Lateinamerika
Tariq Ali wollte eine Streitschrift vorlegen - und liefert doch nur ein Erbauungstraktat
Es bewegt sich was in Lateinamerika. Nach der weltweiten Krise der Linken nach 1989 und dem vorschnell ausgerufenen Sieg liberaldemokratischer Staatsverfassung sind Umrisse einer lateinamerikanischen Linken erkennbar, die so Manchen revolutionäre Morgenluft wittern lassen. Diese Entwicklung wirft spannende Fragen auf: Worin besteht das Projekt dieser Linken? Ist es eine neue Linke, oder handelt es sich nur um neue, finanzkräftigere und teilweise auf indigene Gruppen gestützte Formen des traditionellen lateinamerikanischen Populismus? Worin bestehen ihre Ziele, die bereits geschaffenen Strukturen, wie sieht es um die Nachhaltigkeit dieser Wahl-Revolutionen aus? Fragen, die einer Streitschrift wert sind.
Eine solche wollte Tariq Ali vorlegen. Ali, 1943 im späteren Pakistan geboren, als 20-Jähriger nach London emigriert, studierte Politik und Philosophie, war in der internationalen Studentenbewegung 1968 und arbeitet als Journalist, Schriftsteller und Filmemacher. Als Lateinamerika-Experte ist er bislang nicht hervorgetreten.
Die zentralen Aussagen sind schnell referiert. Schuld an der Misere Lateinamerikas ist der "Washingtoner Konsens". Dies bezeichnet seit den 90er-Jahren die Strukturanpassungspolitik von Internationalem Währungsfonds und Weltbank mit Zielvorgaben wie Senkung der Staatsausgaben, Schwerpunkte in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur, Steuerreform, Deregulierung und Handelsliberalisierung. Die von der damit vorgezeichneten globalisierten Ordnung bedingten Zwänge, so Ali, machen die Demokratie überflüssig. Seine Sympathien sind klar verteilt. Es geht darum, "ein Imperium in die Schranken zu verweisen und einen Kontinent zu vereinen". Das Konzept hierzu ist der Bolivarianismus, die Verbindung eines kontinentbezogenen Nationalismus mit sozialdemokratischen Reformen in Form einer sich von unten entwickelnden neuen Option. Es geht um eine "egalitaristische-sozio-ökonomiosche Strategie" zur "Umverteilung des Reichtums".
Eine polemische Streitschrift kann durchaus anregend sein in der politischen Debatte, wenn sie nicht in permanente Herabwürdigungen und Beleidigungen verfällt. Diese Grenzziehung ist Alis Sache jedoch nicht. Die "Feinde des Lichts" sind durch die Bank "kriechtierhafte Journalisten", "schäbige Barden einer diskreditierten Gesellschaftsordnung", "Bluthunde", "handzahme Mietschreiber", eine "wilde Bande", "gehirngewebegeschädigt" und "sitzen im Hintern der Oligarchie". Man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier persönliche Rechnungen beglichen werden.
Neben sehr unterschiedlich focussierten Kapiteln - Brasilien, Kuba, Venezuela, Bolivien - besteht rund die Hälfte des Buches aus einem dokumentarischen Anhang, allein 65 Seiten Interviews mit Vertrauten von Venezuelas Präsident Hugo Cávez sowie dessen Reden oder Abrechnungen mit Gegnern der vermeintlichen Hoffnungsträger. Laut Verlagswerbung bildet diese Dokumentation die "Grundlage für Thesen und Argumente" des Autors. Diese dünne Grundlage ist eines der Probleme der Streitschrift, die Einseitigkeit ihr roter Faden. Die holzschnittartige Argumentation erweist auch denen keinen Gefallen, die Ali unterstützen möchte.
Um nur einige Beispiele zu nennen: So ist für Ali die Welt von einem Informationsimperium beherrscht, dem nur noch "Al Dschasira" und der venezolanische "Telesur" informativen Widerstand entgegensetzen. Und das einzig Auffällige an Kubas Hauptstadt Havanna sei die Abwesenheit von Hochhäusern und Werbeflächen. Den sichtbaren Verfall, jüngst in einem deutschen Dokumentarfilm beeindruckend zu sehen, nimmt Ali nicht wahr. Überhaupt Kuba, seine große Liebe, die auch die Sowjetisierung der Revolution überlebt hat und die man vor den in Miami wartenden "Abbruchkommandos" schützen muss. Dann urplötzlich die Forderung, Kuba müsse durch "effektive innere Mechanismen (...) dafür sorgen, dass von nun an die Führung und ihre Politik dem Volk rechenschaftspflichtig sind". Wie war das denn bislang?
Jedenfalls hat Ali die Hoffnung, dass Kuba, das in früheren Zeiten Revolutionen inspiriert hat, durch Wahlsiege des Bolivarianismus "seinen Anführer überlebt".
Auch Ratschläge wie jener, endlich die wirtschaftlichen Grundlagen der traditionellen Eliten anzugehen, fehlen nicht. Konkret wird Ali aber auch hier nicht.
Das aktuelle Piraten-Update verzeichnet mit der Wahl von Rafael Correa in Ecuador hoffnungsfrohen Zuwachs, während man in Piratenkreisen dem neuen Staatspräsidenten Nicaraguas und ehemaligen Sandinistenführer Daniel Ortega nicht so ganz traut. Ob aus diesen Umbrüchen der erhoffte kollektive Schlachtruf "Wir sind alle Piraten!" hervorgeht, oder ob zukünftige Entwicklungen eher an den "Fluch der Karibik" heranreichen, muss die Zukunft zeigen.
Wer schon im Lager der "Lichtträger" um Chávez, Evo Morales und Fidel Castro steht, wird sich durch dieses Buch schmunzelnd bestätigt sehen. Wer sich über die spannende und komplexe Entwicklung Lateinamerikas informieren will, wird enttäuscht. Der reale informatorische Mehrwert ist für ein Publikum, das Lateinamerika nicht permanent auf dem Bildschirm hat, denkbar gering. Dafür ist dieses Buch zu zusammengewürfelt, zu unstrukturiert, zu unkonkret in der inhaltlichen Darstellung der Politik der führenden Piraten. Ali betreibt moralische Aufrüstung für die schon Überzeugten und hat eher einen Erbauungstraktat denn eine überzeugende Streitschrift vorgelegt.
Die Achse der Hoffnung. Piraten der Karibik.
Castro, Chávez, Morales.
Diederichs Verlag, München 2007; 304 S., 22 ¤