Ich persönlich glaube, dass wir ein historisches Recht auf das ganze Land Israel haben", sagte Olmert. "Das Siedlungsprojekt war nicht umsonst. Aber mit weinenden Augen und zerrissenem Herz müssen wir für eine jüdische Mehrheit sorgen; daher ist die Teilung des Landes der Rettungsanker des Zionismus."
Der Plan zur Räumung entlegener jüdischer Siedlungen wird von der Angst bestimmt, dass die Juden in wenigen Jahren nur noch eine Minderheit zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer sein werden. Bereits heute leben westlich des Jordans 5,3 Millionen Juden neben 4,8 Millionen Palästinensern, von denen 1,4 Millionen in Israel leben. Der Rückzug aus Gaza und Teilen der Westbank soll zu einer stabilen jüdischen Mehrheit in den von Israel kontrollierten Gebieten führen.
Olmerts Problem ist jedoch, dass sein einseitiger Rückzug gegen die so genannte Road Map, den einzigen aktuellen Plan zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes, verstößt. Der vom Nahost-Quartett (USA, UN, EU und Russland) 2003 entworfene Plan wurde bisher jedoch von beiden Seiten nicht umgesetzt. Die Palästinenser haben die Gewaltanwendung nicht eingestellt. Die neue Hamas-Regierung duldet sie sogar öffentlich als "legitimes Mittel gegen die Besatzung", wie Außenminister Mahmud A-Zahar jüngst verkündete. Die Nominierung des gesuchten Terroristen Jamal abu Samhadana als neuen Sicherheitschef im Gazastreifen sowie der andauernde Raketenbeschuss israelischer Ortschaften sind weitere alarmierende Zeichen dieser Hamas-Politik ebenso, wie die hartnäckige Weigerung, den Selbstmordanschlag in Tel Aviv zu verurteilen, bei dem zehn Menschen starben. Israel wiederum hat die Erweiterung der Siedlungen entgegen der Road Map fortgesetzt. Trotz der Räumung von 8.500 Siedlern aus Gaza stieg die Zahl der Siedler im Westjordanland um 6.000 auf eine Viertelmillion. Kein einziger der 52 illegalen Vorposten, die Expremier Ariel Scharon zu räumen versprach, wurde evakuiert; mehr als 4.000 neue Wohneinheiten werden derzeit gebaut.
Olmerts Zentrumspartei "Kadima" (Vorwärts), von Scharon erst im vergangenen November gegründet, ist mit 29 Mandaten stärkste Fraktion im Parlament. Die Arbeitspartei unter dem in Marokko geborenen ersten orientalischen Vorsitzenden Amir Peretz verfügt über 19 Sitze. Mit der neuen Rentnerpartei Gil (sieben Abgeordnete), die ausschließlich für eine Stärkung der Rechte der Rentner eintritt, gründete Kadima bereits eine gemeinsame Fraktion. Um eine parlamentarische Mehrheit zu sichern und die Kadima im Zentrum der Regierung zu platzieren, wird auch die rechts-orthodoxe Schas-Partei (zwölf Mandate) mit am Kabinettstisch sitzen. Auch aus Rücksicht auf die Arbeitspartei, den wichtigsten Koalitionspartner, verkündete Olmert, dass er trotz seiner Skepsis ein Abkommen mit den Palästinensern anstreben werde. "Israel bevorzugt Verhandlungen mit einer Palästinenserbehörde (PA), die den Terror bekämpft und alle Verträge mit uns einhält", sagte Olmert. "Mit einer durch Terrorgruppen geführten Regierung werden wir jedoch keinerlei Kontakte pflegen. Erst wenn wir zum Entschluss kommen, dass die PA zögert, werden wir auf andere Weise agieren." Experten schätzen, dass die einseitigen Räumungen von Siedlungen erst in zwei Jahren beginnen werden.
Wird aber die Regierung so lange halten? Seit 1981 hat keine Regierung die volle Amtszeit von vier Jahren überstanden. Olmerts Koalition verfügt über 67 Stimmen (von insgesamt 120) und hat damit keine komfortable Mehrheit. Eine Kadima-Abgeordnete boykottierte bereits das Vertrauensvotum für die neue Regierung, weil sie kein Ministeramt erhalten hatte. Um die Schas zu gewinnen, musste Olmert auf eine klare Absprache des Räumungsplans mit den Orthodoxen verzichten. Eine Karikatur schildert seine unangenehme Situation treffend: Olmert verspricht darin dem Schas-Vorsitzenden Eli Yishai, nur die Fraktionen in die Koalition aufnehmen, die den Räumungsplan unterstützen. Nach kurzem Zögern fügt er hinzu: "Ausgenommen, wenn dies nicht funktioniert."
Die Satire bezieht sich auf das geheim gehaltene Zusatzprotokoll der Koalitionsvereinbarungen. Demnach darf sich die Schas an der Regierung beteiligen, ohne sich zu verpflichten, der Auflösung von Siedlungen zuzustimmen. Die zwölfköpfige Fraktion müsste sich in der Frage der Räumung erst dann festlegen, wenn diese tatsächlich auf der Tagesordnung ist. Die Schas-Rabbinerkonferenz segnete die Vereinbarung ab, auch weil die Partei beispiellose finanzielle Zuwendungen erhalten wird, die zum großen Teil für eigene Schulen sowie für die Errichtung zahlreicher neuer Synagogen verwendet werden können. Orthodoxe Schüler werden von der Pflicht befreit, Englisch, Mathematik und Landeskunde zu lernen, was die Schas-Rabbiner als Zeitverschwendung betrachten. Weil aber die Schas noch nie ein Friedensabkommen unterstützte und Olmert im Gegensatz zu seinem ermordeten Vorgänger Jitzchak Rabin historische Entscheidungen nicht mit den Stimmen der linken und arabischen Abgeordneten durchsetzen will, versucht er, die orthodoxe Jahadut Hatora-Partei europäischstämmiger Juden (sechs Abgeordnete) und die linke Meretz (fünf) in seine Koalition zu holen. Dadurch wäre er in der Lage, Erpressungsversuche seiner künftigen Koalitionspartner zu verhindern. Als eine Geste an die Orthodoxen eilte er an die Klagemauer noch bevor er seine Siegesrede hielt. Für die Linken hatte Olmert einen Spalt in der Tür offen gelassen, indem er die rechtsnationale Partei des Populisten Avigdor Liberman, die für die Ausbürgerung der arabischen Israelis wirbt, nicht in die Regierung holte. Liberman wohnt übrigens in einer kleinen Siedlung, die nach dem jetzigen Plan geräumt werden soll. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Räumung gerade mit den Stimmen der Linken realisiert wird.
Die Räumung von 58 kleineren Siedlungen bedeutet keinesfalls eine vollständige Räumung des Westjordanlandes. Eher wird der Trennungszaun einen Großteil der neuen Grenzen Israels festlegen. Um dies klarzustellen, beschloss die Regierung, die große Siedlung Ariel (mit 17.000 Einwohnern eine der vier Siedlerstädte) einzuzäunen und durch einen schmalen Korridor mit Israel zu verbinden. Diese Entscheidung hat weitgehende Folgen für ein künftiges Friedensabkommen, denn die östliche Grenze Ariels ist immerhin 21 Kilometer von der Grünen Linie entfernt, die Israel vom Westjordanland trennt. Die Siedlung würde einen Keil zwischen palästinensische Gebiete treiben sowie die Hauptstraße zwischen der Mittelmeerküste und dem Jordantal kontrollieren, das ebenfalls ein Teil Israels bleiben soll.
Das gleiche gilt für alle großen Siedlungsblöcke um Jerusalem, in denen die bis zu 70.000 evakuierten Siedler ein neues Zuhause finden sollen. Dazu will Olmert für sie tausende neue Wohneinheiten bauen lassen. Die Regierung wird aber wohl keinem Siedler die Rückkehr nach Israel verbieten. Ein gleiches Signal geht von Olmerts Widerstand gegen die Gesetzesinitiative von Amir Peretz aus, wonach die Regierung jede Siedlung räumen müsste, deren Einwohner sich mehrheitlich dafür aussprechen.