Offensive
Europa plant eine eigene digitale Bibliothek
Das gedruckte Wissen der Menschheit wird weltweit zugänglich - es ist die Idee von Google und neben Begeisterungsstürmen, die sie hervorgerufen hat, stößt sie auch auf Kritik. Wortführer der Google-Weltbibliotheks-Kritiker ist der Chef der französischen Nationalbibliothek Jean-Noël Jeanneney. Mit seiner Streitschrift "Googles Herausforderung. Für eine europäische Bibliothek" polarisierte er die Fachwelt. Jeanneney forderte als Gegengewicht zu einer Google-Bibliothek eine europäische digitale Bibliothek. Frankreich schob gemeinsam mit Deutschland entsprechende Initiativen in der EU an. Die Verhandlungen für die EDL, die European Digital Library, laufen derzeit auf Hochtouren.
Im Winter 2004 hatte der US-amerikanische Konzern angekündigt die Bestände aus fünf US-amerikanischen und britischen Bibliotheken zu digitalisieren und ins Netz zu stellen. Das Projekt soll zunächst 4,5 Milliarden Buchseiten umfassen.
Kurz darauf erschien Jeanneneys Streitschrift. Er wies darauf hin, dass Google vor allem das Ziel verfolge, Geld zu verdienen. Eine weltweite Google-Bibliothek werde das verfügbare Wissen amerikanisieren. Angloamerikanische Werke bildeten den Schwerpunkt, zudem bliebe unklar, welche Werke warum in die Liste kommen. Dazu komme womöglich eine Vermischung von Werbung und Inhalt. Nicht zuletzt befürchtete er, dass eine Vormachtstellung, wie Google sie mit einer digitalen Weltbibliothek erringen könnte, den freien Zugriff auf das Wissen behindern könnten.
Seine Worte wurden gehört. Die aus Jeanneneys Kritik hervorgegangenen französischen Initiativen beflügelten die EU. Die EU-Kommission machte "Digital Libraries" zu einem Schwerpunkt ihres Programms "Informationsgesellschaft 2010", das bis 2010 über die EDL mindestens sechs Millionen Bücher, Fotos, Filme, Manuskripte im Internet zugänglich machen will. Als organisatorisches Vorbild gilt TEL, "The European Library" (www.theeuropeanlibrary.org), eine Initiative von 46 europäischen Nationalbibliotheken, die das Projekt selbst finanzieren und das von der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt koordiniert wird.
Bis die EDL steht, wird aber noch einige Zeit ins Land gehen, meint Ute Schwens, die ständige Vertreterin der Präsidentin der Nationalbibliothek. "Erstmal müssen die Institutionen in die Lage versetzt werden, ihre Materialien einzustellen. Doch dann wäre es besser als Google, wo Sie mit Informationen zugeschmissen werden. Sie werden zielgerichtet suchen können. Zum Beispiel bekommen Sie zu einem Buch gleich Archivmaterial geliefert. Wenn das gelingt, wäre das doch Klasse."