MASCHINENBAU
Deutschland festigt seine gute Position auf dem Weltmarkt, muss aber mehr gegen den Mangel an Ingenieuren tun
Es läuft rund für die deutschen Maschinenbauer. Ihre Auftragsbücher sind prall gefüllt und garantieren die Auslastung für dieses Jahr. Manche Unternehmen wissen gar nicht, wie sie die Auftragsflut bewältigen sollen. Alle Welt will Maschinen "Made in Germany". Und auch in Deutschland löst sich der Investitionsstau. Im Zuge des konjunkturellen Aufschwungs rüsten endlich auch die Unternehmer ihre Betriebe nach dem neuesten Stand der Technik aus. Trotz dieser wahrhaft rosigen Zeiten warnen Exponenten der Branche aber davor, die strukturellen Risiken des Maschinenbaus zu übersehen. Notwendige politische Reformen müssten in guten Zeiten angepackt werden. Sorge bereitet vor allem der akute Ingenieurmangel. Und der beruht aus Branchensicht in erster Linie auf Fehlern der Bildungspolitik.
In der Statistik der Auftragseingänge hastet die Branche von Rekord zu Rekord. Um 18 Prozent legten die Orders allein im Mai zu. Im April hatte der Zuwachs gegenüber dem Vorjahresmonat zwölf Prozent betragen. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat daraufhin die Prognose für das Produktionswachstum in diesem Jahr von vier auf neun Prozent angehoben. Schon vier Jahre dauert der Aufschwung der Branche. In dieser Zeit stieg die Maschinenproduktion um knapp 30 Prozent. Eine vergleichbare Entwicklung hatte es zuletzt vor fast 40 Jahren gegeben. Von 1967 bis 1970 war die Produktion der Branche um 32 Prozent angezogen.
Der im Herbst ausscheidende Verbandspräsident Dieter Brucklacher warnt allerdings vor Euphorie. Durch die hohe Auslastung und die dadurch bedingte günstige Ertragsentwicklung der Unternehmen würden viele Probleme nur überdeckt. Da gebe es zum einen betriebliche Sorgen. Die Kapazitätsauslastung selbst gehöre dazu. Mit rund 93 Prozent ist sie so hoch, dass viele Betriebe keine Zeit für notwendige Wartungs- und Reparaturarbeiten haben, wenn sie mit ihren Aufträgen nicht in Verzug kommen wollen.
Sorge bereitet vielen deutschen Maschinenbauern auch der "dramatische" Anstieg der Materialkosten, vor allem die Verteuerung des Stahls. Walzstahl ist im Schnitt über alle Produktkategorien seit Anfang 2004 um 60 Prozent teurer geworden. Der Preis für gängige nicht rostende Edelstahlprodukte hat sich einschließlich der Legierungszuschläge allein im vergangenen Jahr verdoppelt. Für viele Unternehmen ist nicht nur die Höhe des Preises zum Kalkulationsproblem geworden, sondern die nicht vorhersehbare Entwicklung. "Angebotskalkulationen für langfristige Verträge oder im Projektgeschäft werden zum Lotteriespiel und sind manchmal schon überholt, wenn der Kunde sich zur Vergabe des Auftrags entschlossen hat", weiß Brucklacher, der einen Werkzeugmaschinenbetrieb in Baden-Württemberg leitet.
Zu einem bedrohlichen Problem wächst dem Maschinenbau der akute Fachkräftemangel heran. Vor allem fehlen Ingenieure. Nach einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft konnten schon im vorigen Jahr rund 50.000 offene Ingenieursstellen nicht besetzt werden. Der volkswirtschaftliche Wertschöpfungsverlust beträgt schon 3,5 Milliarden Euro. Der Mangel an Ingenieuren trifft die Branche im Kern. Sie kann ihre führende Stellung in der Welt nur erhalten, wenn sie mit ihren technischen Neuerungen immer die Nase vor der Konkurrenz hat. Diese Konkurrenz wächst vor allem aus Schwellenländern wie China oder Indien rasant. Rund 400.000 Ingenieure verlassen jedes Jahr die chinesischen Hochschulen. In Indien sind es rund 300.000, in Deutschland waren es zuletzt etwa 40.000.
Nach diesen Fachleuten ringen sich die Unternehmen die Hände. Viele, wie Heidelberger Druckmaschinen, sind dazu übergegangen, schon auf ihren Homepages im Internet zu inserieren. Andere nutzten ihre Mitarbeiterzeitschriften, um die Belegschaft zur Mithilfe bei der Werbung neuer Leute zu gewinnen. Bei einer Siemens-Tochter gibt es für die Vermittlung eines neuen Kollegen sogar einen satten Bonus. Unter dem Strich wird das Problem aber nicht kleiner, wenn sich führende Branchen wie Maschinenbau, Elektro- oder Autoindustrie, große und kleinere Unternehmen die Ingenieure gegenseitig vor der Nase wegschnappen.
Auf Dauer wenig nützlich findet der VDMA auch die Diskussion um den erleichterten Zuzug ausländischer Fachkräfte. Ein deutscher Diplom-Ingenieur sei eben nicht so einfach durch einen ausländischen zu ersetzen. Das Niveau der Ausbildung sei kaum irgendwo so hoch wie in Deutschland. Außerdem fehlten beispielsweise gerade Asiaten die Fähigkeit, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. Statt mittel- und langfristig auf ausländische Hilfe zu setzen, appellieren viele Unternehmensvertreter an die Politik, den eigenen technischen Nachwuchs zu fördern. Naturwissenschaftliche Fächer wie Physik dürften nicht länger ein Mauerblümchendasein im Lehrplan der weiterbildenden Schulen spielen, fordert Arndt Kirchhoff, der Vorsitzende des Mittelstandsausschusses beim BDI. Auch sollte das Interesse von Frauen an technischen Berufen gestärkt werden. Unterstützung gibt es in diesem Punkt von der Kanzlerin. "Ich bin überzeugt, die Gehirnwindungen von Mädchen sind ähnlich geeignet für technische Berufe wie die von Jungen", so Angela Merkel. "Berufsbildungspolitik heißt heute auch, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken", sagt Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). In der Bundestagsdebatte über Bildungspolitik im Juni kündigte sie eine "nationale Qualifizierungsoffensive" der Bundesregierung an, die mit Bildung, Ausbildung und dem Übergang in den Arbeitsmarkt alle Stufen umfassen soll.
Verbandspräsident Brucklacher räumt ein, dass die Wirtschaft an der Misere nicht ganz unschuldig ist. Die Industrie habe Mitte der 90er Jahre Ingenieure entlassen und damit junge Leute vor dem Studium abgeschreckt. Inzwischen sei das Problem "dramatisch". Mut mache aber die Zahl der Studienanfänger der letzten zwei bis drei Jahre. Einstweilen droht die immer größer werdende Lücke bei Ingenieuren nach einer Studie der Deutschen Bank "nicht nur zur Achillesferse des Maschinenbaus, sondern der gesamten Industrie in Deutschland zu werden". Schließlich gehöre die Innovationsstärke zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren deutscher Maschinenbauer. Im Jahr 2005 habe die Branche fast ein Drittel ihres Umsatzes mit Produktneuheiten generiert. 2006 veranschlagt die Studie die Innovationsaufwendungen der Branche auf 10 Milliarden Euro, einen historischen Höchststand.
Diese Ausgaben für Produktionsforschung müssen nach Einschätzung von Manfred Wittenstein, Vize-Präsident des VDMA, weiter steigen. Das sei aber nur mit Unterstützung der Politik realistisch. Wittenstein plädierte für die Einführung einer steuerlichen Forschungsförderung. "Bisher wird der Maschinenbau als wesentlicher Innovator nur marginal durch Fördermaßnahmen des Bundes erreicht", kritisiert Wittenstein, der Brucklacher demnächst im Amt des VDMA-Präsidenten ablösen soll. Gerade für die kleinen und mittleren Unternehmen böte eine steuerliche Forschungsförderung Anreize zur Steigerung ihrer Entwicklungsaktivitäten.
In vielen unmittelbaren Konkurrenzländern der OECD sei ein solches Instrument bereits seit langem etabliert. Zu den großen Vorzügen einer steuerlichen Forschungsförderung gehöre, dass sie keine Genehmigungsprozesse benötige und deshalb rasch und unkompliziert wirke. Außerdem habe sie den Vorteil, dass die Unternehmen ihre Forschungsthemen selbst bestimmten, statt ihre Forschung an öffentlichen Förderprogrammen zu orientieren.
Noch ist der Maschinenbau gut strukturiert. Die rund 885.000 Beschäftigten der Branche erwirtschafteten im vergangenen Jahr einen Umsatz von annähernd 167 Milliarden Euro. Dabei sieht Verbandspräsident Brucklacher die Branche "hervorragend aufgestellt". Als Maßstab führt er an, dass in 17 von 31 international vergleichbaren Fachzweigen deutsche Hersteller Weltmarktführer sind. Darunter in der Hütten- und Walzwerktechnik, die dank des internationalen Stahlbooms allein in diesem Jahr mit einem Umsatzplus von 25 Prozent rechnet. Der breite Aufschwung wird auch dazu führen, dass die Unternehmen mehr Stellen schaffen werden, als prognostiziert. "Wir werden die Zahl von 10.000 neuen Arbeitsplätzen in diesem Jahr deutlich überschreiten und damit mehr Stellen schaffen, als bislang angenommen; wenn wir denn genügend qualifizierte Leute bekommen", kündigt Brucklacher an.