USA
Amerikas Journalisten rechnen mit der Bush-Regierung ab - und müssen sich dabei selbst korrigieren
Im November vergangenen Jahres verloren die Republikaner in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit und Präsident George W. Bush feuerte daraufhin Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Der republikanische Senator John McCain aus Arizona erklärte dazu, er habe das Vertrauen in Rumsfeld schon viel früher verloren und führt die Bücher "Fiasco" von Thomas Ricks, "Cobra II" von Michael Gordon und Bernard Trainor sowie "State of Denial" von Bob Woodward an. McCain hätte Titel von George Packer, Ron Suskind und Peter Galbraith hinzufügen können. Zusammen genommen lesen sie sich wie eine Enzyklopädie der Inkompetenz der Bush-Regierung aber auch wie eine Selbstkorrektur des patriotischen Überschwangs der unmittelbaren Kriegsberichterstattung.
Die meisten der genannten Autoren berichten über eigene Erfahrungen im Irak; Woodwards Domäne hingegen ist seit über 30 Jahren das Innenleben der Washingtoner Entscheidungszentren, seitdem er gemeinsam mit Carl Bernstein und einem Stichwortgeber in der Führungsetage des FBI die Watergate-Affäre aufrollte. In seinem neuen Buch "Macht der Verdrängung. State of Denial" konstruiert er aus zahllosen Interviews Vorgänge im Weißen Haus, im Pentagon, im State Department und im Geheimdienst CIA. Die große Zahl der Interviews bewahrt ihn davor, der absichtsvoll selektiven Darstellung Einzelner aufzusitzen.
Nach seinen Publikationen "Amerika im Krieg" und "Der Angriff" wurde Woodward vorgeworfen, weniger an der Kontrolle der Macht als am Zugang zu ihr interessiert zu sein. Der Präsident hatte Woodward über Stunden Rede und Antwort gestanden und Minister und Mitarbeiter angehalten, Gleiches zu tun. Woodward konnte 50 Protokolle des Nationalen Sicherheitsrats einsehen, die nicht einmal die Führer des Kongresses zu sehen bekommen.
Woodwards Bücher würden seit langem genutzt, Verantwortung abzuschieben, schrieb Ex-CIA-Direktor George Tenet in seinen Erinnerungen. Das Weiße Haus hatte Woodward gesteckt, Tenet habe die Suche nach den irakischen Massenvernichtungswaffen als "slam dunk" bezeichnet, was im Basketball einem sicheren Korb entspricht. Tenet sah darin einen Versuch, die CIA für den Krieg verantwortlich zu machen, worauf er seinen Rücktritt einreichte. "Als ob Ihr mich gebraucht hättet, Euch für den Krieg zu entscheiden", sagt er heute und beschreibt, wie Richard Perle, einer der Neokonservativen, ihm schon am frühen Morgen des 12. September 2001 vor dem Weißen Haus sagte: "Der Irak muss dafür bezahlen, was gestern passiert ist; die sind verantwortlich." Doch Perle hielt sich zu diesem Zeitpunkt zweifelsfrei in Europa auf. Auch Augenzeugenberichte haben ihre Tücken.
Der entscheidungsstarke Bush, den Woodward noch in "Amerika im Krieg" zeichnete, wirkt nun nicht mehr überzeugend. In "State of Denial" bezichtigt er Bush der Schönfärberei und der Flucht in einen realitätsfernen Optimismus.
Der Leser lernt während der Lektüre das Washingtoner Personal und seine Grabenkämpfe kennen; offenbar sind es immer nur die Chargen, die den Ernst der Lage erkennen. Da erklärt Ex-General Jay Garner, ehemals beauftragt mit dem zivilen Wiederaufbau im Irak, um die Bekämpfung der Terroristen sowie den Wiederaufbau der irakischen Armee und der anderen Sicher- heitskräfte habe er sich nicht kümmern können. Wer fragte, wer diese Aufgaben übernehmen muss? Niemand; der Präsident nicht, die Sicherheitsberaterin nicht und der Verteidigungsminister auch nicht. Garner wurde sang- und klanglos durch den Diplomaten Paul Bremer abgelöst, den Ex-Speaker Newt Gingrich, ebenfalls Republikaner, als größte Einzelkatastrophe in der neueren Geschichte der amerikanischen Außenpolitik bezeichnet.
Der Prozess gegen Cheneys Stabschef Lewis "Scooter" Libby ließ erkennen, mit welcher Verbissenheit Vizepräsident Dick Cheney und das Pentagon an der Fiktion der irakischen Urankäufe im Niger und der Aluminiumröhren für Uranzentrifugen festhielten; andere Beweise für die Wiederaufnahme des Atomwaffenprogramms existierten nicht. Die Urankäufe gab es aber auch nicht, und aus den Aluminiumröhren wurden Artilleriegeschosse gefertigt. Bob Woodward führt den Leser durch ein verwirrendes Entscheidungsgeflecht; alle Rätsel löst er nicht. Die wichtige Rolle Vizepräsident Cheneys bleibt unverändert undurchsichtig.
Ebenfalls verborgen bleibt dem deutschen Leser leider Woodwards Stil der lakonischen Kürze. Sein knappes Fazit "The strategy was denial" gerät in der Übersetzung zum schwammigen "Die Regierungsstrategie bestand nun darin, Tatsachen einfach abzuleugnen oder sogar zu verdrängen." Die fünf Übersetzer des Buches konnten sich offenbar nicht einigen; sonst wäre Newt Gingrich nicht einmal Vorsitzender, ein anderes mal Sprecher des Repräsentantenhauses, sonst gehörte ein und derselbe Richter nicht einmal dem Bundesberufungsgericht für den District of Columbia, ein anderes Mal dem Staatlichen Berufungsgericht an. Und die "101st Airborne" ist kein Fallschirmjägerregiment, sondern eine ausgewachsene Luftlandedivision. Laut lachen möchte man, wenn die Mitteilung des saudischen Botschafters, seine Regierung müsse "den Puls des Volkes fühlen" und darauf Rücksicht nehmen, zur verquasten Formulierung gerät, "die Regierung müsse am Pulsschlag des Volksherzens bleiben". Warum einfach, wenn es auch anders geht.
Die Macht der Verdrängung. State of Denial.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007; 702 S., 24,95 ¤