Einblick
Leichter Lernen mit Computern. Erfahrungen einer Schule in Berlin-Kreuzberg.
Cansel klickt auf den roten Schalter im Robotergesicht vor ihr. In einem Feld neben dem Roboter erscheint nun das Bild einer Kapuze, während sie gleichzeitig dieses Wort über ihre Kopfhörer hört. Unter dem Robotergesicht sind Felder mit Buchstaben abgebildet. Neben jedem Buchstaben ist ein passendes Symbol zu sehen, eine Sonne für "S" beispielsweise. Jetzt klickt Cansel mit ihrer Maus nacheinander auf "K", "A" und so weiter, bis das Wort "Kapuze" im Buchstabenfeld erscheint. "Richtig", sagt die Computerstimme. Auf zum nächsten Level.
Wochenplan-Unterricht in der ersten Klasse von Jutta Herok in der Jens-Nydahl-Grundschule in Berlin-Kreuzberg. Zwei Stunden pro Woche haben die Schüler keinen geschlossenen Unterricht, sondern erledigen das, was auf ihrem "Wochenplan" steht: Cansel erarbeitet sich heute Deutsch. Zusammen mit einer Mitschülerin sitzt das kleine Mädchen mit den dunklen Haaren und Augen, der rosa Hose und dem rosa T-Shirt in einer durch ein Regal abgetrennten Ecke an den zwei Klassencomputern und übt mit einem Lernprogramm buchstabieren.
Barbaros dagegen hat Probleme. Nebenan im Internetraum schaut der Drittklässler ratlos auf seinen Bildschirm. Leise und stockend liest er seinen Mitschülern einen Text über Auberginen vor. Seine Lehrerin Ulrike Lang hat ihm extra aufgetragen, bei "wissenskarten.de" nachzuschauen, einem Internetdienst für Kinder. Doch gleich über den ersten Satz stolpert er. "Auberginen gehören zur Familie der Nachtschattengewächse" steht da. Doch Barbaros kann mit dem Wort "Nachtschattengewächse" genauso wenig anfangen wie die anderen Kinder. Die Bilder aber, die sie auf den Internetseiten finden, speichern alle zufrieden in ihren digitalen Ordnern ab. In den nächsten Wochen werden sie dazu Texte schreiben und einen bebilderten Bericht über die Aubergine verfassen. Dafür haben sie sich auch schon Sachbücher aus der Kiezbibliothek und der Schulbücherei ausgeliehen. "Es geht darum, dass sie die Frucht sehen", erklärt Ulrike Lang später. Für die Drittklässler sei eine umfangreiche Internetrecherche noch zu früh. Aber sie sollten lernen, dass sie Computer nicht nur für Spiele benutzen können.
560 Schüler der ersten bis sechsten Klasse besuchen die Ganztagsschule. Für sie gibt es 100 Computer. In jedem Klassenraum stehen zwei oder drei, nicht zu vergessen der Internetraum mit den neuen Flachbildschirmen. In der Schulbibliothek steht ebenfalls einer, und ein kleiner Raum für eigenständiges Arbeiten mit Computern wird gerade eingerichtet. Die Erstklässler nutzen sie für Lernprogramme, die Größeren haben außerdem einmal in der Woche Internetunterricht.
Die Schüler lernen aber nicht nur mit Computern. "In der Bücherei stehen ihnen viele Lexika, den Jahrgangsstufen entsprechend, zur Verfügung", betont Lang. Die Schule kooperiere außerdem mit der Kiezbibliothek. "Der Computer ist keine Alternative zum Buch. Alles zusammen ist sinnvoll." Übrigens würden die Schüler genauso gerne in der Bücherei wie im Computerraum arbeiten. Ziel sei es, den Kindern beizubringen, wie sie möglichst schnell an die gewünschten Informationen kommen können.
Den ersten Computer hat Jutta Herok vor zehn Jahren von "Schulen ans Netz e.V.", einer Initiative des Bundesbildungsministeriums und der Deutschen Telekom, bekommen. Seitdem haben die Lehrer immer wieder Fortbildungen über den Verein gemacht. "Schulen ans Netz" wurde 1996 gegründet, als der damalige Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) befürchtete, Deutschlands Schüler könnten den Anschluss an die technologischen Veränderungen verlieren. Im ersten Jahr stattete der Verein nach eigenen Angaben 3.500 Schulen mit Internetanschlüssen, Computern und Programmen aus. Seit Ende 2001, so Dirk Frank, Mitarbeiter des Vereins, seien 34.000 Schulen ans Internet angebunden worden. Wie viel die Initiative gekostet hat, verrät er nicht.
Das Bundesbildungsministerium fördert noch weitere Maßnahmen, die jungen Menschen den Zugang zu digitalen Medien erleichtern sollen. 2002 verkündete die damalige Ministerin Edelgard Bulmahn (SPD), mit der Initiative "Notebook University" 25 Millionen Euro für Projekte an Hochschulen zur Verfügung zu stellen. Laptops sollten in den Lernalltag integriert werden.
Dann gibt es noch lokale Projekte wie "Cid!s - Computer in die Schulen", eine 1998 gegründete Berliner Initiative, von der auch die Jens-Nydahl-Schule profitiert hat. "Cid!s" hat es sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe von Politik und Wirtschaft Berliner Schulen mit Computern auszustatten und die Lehrer auszubilden. Jutta Herok und ihre Kollegen konnten gebrauchte Computer, die sie ein Jahr vorher durch eine Kooperation mit der Technischen Universität Berlin bekommen hatten, gegen neue Geräte eintauschen. "Da hatten wir plötzlich 24 neue Computer und konnten einen Computerraum einrichten", erinnert sich Herok. Inzwischen sammelt die Organisation vor allem Spenden und will die Internetnutzung von städtischen Schulen und Jugendeinrichtungen fördern.
Es war ein Ruck, der Ende der 90er-Jahre durch die Schulen ging. Zaghaft versuchten Lehrer, neue Medien in ihren Unterricht einzubauen. Ob die Schüler durch die Veränderung besser lernen, ist allerdings fraglich. In den USA, wo in den 90er-Jahren Millionen Dollar in die technische Ausstattung der Schulen gesteckt wurden, werden den Schülern die Laptops zum Teil wieder weggenommen. Denn die Kinder nutzten ihre Computer mehr zum Chatten mit Freunden als zum Lernen.
Was sich verändert hat, ist die Art, wie Kinder lernen. "Handlungs- und projektorientierte Lernformen, die in den vergangenen Jahren von der Pädagogik eingefordert wurden, sind sicherlich nachhaltig durch den Einsatz neuer Medien gestärkt worden", ist sich Frank sicher.
An der Jens-Nydahl-Grundschule haben sich die Lehrer in den vergangenen Jahren immer wieder neue Methoden einfallen lassen, um die Schüler zum Lernen zu animieren. Dazu braucht es hier in Kreuzberg vielleicht ein bisschen mehr Engagement als in anderen Stadtteilen. Mehr als 90 Prozent der Schüler kommen aus türkischen oder arabischen Familien. Wenn die Kinder Deutsch reden, vergessen sie oft Präpositionen oder kennen viele Wörter einfach nicht.
Die Lernprogramme seien eine gute Alternative, ist sich Lehrerin Lang sicher. Gerade Lernschwache hätten Spaß daran. Ihre Kollegin Elke Menzel erkennt aber auch die Grenzen. "Die Schüler haben zum Teil so wenig Gespür für Rechtschreibung, dass sie gar nicht merken, wenn etwas falsch ist." Da helfe es dann auch nicht, wenn die Rechtschreibkontrolle des Schreibprogrammes ein falsch geschriebenes Wort rot unterstreiche. Auch Lesen lernen geht mit den Computern nicht unbedingt besser, weiß Lang. "Das müssten sie eigentlich zu Hause lernen. Aber manche haben da noch nicht einmal einen Schreibtisch."
Das eigentliche Problem der Berliner ist aber das Geld. Es gibt zum Beispiel kaum finanzielle Mittel für jemanden, der das Netzwerk und die Computer pflegt - eine Voraussetzung für reibungsloses Arbeiten mit Computertechnik. Für das neueste Projekt, das es den Schülern möglich machen soll, während des Unterrichts in der Schulbücherei oder in einem anderen Raum unter Aufsicht zu recherchieren, muss die Schule auf Ein-Euro-Jobber zurückgreifen. Die Arbeitslosen haben aber nicht zwangsläufig Computer- und Pädagogik-Kenntnisse. Es bleibt also noch viel zu tun.
Die Autorin Ist Volontärin bei "Das Parlament".