Um die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen auszubauen, haben der Bundestag und der Sejm, das polnische Parlament, vereinbart, einen intensiven Dialog zur Historie beider Länder aufzunehmen. Dies erklärten Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU/CSU) und sein polnischer Amtskollege, der Sejm-Marschall Marek Jurek von der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit", am 31. August vor Journalisten in Berlin.
Lammert unterstrich, die Erinnerung an die deutsch-polnische Geschichte sei eine gemeinsame öffentliche Aufgabe: "Gerade aufgrund der unterschiedlichen Wahrnehmungen in beiden Ländern ist ein intensiver Dialog so wichtig. Dieser muss neben den unmittelbar Betroffenen und Wissenschaftlern selbstverständlich auch Politiker einbeziehen, sind sie doch als Multiplikatoren von großer Bedeutung für die öffentliche Debatte." Beide Politiker stimmten darin überein, dass dies - so Lammert - "ein zentrales, besonders sensibles Thema ist".
Marschall Jurek erinnerte an die "gemeinsame Erfahrung von zwei Totalitarismen" in Deutschland und Polen. Eine wertebezogene Sicht der Geschichte stelle die Grundlage für eine Zusammenarbeit dar. In diesem Zusammenhang begrüßte der Sejm-Marschall auch die Einladung Lammerts an Papst Benedikt XVI., zum 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor dem Deutschen Bundestag zu sprechen, da nach den Worten Jureks die europäischen Völker durch "die christliche Dimension" verbunden seien.
Die Präsidien beider Parlamente planen zum Ausbau der bilateralen Beziehungen für das Frühjahr 2007 eine gemeinsame Sitzung. Im zweiten Halbjahr soll dann eine Konferenz mit Politikern und Historikern im niederschlesischen Kreisau, dem heutigen Krzyzowa, folgen, auf der über die deutsch-polnische Erinnerung und Verständigung diskutiert werden soll. Der Tagungsort ist besonders geschichtsträchtig, handelt es sich doch um das Gut von Helmuth James Graf von Moltke. Hier hatte sich die gegen das Nazi-Regime tätige Widerstandsgruppe "Kreisauer Kreis" getroffen.
Das Gespräch Lammerts und Jureks fand vor dem Hintergrund aufgetretener Irritationen im deutsch-polnischen Verhältnis statt. Vor seinem Berlin-Besuch hatte Jurek an die deutsche Seite appelliert, den Begriff der Vertreibung nicht mehr zu verwenden.
In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hatte er erklärt: "Der Begriff ‚Vertreibung' trennt uns, darüber müssen wir sprechen." Der Potsdamer Vertrag benutze das Wort "Umsiedlung". Es gehe um die Sprache. Jurek wörtlich: "Nach all dem, was im Zweiten Weltkrieg geschehen ist, glaube ich nicht, dass diese Sprache der Verurteilung Polens zulässig ist." Jurek sagte in Berlin, die deutsche Öffentlichkeit müsse sich bewusst sein, dass mit dem deutschen Überfall 1939 auf Polen für sein Land nicht nur eine fünfjährige Besatzung, sondern eine 50-jährige Periode der Unfreiheit begonnen habe.
Lammert hob hervor, es gebe weder eine staatliche Deutungs- noch Begriffshoheit. Auch dies mache deutlich, wie dringend ein intensives Gespräch sei. Beide Politiker traten dafür ein, in Zukunft ein hohes Maß an Gemeinsamkeit entstehen zu lassen. So werde geprüft, ob neben den regelmäßigen Treffen der Auswärtigen Ausschüsse beider Parlamente auch im Rahmen der Zusammenarbeit in der Europäischen Union die Europaausschüsse zu gemeinsamen Sitzungen zusammenkommen können.