KLIMASCHUTZ
Die Kanzlerin will 40 Prozent weniger Kohlendioxidausstoß bis 2020
Sie wollen einen Schritt schneller sein als die Regierung. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drei Tage zuvor am Ende des so genannten Energiegipfels Eckpunkte eines Regierungsprogramms zum Klimaschutz für Mitte August angekündigt hatte, legten die Bündnisgrünen am 6. Juli ihre Ideen in einem Antrag ( 16/5895 ) vor. Auch die FDP ließ einen Antrag ( 16/5610 ) mit Vorschlägen für den Klimaschutz auf die Tagesordnung setzen.
Um den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 40 Prozent, verglichen mit 1990, zu reduzieren, schlagen die Grünen 78 Maßnahmen für Wärme, Strom und Verkehr vor. So fordern sie europaweite Mindeststandards für Endgeräte, verbindliche Grenzwerte für Autos in Europa und den Gebäudeenergiepass als einheitlichen Bedarfsausweis auszugestalten. Die Liberalen forderten dagegen, ab 2013 Gebäude und Verkehr in den Emissionshandel einzubeziehen und ein neues System zur Nutzung regenerativer Energien beim Heizen einzuführen.
Hans-Josef Fell, energiepolitischer Sprecher der Grünen, warb für eine "kompromisslose Umstellung auf erneuerbare Energien und Energiesparen". SPD und CDU/CSU warf er Versagen vor. "Die bisherigen Maßnahmen der Koalition sind mehr als dürftig." So warteten die Bürgerinnen und Bürger schon 592 Tage auf ein Wärmegesetz für erneuerbare Energien. Außerdem habe die Regierung Biokraftstoffe besteuert und dadurch Bioenergieunternehmen runiert. Beim Zuteilungsgesetz hätten Kohleunternehmen "unheimliche Vorteile" erhalten.
Unterstützung erhielten die Grünen von den Linken. Auch deren umweltpolitische Sprecherin Eva Bulling-Schröter plädierte dafür, den Gebäudeenergiepass als zwingenden Nachweis einzuführen, an dem jeder Mieter sehen könne, wie gut saniert seine Wohnung sei. In ihren Augen könnten sowohl durch die Energiesanierung von Gebäuden als auch durch Richtlinien für die Wirtschaft, energiesparende Haushaltsgeräte zu entwickeln, neue Arbeitsplätze entstehen. "Energiesparende Geräte sind Exportschlager", war sie sich sicher.
Weniger positiv sah Frank Schwabe von der SPD die Anträge der Oppositionsfraktionen. Vor allem der FDP unterstellte er keine geschlossene Meinung zum Thema. Die Mehrheit der Fraktion habe eine andere Position als in ihrem Antrag zum Ausdruck komme. "Wollen Sie, dass wir Maßnahmen ergreifen oder wollen Sie von aktionistischem Regelwahn sprechen", fragte er in Anspielung auf die Rede der energiepolitischen Sprecherin der FDP, Gudrun Kopp, in der Aktuellen Stunde am 4. Juli zu den Ergebnissen des Energiegipfels.
Der Klimaschutz war eines der Topthemen in der letzte Sitzungswoche des Bundestages vor der Sommerpause. Denn schon einen Tag vor der Debatte um die Anträge von Grünen und FDP nutzten die Oppositionsfraktionen ihre Chance, in der erwähnten Aktuellen Stunde mit der Klimapolitik der Regierung abzurechnen. Nachdem die Kanzlerin am 3. Juli nach ihrem Treffen mit den Vorständen der großen Energiekonzerne und Unternehmen, die erneuerbare Energien produzieren, verkündet hatte, am Atomausstieg festzuhalten und auch an dem Ziel, den Ausstoß von Kohlendioxid in der Bundesrepublik bis 2020 um 40 Prozent senken zu wollen, hielten Grüne, FDP und Linke der Regierung Versagen vor.
Die hohen Ziele wie Klimaschutz und Klimaeffizienz "bleiben unerreichbar und unbezahlbar", monierte Gudrun Kopp. Sie plädierte für den weiteren Einsatz von Atomenergie, ohne den das Ziel der 40-Prozent Reduktion nicht zu erreichen sei. Ohne Atomstrom seien mehr Kraftwerke für fossile Brennstoffe nötig. Das bedeute einen höheren CO2-Ausstoß. Außerdem sei es teurer für die Verbraucher.
Dass er auch in der Union beim Thema Atomausstieg unterschiedliche Meinungen gibt, zeigte sich beim Redebeitrag von Joachim Pfeiffer (CDU/CSU). "Indem wir die Laufzeiten verlängern, können wir das Ziel sogar übererfüllen", plädierte er für das dritte Szenario, das Forscher in einer Studie für die Bundesregierung durchgespielt hatten.
In der Tat kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass sich mit einer verlängerten Laufzeit der vorhandenen Atomkraftwerke um 20 Jahre die CO2-Emissionen bis 2020 um 45 Prozent senken ließen. In den beiden anderen Szenarien, das eine bezogen auf die Vorhaben des Koalitionsvertrages, das andere bezogen auf eine noch stärkere Nutzung erneuerbarer Energien, kam es zu 39 beziehungsweise 41 Prozent weniger Ausstoß. Außerdem würde das Modell mit den verlängerten Laufzeiten der Atomkraftwerke um 1,2 Milliarden Euro preiswerter ausfallen als das Szenario, in dem die Vorgaben des Koalitionsvertrages eingehalten werden. CDU/CSU und SPD hatten unter anderem beschlossen, am Ausstieg aus der Kernkraft festzuhalten und die Energieproduktivität, gemessen an 1990, bis 2020 zu verdoppeln. Die Wissenschaftler errechneten aber auch, dass im Falle stärkerer Nutzung der Atomkraft der so genannte Primärenergieverbrauch weniger stark zurückgehen würde. Darunter zählten sie zum Beispiel die Energie, die von privaten Haushalten, in der Industrie und im Verkehr verbraucht wird.
Die Diskussion über den Atomausstieg war im Vorfeld des Gipfels zusätzlich durch Brände in den Kernkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel angeheizt worden. Nach Darstellung des Betreibers Vattenfall handelte es sich nur um kleine Störungen. Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace forderten trotzdem eine dauerhafte Stillegung von Krümmel.
Die Gretchenfrage im Bundestag lautete diese Woche aber weniger "Wie haltet ihr's mit den Atomen?", sondern eher "Wie schaffen wir die 40 Prozent ohne sie?". Die Kanzlerin versprach, das Programm zur Sanierung von Altbauten um 1,6 Milliarden auf 3 Milliarden aufzustocken. Doch damit allein wird es nicht getan sein. Denn die Studie besagt auch, dass die Energieverschwendung insgesamt sinken muss. Denn das Ziel sei zwar erreichbar, aber insbesondere wenn noch stärker als bisher vorgesehen auf erneuerbare Energien gesetzt werden solle, brauche es "weit über das heute Übliche hinausgehende politische Anstrengungen."