Anklage
Die erschütternden Erlebnisse eines amerikanischen Deserteurs
Joshua Key, groß geworden auf dem Land in Oklahoma, zwei Kinder, verheiratet, ohne weiterführende Schulbildung, nach eigenen Angaben ein Bush-treuer Patriot, meldete sich im April 2002 zur US-Army. Irgendwo mussten die Dollars herkommen für das tägliche Essen und die Arztrechnungen. Er verdiente nicht genug als Schweißer, seine Frau noch weniger als Kellnerin. In "Ich bin ein Deserteur" beschreibt Key, wie es ihm ergangen ist in Uniform im Irak und warum er im Dezember 2003 Fahnenflucht beging und mit seiner Familie nach Kanada floh.
Mit "Ich bin ein Deserteur" hat Key in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Journalisten Lawrence Hill ein erschütterndes Buch vorlegt. Key erzählt von Gräueltaten, einem Fussballspiel mit Köpfen von Leichen, brutalen und wahllosen Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, und einem Leben in Furcht und Angst vor einem unsichtbaren Feind. "Die wahren Aufständischen bekamen wir nicht zu Gesicht (...) also mussten die Zivilisten herhalten", schreibt Key.
Die Vorstellungen des jungen Soldaten von der guten und befreienden US-Macht kollidierten schnell mit der irakischen Realität von Zerstörung und Tod in Hitze und Sand. Einerseits hatten Key und seine Kameraden laut eigener Aussage das Gefühl der absoluten Allmacht, plünderten und klauten bei Hausdurchsuchungen - Key war bei 200 dabei - und schossen und verprügelten, wenn sie Lust hatten oder um Stress abzulassen. So berichtet Key über einen alltäglichen und vergleichsweise harmlosen Vorfall an einem Kontrollpunkt in Ramadi. Ein PKW hatte nicht schnell genug angehalten. "Ich zog den Mann aus dem Auto und begann (...) auf ihn einzuschlagen. Ein älterer Mann im Auto beschimpfte mich auf Arabisch, aber weil er einfach nicht aufhörte, verprügelte ich auch ihn. Als ich mit ihnen fertig war, bluteten beide Männer heftig."
Andererseits konnten sich die amerikanischen Soldaten nirgendwo sicher fühlen. Er sei sich "völlig ausgeliefert" vorgekommen bei Patrouillen. Bei seinem zweiten Einsatz in Ramadi machten manche Iraker "keinen Hehl aus ihrem Hass". Ein Fleischer auf dem Markt "hob sein Messer und hielt es sich mit der Schneide an die Kehle, als ich an ihm vorbeiging". Keys Krieg und der seiner Kameraden ist ein sinnloser Krieg, der nichts zu tun hat mit dem Krieg, wie ihn der US-amerikanische Medienkonsument aufgetischt bekommt.
Key entschied sich während des Heimaturlaubs zur Flucht nach Kanada. Zurückgehen in den Irak kam nicht in Frage, denn das, was er gesehen und erlebt habe, sei "Unrecht". Und "Amerika kam mir vor wie ein Traumland. Kein Mensch, schien es mir, hatte auch nur die leiseste Ahnung davor, was ich im Irak täglich durchgemacht hatte." Er selber hatte Albtraume "von enthaupteten Menschen, deren Köpfe mich anstarrten und lautstark anklagten".
Das US-Verteidigungsministerium berichtete Mitte Juni 2007, dass rund 40 Prozent der Heimkehrer vom Irak und Afghanistan mit "schweren und wachsenden psychologischen Problemen" rängen - und dass das militärische Gesundheitswesen vollkommen überfordert sei.
Joshua Key hofft nun, dass er in Kanada bleiben darf. Derweil melden sich jeden Monat tausende junge Männer und Frauen zur Waffe. 87.000 neue Rekruten braucht die US-Army dieses Jahr. Viele werden Menschen sein wie Joshua, die hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen ihren Dienstvertrag unterschreiben. Die von Anwerbern in Aussicht gestellten 20.000 oder 30.000 Dollar sind mehr Geld, als sich viele Rekruten vorstellen können. Nach aktuellen Studien der Universität von New Hampshire und des Wirtschaftsforschungsinstituts National Priorities Project kommen prozentual die meisten Rekruten aus den ländlichen Staaten. Die Werber konzentrieren sich auf Provinznester wie Keys Dorf Guthrie in Oklahoma. Auf dem Land ist man wohl insgesamt patriotischer, und vor allem: Auf dem Land gibt es kaum Arbeitsplätze für junge Menschen.
Ich bin ein Deserteur. Mein Leben als Soldat im Irakkrieg und meine Flucht aus der Armee.
Hoffmann u. Campe,
Hamburg 2007; 304 S., 19,95 ¤