Eigentlich trübt nur Gerhard Stratthaus mit seinem Missmut die überaus einträchtige Stimmung bei den Koalitionären von Union und FDP. Der CDU-Chef des Finanzressorts findet es "nicht klug", dass Ministerpräsident Günther Oettinger schon während der Regierungsbildung seinen für 2008 vorgesehenen Rückzug publik gemacht hat. Er halte "diese Veröffentlichung für einen Fehler", kritisierte Stratthaus. Wobei der 64-Jährige hinzufügt, seine Position im Kabinett sehe er gleichwohl nicht geschwächt. Immerhin muss der Finanzminister die Herkulesaufgabe der Etatsanierung einleiten, die von 2011 an in einen Haushalt ohne neue Schulden münden soll.
Ansonsten aber verliefen die Ausarbeitung des von Oettinger und der FDP-Vorsitzenden Birgit Homburger feierlich unterzeichneten Koalitionsvertrags und dessen vorherige Billigung durch CDU- und FDP-Parteitage bei jeweils nur wenigen Gegenstimmen derart geräuschlos und unspektakulär, dass dies schon fast seltsam erscheint. In der Rückschau mutet Oettingers Techtelmechtel mit den Grünen, das schlagzeilen-trächtig war, aber folgenlos blieb, wie Theaterdonner an. Alle Minister bleiben im Amt. Und irgendwelche Aufreger, die in einer der beiden Parteien für Zoff sorgen könnten, sind im Regierungsprogramm nicht zu sichten. Beim FDP-Konvent beklagt Leif Schubert als Vorsitzender des freidemokratischen Nachwuchses, innenpolitisch sei keine liberale Handschrift zu erkennen: So habe die Partei etwa der Nutzung der Mautdaten auch für die Kriminalitätsbekämpfung zugestimmt. Schubert: "Der Koalitionsvertrag ist der angeschwärzte Toast der FDP. Man kann ihn essen, aber gut schmeckt er uns nicht."
Das ist es denn schon mit der Kritik. Oettingers Wiederwahl im Landtag Anfang Juni steht nun nichts mehr im Weg. Der lautlose Start der neuen Regierung kann indes nicht verdecken, dass die wahren Herausforderungen erst noch bevorstehen. Für die Bewältigung der von Oettinger markig zum "Mega-Thema" ausgerufenen Etatkonsolidierung mit dem Ziel der Null-Neuverschuldung von 2011 an finden sich im Koalitionsvertrag, für den Kabinettschef ohnehin "keine Bibel", nicht gerade viele handfeste Fingerzeige.
Immerhin sitzt das Land auf einem Kreditberg von gut 41 Milliarden Euro, wobei die langfristig in Milliardenhöhe auflaufenden Pensionslasten gar nicht eingerechnet sind. Zum Auftakt des Abstiegs von diesem gigantischen Schuldenbuckel ist die eigentlich gebotene Symbolik erst einmal missglückt: Die vor allem von der FDP propagierte Verschlankung des Kabinetts, die ein Sparsignal auf höchster Ebene setzen sollte, bleibt auf der Strecke. Kein Ressort wird gestrichen, selbst die Zahl der Staatssekretäre wird nicht verringert. Lediglich der mit einem Ministertitel ausgestattete Chef der Berliner "Botschaft", Wolfgang Reinhardt, wird 2008 durch einen "Bevollmächtigten" minderen Rangs ersetzt; Reinhardt dürfte dann nach heutiger Einschätzung Stratthaus ablösen.
Den jetzigen Amtsinhaber bespöttelt der grüne Fraktionsvorsitzende Winfried Kretschmann als "Finanzminister mit einer Restlaufzeit von zwei Jahren". Wie ein solcher Ressortchef den Etat sanieren solle, sei "völlig unerfindlich". Auch SPD-Oppositionsführerin Ute Vogt kritisiert, dass Oettinger mit der Begrenzung der Amtszeit für Stratthaus die Position des Finanzministeriums geschwächt habe: Es sei daran zu zweifeln, dass in fünf Jahren die Neuverschuldung auf Null gedrückt werden könne.
Ohnehin setzt die Koalition für die Haushaltskonsolidierung ein gewisses Maß an Wirtschaftswachstum voraus. Rätselhaft mutet an, was genau mit dem "Verschuldungsverbot" gemeint ist, das die Koalition gesetzlich verankern will. In voller Höhe in das Abschmelzen der Kreditbelastung sollen die mehr als 600 Millionen Euro Zusatzeinnahmen fließen, die sich Stuttgart aufgrund der vorgesehenen Mehrwertsteuer-erhöhung für das Jahr 2007 erhofft. Alle freiwilligen Leistungen sollen vom kommenden Jahr an um fünf Prozent gekürzt werden - wobei freilich Ausnahmen geplant sind, etwa beim Sport oder den Hochschulen. Künftig werden Landesbeamte erst mit 67 in Pension gehen können, die erforderlichen Zuständigkeiten erhält die Regierung aber erst mit der Umsetzung der Föderalismusreform. Geprüft wird eine Kürzung der 13. Monatspension bei ehemaligen Landesbeamten. Lehrern wird erst nach dem letzten Monat ihrer Dienstzeit der Ruhestand winken, bisher war das schon einige Monate vorher möglich. Auch der "Bürokratieabbau" steht mal wieder auf der Tagesordnung, aus dem im Alltag freilich noch nie viel geworden ist. Ansonsten werden an diverse Kommissionen Prüfaufträge zwecks Erkundung von Sparpotentialen erteilt.
Allerdings will Oettingers Kabinettsriege denn doch nicht nur finanzpolitisches Graubrot essen. Trotz der Sparzwänge möchte man auch politische Akzente setzen. Dazu gehören in erster Linie der Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen sowie die Sprachförderung und die frühkindliche Bildung im Kindergarten: Oettinger will den Südwesten zum "Kinderland Nummer eins" machen. Gegen die FDP durchgesetzt hat die CDU die Beibehaltung des Landeserziehungsgelds, das den Haushalt jährlich mit immerhin mehr als 80 Millionen Euro belastet: Diese Unterstützung erhielten Einkommensschwache bislang im Anschluss an das Bundeserziehungsgeld, künftig soll die Hilfe nach den 14 Monaten Elterngeld gewährt werden. Zehn Prozent der Gesamtmittel werden jedoch in den Ausbau von Kinderkrippen umgeleitet. Investiert werden soll auch ins Straßennetz, zur Finanzierung möchte man aber verstärkt auf private Träger zurückgreifen.
Solche und andere Projekte haben jedoch einen Schönheitsfehler: Sie kosten Geld und erschweren die Etatsanierung. Der CDU-Abgeordnete Günther-Martin Pauli hat die Belastungen durch all die vielen im Koalitionsvertrag aufgeführten Ausgabenposten zusammengerechnet und ist auf eine Summe "von mehreren hundert Millionen Euro" gekommen. Angesichts dieser Gelder hat Pauli ("Wohltaten auf Pump müssen vorbei sein") auf dem CDU-Parteitag gegen die Vereinbarungen mit der FDP gestimmt.