So viel Einvernehmen herrscht selten zwischen Opposition und Koalition, so viele nette Worte werden nicht oft ausgetauscht. Ein "außerordentlich angenehmes Arbeitsklima" konstatiert der Vorsitzende Siegfried Kauder (CDU), die Mehrheit sei der Minderheit ja auch entgegengekommen. "Sehr zufrieden" mit dem Verlauf der ersten Sitzung zeigt sich der FDP-Abgeordnete Max Stadler angesichts des konzilianten Verhaltens von Union und SPD. Wolfgang Nescovic von der Linkspartei lobt ebenfalls die positive Atmosphäre. Seit Monaten wühlt der Streit um Agenteneinsätze in Bagdad während des Irak-Kriegs und um geheime CIA-Gefangenenflüge die Innen- und Außenpolitik auf: Und nun plötzlich diese Eintracht?
Doch die Freundlichkeiten, die vorherigen Beratungen über erste Verfahrensschritte und die Beschlüsse zum Aktenstudium bargen auch nicht viel Brisanz in sich, können die über der Arbeit dieses Gremiums wabernde Spannung nicht verbergen. Kanzlerin Angela Merkel persönlich bringt zeitgleich bei der 50-Jahr-Feier des BND den Zündstoff auf den Punkt und warnt die Kommission davor, die Tätigkeit der Nachrichtendienste zu gefährden. Im Klartext: Stadler, Nescovic und dem Grünen Christian Ströbele als den drei Musketieren der Opposition dürfte der Einblick in die Unterlagen der Geheimen nicht gerade einfach gemacht werden.
Nach einigem Hin und Her hatten sich die drei Fraktionen auf die Einsetzung des Ausschusses geeinigt, die dann vom Bundestag mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Untersuchen soll das Gremium die Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khaled El-Masri durch die CIA, Vorwürfe gegen die CIA wegen geheimer Flüge von Terrorverdächtigen über deutschem Territorium zu Geheimgefängnissen, Verhöre von Gefangenen durch deutsche Beamte im Ausland sowie den Einsatz von BND-Agenten in Bagdad.
Seit Monaten recherchieren Medien diese heiklen Themen. Beim Europarat müht sich Sonderermittler Dick Marty um Transparenz. Das EU-Parlament hat eine eigene Kommission einberufen, die von rund 1.000 CIA-Flügen in Europa ausgeht. Im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestags rauchten die Köpfe, im Plenum wurden die Klingen gekreuzt, die Regierung hat einen Bericht vorgelegt. Gleichwohl sehen FDP, Linkspartei und Grüne noch erheblichen Aufklärungsbedarf, den eine Fülle von Fragen, Beweisanträgen und Zeugenbenennungen dokumentiert. Waren etwa deutsche Polizeistellen und Geheimdienste in die Entführung El-Masris verwickelt? Was wusste die hiesige Regierung von den ominösen CIA-Lufttransporten? Wieso kam es zum Verhör des Deutsch-Syrers Mohammed Zammar in einem syrischen Kerker, in dem anscheinend gefoltert wird? Landeten kriegswichtige Informationen der BND-Agenten in Bagdad vielleicht doch bei US-Militärs, obwohl Deutschland an diesem Feldzug gar nicht teilnahm?
Das Durchwühlen dicker Aktenberge zur Klärung von Detailfragen dürfte die Öffentlichkeit kaum interessieren, zumal so manche Sitzung hinter verschlossenen Türen stattfinden wird. Für Schlagzeilen werden die Auftritte prominenter Zeugen sorgen. Auf ein Erscheinen einstellen müssen sich vermutlich Ex-Außenminister Joschka Fischer, Ex-Innenminister Otto Schily, Außenminister und Ex-Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier sowie die Spitzen der Geheimdienste. Aussagen sollen auch Dick Marty vom Europarat sowie Giovanni Fava als Berichterstatter des EU-Parlaments, um die Nachforschungen in Straßburg, Brüssel und Berlin zu verzahnen.
Vor allam aber bergen der Konflikt um die Kontrollbefugnisse der Marathon-Kommission und die Auseinandersetzung um die Reichweite ihres Untersuchungsauftrags Zündstoff in sich. Nicht nur Kanzlerin Merkel möchte dem Durchleuchtungsdrang gewisse Grenzen setzen. Aus Sicht Kauders wird der Ausschuss wohl weniger Akten als die PKG zu Gesicht bekommen. Oppermann meint zwar, man wolle bei der Aufklärung mithelfen. Aber der SPD-Obmann betont, die Tätigkeit der Geheimdienste dürfe nicht derart offengelegt werden, "dass sie nicht mehr funktionieren".
Die Opposition indes dringt auf umfassende Akteneinsicht, die drei Abgeordneten wollen dabei "an einem Strang ziehen", so Ströbele; es geht dabei auch um das Problem, inwieweit die Parlamentarier den Inhalt der Dokumente öffentlich machen können. Wolfgang Nescovic sagt, Dinge, die der Geheimhaltung unterliegen, dürften natürlich nicht nach draußen getragen werden, diese Verpflichtung gelte für BND-Mitarbeiter wie für Abgeordnete: "Aber es ist nicht einzusehen, dass jene mehr wissen dürfen als gewählte Volksvertreter." Er hoffe, dass Karlsruhe diese Grundsatzfrage klären werde. Nescovic: "Der Mythos der Geheimdienste muss geknackt werden." Eine Machtprobe könnte aus Sicht Ströbeles heraufziehen, wenn FDP, Linkspartei und Grüne umfassend über die Vereinbarungen und Kontakte zwischen der deutschen Seite und den US-Diensten unterrichtet werden wollen.
Solche Fragen führen für Stadler in den "Kern des Themas". Der Liberale hegt wie seine beiden Mitkombattanten Zweifel, ob es beim begrenzten Fragenkatalog des Ausschusses bleiben kann: "Wir stoßen ständig auf neue Themen." Da sind, ein Beispiel, in Medien Berichte über neue Merkwürdigkeiten im Umfeld der Verschleppung Mohammed Zammars nach Syrien und dessen Vernehmung zu lesen. Oder vor den Rechercheuren des EU-Parlaments erklärt Craig Murray als britischer Ex-Botschafter in Taschkent, an den BND seien Informationen aus Folterverhören in Usbekistan geflossen. Die Opposition strebt jedenfalls eine Erweiterung des Untersuchungsauftrags an.
Die Koalition will das Gremium möglichst tief hängen und durch Entgegenkommen bei Verfahrensfragen nicht unnötig Streit provozieren. Die Union kann sich ohnehin in Gelassenheit üben, betreffen die Vorwürfe doch die Vorgängerregierung. Für Oppermann ist der Sachverhalt bereits weitgehend aufgeklärt: Er sei überzeugt, dass im Ausschuss "nicht viel herauskommt". Die FDP zielt, so Stadler, auf die Offenlegung der "politischen Verantwortung" für das Geschehene. Nescovic will einen Beitrag dazu leisten, dass die Geheimdienste künftig "kein demokratisch unkontrollierter Raum" mehr sind. Und Ströbele hebt hervor, Foltervorwürfen müsse man ohne politische Rücksichtnahme nachgehen.
Seine Beschäftigung mit BND-Affäre und CIA-Flügen hat Nescovic auf eine unkonventionelle Idee gebracht: Der Politiker der Linkspartei möchte eine Woche lang im BND Einblicke in die dortigen Strukturen und Arbeitsweisen gewinnen. Dessen Präsident Ernst Uhrlau habe zugestimmt. So will sich Nescovic mehr Kompetenz für seine Arbeit als parlamentarischer Geheimdienstkontrolleur verschaffen.