, so steht es im Grundgesetz, an der politischen Willensbildung teilzunehmen. Dieser simple Satz hat praktische Folgen. Ich kann als Politikerin tun und lassen, was ich will. So lange es niemand wahrnimmt, ist alles für die Katz. An diesen bekannten Grundsatz wurde ich erinnert, als ich nach der Bundestagswahl 2002 plötzlich gemeinsam mit Gesine Lötzsch "allein" im Bundestag saß. Wir waren zu klein für die großen Medien. Die PDS im Bundestag wurde öffentlich ausgeblendet, abgeschaltet.
Egal, was wir kritisierten, egal, was wir entwickelten, wir fanden politisch nicht statt. Die parlamentarische Linke war out. Uns blieben nur zwei Wege, mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch zu kommen. Wir reisten nahezu an jedem sitzungsfreien Tag kreuz und quer durch die Bundesrepublik. Und wir bauten unser Internet-Angebot aus. Die Zahlen gaben mir Recht. Immer mehr griffen auf meine Webseite zu, immer mehr abonnierten meinen Newsletter, immer mehr nutzten das Dialogangebot auf meinem "Internet- Treffpunkt".
Reaktionen wie diese, ermutigen mich: "Liebe Petra, seit einiger Zeit erhalte ich Euren Newsletter. Ich finde die kurzen Informationen prima. Die Nutzung von 'Langfassungen' der Standpunkte, auf die Ihr hinweist, hat mir schon so manches Argument geliefert. Vielen Dank und macht weiter so…" Der Hinweis auf "Langfassungen", dass gezielte Verlinken, das Verweisen auf andere, gehört zu meiner Internet-Philosophie und zu meinem Demokratieverständnis.
Zum Beispiel auf "Campact". Dort werden Tausende Menschen mit wenig Zeit politisch via Internet aktiv. Sie beteiligen sich an Kampagnen zu aktuellen Themen - per Mausklick. Sie lassen sich nicht lau berieseln oder schlecht vertreten, sie greifen ein. Volksabstimmung über die EU-Verfassung oder Transparenz bei Abgeordnetenbezügen, das sind nur zwei von viel mehr Themen, denen sich "Campact" 2005 gewidmet hat.
Das Internet bietet also eine demokratische Plattform gegen den gesteuerten Mainstream - so lange es frei ist. Das schließt Missbrauch nicht aus. Es gibt ihn. Aber die Moral oder Unmoral, die dem Internet innewohnt, ist ihm nicht anzulasten. Es spiegelt die Gesellschaft. Es macht sie transparenter und damit demokratischer.
Die Autorin ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Mitglied der Fraktion Die Linke.
www.petrapau.de