Alles begann mit Kohle und Stahl - auch die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in ihrer Regierungserklärung am 11. Mai an die Grundpfeiler der Europäischen Einigung erinnerte: die 1951 geschaffene Montanunion und die von sechs Gründungsmitgliedern abgeschlossenen Römischen Verträge aus dem Jahr 1957. "Aus der Vision wurde eine Realität", sagte Merkel und lobte das europäische Vertragswerk als "die größte Neuordnung seit dem Westfälischen Frieden". Zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge wird Gründungsmitglied Deutschland die europäische Ratspräsidentschaft inne haben - und die damit verbundene Erwartungshaltung ist groß. Statt Details oder Projekte für die ersten Monate des Jahres 2007 zu skizzieren, warb die Bundeskanzlerin erst einmal dafür, Europa neue Begründungen zu geben - kurzum den Blick aufs Ganze zu richten. Denn Europa, beklagte die Kanzlerin, stehe nicht so hoch im Kurs wie es die Erfolgsgeschichte vermuten lasse. "Wir müssen den Menschen beweisen, dass wir mit Europa erfolgreicher sind als ohne", lautete daher ihr Credo. Die Einhaltung des Stabilitätspaktes, die Vereinheitlichung der Innen- und Rechtspolitik und der Ausbau der Forschung stehen für die Bundesregierung dabei ebenso auf der politischen Agenda wie der Abbau von Bürokratie und die Verbesserung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Bei den Reizthemen Erweiterung und Verfassung hielt sich die Kanzlerin mit konkreten Planungen und Prognosen zurück. Wie zwei Tage zuvor beim "wdr europa forum" erteilte sie "Schnellschüssen" eine Absage, betonte aber, die Verfassung zum Erfolg führen zu wollen: "Ich möchte diesen Verfassungsvertrag, die Bundesregierung möchte diesen Verfassungvertrag", sagte Merkel. Denn eine Verfassung definiere auch europäische Wertvorstellungen: "In der Auseinandersetzung mit anderen Religionen, mit anderen Kulturen, wird es wichtig sein, dass wir als Europäer in der Lage sind, unsere Wurzeln ganz klar zu benennen. Das erwarten andere von uns."
Hoyer (FDP) in der anschließenden Debatte. Er nannte den Zustand der EU besorgniserregend und forderte von der Bundesregierung weitere nationale Anstrengungen: "Europäischer Reformanspruch ohne mutige nationale Reformpolitik passt nicht zusammen", sagte Hoyer. Angelica Schwall-Düren (SPD) forderte hingegen, während der deutschen Präsidentschaft die soziale Dimension der Europäischen Union zu stärken: "Es kommt in der Tat darauf an, dass konkrete Politik gemacht wird, die für die Menschen auch erfahrbar ist."
Soziale Mindeststandards forderte der Chef der Linksfraktion Gregor Gysi in der Debatte. Er kritisierte unter anderem, dass es einen Binnenmarkt mit einer Binnenwährung, jedoch völlig unterschiedliche Steuersätze gebe. In Bezug auf die Verfassung forderte er die Bundeskanzlerin auf: "Denken Sie neu über den militärischen Teil nach und darüber, wie der Neoliberalismus aus der Verfassung gedrängt wird."
Als ein "abstraktes Gemälde" bezeichnete Fraktionschefin Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) die Regierungserklärung und bemängelte das Fehlen ökologischer und sozialer Standards in der EU. Sie vermisse Visionen und die Frage: "In welchem Europa wollen wir leben?" Konkret forderte die frühere Verbraucherschutzministerin eine neue Energiekultur bis 2020, die Europa, analog zu den Zielen der Lissabon-Strategie, zum "energieeffizientesten Raum" machen solle. Ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl: Denn trotz Erwähnung von Kohle und Stahl hatte Kanzlerin Merkel, entgegen einigen Erwartungen, die Energie diesmal in ihrer Rede nicht zum Thema gemacht.