Google & Co
Was wir im Internet finden, liegt in den Händen einiger weniger Konzerne. Informationen werden monopolisiert - mit weitreichenden Folgen.
Internetsuchmaschinen haben unseren Alltag zweifellos verändert. Der Klick auf den "Suchen"-Knopf hat für Millionen Menschen längst den Griff zum Lexikon, den Gang in die Bibliothek oder den Blick in Zeitung oder Fachbuch ersetzt. In Sekunden liefern gigantische Datenbanken alles auf den Bildschirm, was es im weltweiten Netz zu einem Stichwort zu finden gibt - oder zumindest das, was überhaupt erfasst ist und der Nutzer auch sehen soll.
Ein altes Sprichwort sagt: "Wissen ist Macht." Wenn sich diese Macht in Zahlen manifestiert, dann ist Google eine Supermacht. Oder wie David A. Vise, Autor von "Die Google Story", es ausdrückt: "Google ist die revolutionärste Erfindung seit Gutenberg." Es hat die Art der weltweiten Informationsbeschaffung neu definiert, erleichtert, ja in vielen Fällen sogar schlicht und einfach überhaupt erst ermöglicht. Die leicht zu bedienende Technik hat das Unternehmen zum Liebling der Web-Nutzer und zum Marktführer in einem Multimilliarden-Dollar-Markt werden lassen.
Im Mai dieses Jahres haben die amerikanischen Internetnutzer rund 7,6 Milliarden Mal eine Suchanfrage im Internet gestellt. Zum ersten Mal überhaupt, berichtet der Branchendienst Comscore, gingen im größten Internetmarkt der Welt mehr als 50 Prozent davon nur an ein einziges Unternehmen: Google. Auch in Deutschland kennt die Beliebtheit kaum Grenzen. Im Mai haben rund 69 Prozent aller Surfer mindestens einmal eine Webseite aus dem weit verzweigten Google-Imperium aufgerufen. Zum Vergleich: Die Nummer zwei, Microsoft, kam gerade mal auf 53 Prozent. Offenbar ist die von den Internetnutzern freiwillig angelegte Informations-Monokultur sehr ausgeprägt - der Vertrauensvorschuss, den sie "ihrer" Suchmaschine entgegenbringen, scheint enorm.
Der Begriff "googeln" hat sogar Einzug in den Duden gehalten. Das Wort ist heute Synonym für eine Tätigkeit, die unser Leben verändert hat - das Suchen im Internet. Und Google entscheidet, was wir finden.
Alle namhaften Suchmaschinen arbeiten heute mit großen Datenbanken und Suchprogrammen, die 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche das Internet durchforsten. Gefundene Internetseiten werden mit ihrer Adresse und Angaben zum Inhalt in den Datenbanken gespeichert. Wie groß diese Index-Datenbanken sind, weiß inzwischen niemand mehr so genau. Bis 2004 hatte Google noch stolz mit der ständig wachsenden Zahl der durchsuchten Webseiten auf seiner Homepage geworben. Doch dann wurde die Veröffentlichung Ende 2004 beim Stand von rund acht Milliarden Seiten eingestellt.
Die reine Zahl der zusammengesuchten Webseiten ist allerdings nur bedingt aussagefähig. Ein Großteil des globalen Wissens bleibt im "deep web" oder "hidden web" verborgen. Dies sind für die Suchroboter unsichtbare Teile des Internets. Manche Seiten werden einfach nicht gefunden oder sind aus technischen Gründen nicht erfassbar. Andere wollen gar nicht gefunden werden und sperren die Roboter aus oder sie sind durch Passwörter geschützt. Für den Nutzer wichtige Informationen können auch in Bildern, Grafiken oder Flash-Animationen eingebettet und unerkannt bleiben. Dann finden sie schlicht keinen Eingang in den Suchindex oder werden unter ganz anderen Stichwörtern geführt. Wie groß dieses schwarze Loch im Internet wirklich ist, ist nicht sicher. Fachleute schätzen, dass es zwischen zehn bis 500 Mal so groß sein könnte, wie das sichtbare Netz.
Aber auch die Aufnahme in einen Index bedeutet noch lange nicht ein Erscheinen auf der Trefferliste. Die Inhalte werden erst noch durch die Suchmaschinenbetreiber bewertet und teilweise auch zensiert beziehungsweise ausgefiltert. Wissen oder Nichtwissen - die Macht der Suchmaschinenbetreiber ist groß. Zum einen werden strafrechtlich relevante Inhalte praktisch überall gesperrt, jugendgefährdende oder gewaltverherrlichende Inhalte rechtlich bedingt, aber auch infolge freiwilliger Übereinkünfte zensiert.
Zum anderen aber sind die großen Suchmaschinenbetreiber wie Microsoft und Google profitorientierte Privatunternehmen und als börsennotierte Gesellschaften in erster Linie ihren Anteilseignern verpflichtet: Ein gesetzlicher Anspruch darauf, im Index einer Suchmaschine geführt zu werden, besteht nicht. Im Gegenteil. Immer wieder kommt es vor, dass Internetseiten wegen angeblicher oder tatsächlicher Regelverstöße aus dem Index gelöscht werden. Unternehmen, die nur im Web ihre Kunden finden und Geld verdienen, kann das schlagartig existenziell treffen.
Die Festlegung der Reihenfolge, in der die Suchergebnisse angezeigt werden, ist die hohe Kunst des Suchmaschinenbaus - und auch sie hat weitreichende Konsequenzen. Jeder Betreiber versucht natürlich, möglichst exakt Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Doch wie genau sie dabei vorgehen, bleibt so geheim wie bei all seinen Konkurrenten. Bekannt ist bei Google vor allem das Prinzip des "PageRank". Dabei wird eine Webseite daran gemessen, wie oft auf sie von anderen Webseiten verwiesen wird. Und wenn die verlinkende Webseite wiederum "wichtig", also selber gut verlinkt ist, ist der Effekt umso größer.
Das bedeutet zum einen: Um sich in diesem PageRank und damit den Trefferlisten des Marktführers nach oben zu mogeln, hat sich eine ganze Industrie von "Suchmaschinenoptimierern" gebildet, die versuchen, den PageRank für ihre Kunden künstlich nach oben zu schrauben. Im schlimmsten Fall findet der Anwender auf den vordersten Plätzen der Liste völlig irrelevante, oft werbliche Ergebnisse und Informationen. Die "echten" Treffer verschwinden in der Masse.
Ein anderes, vor allem moralisch sehr viel größeres Problem ist die Manipulation durch die Suchmaschinen selber. Sie ist erst durch Vorgänge in China richtig ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Suchanfragen zu regimekritischen Themen werden dort - unter anderem von Google - auf staatlich kontrollierte Webserver umgeleitet. Das Problem: Nicht nur Informationen werden so unterdrückt, es besteht auch die Gefahr, dass Nutzerdaten durch Dritte protokolliert und Regimegegner aufgespürt und verfolgt werden. Internationale Kritik hagelte es zudem für die Tatsache, dass Seiten westlicher Nachrichtenmagazine infolge der Filterungen von China aus oft nicht abrufbar sind. Klare Fälle von Zensur - mit der Demokratisierung des Wissens, wie sie die Suchmaschinenbetreiber verheißen, haben diese Praktiken herzlich wenig zu tun.
Neben solchen äußerst umstrittenen Einschränkungen der Informationsfreiheit gibt es weniger problematische, aber immer noch sehr kontrovers diskutierte Filterungen überall auf der Welt. Jüngst ging ein Aufschrei durch das Internet, als die zum Internetriesen Yahoo gehörende Foto-Webgemeinschaft "Flickr" ohne Ankündigung alle deutschen Mitglieder und Benutzer auf den Status von Minderjährigen zurückstufte. Außer Blümchen und Katzenfotos gab es dann nur noch wenig zu sehen. Der Filter ließ sich zudem nicht mehr abschalten. Nach massiven Protesten und Zensurvorwürfen hat Flickr nun angekündigt, die aktivierten Filter abzuschwächen und über andere Wege der Alterskontrolle nachzudenken.
Die Konzentration der Nutzer auf ganz wenige Informationsquellen weckt immer häufiger auch Begehrlichkeiten in anderen Bereichen. Bekannt ist etwa das Vorgehen der Scientology-Sekte gegen das Listing von ihr gegenüber kritischen Internetseiten in den großen Suchmaschinen. Das Ziel ist klar: Wer das Listing solcher Seiten in den drei größten Suchmaschinen ausschalten kann, macht sie praktisch schlagartig unsichtbar und bedeutungslos.
Tatsächlich gibt es also einen Wettbewerbsvorteil durch die Monopolisierung von Wissen und Informationen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die bayerische Staatsbibliothek München hat sich als erste deutsche Institution dem Bibliotheksprojekt von Google angeschlossen. Eine Millionen Bücher sollen eingescannt und digital ins Internet gestellt werden. Aber sie werden nicht für jeden sichtbar sein - ein Websurfer muss in Zukunft Google oder direkt die Webseite der Staatsbibliothek durchsuchen, um die erfassten Bücher zu sehen. "Yahoo-Nutzer werden sie sicher nicht angezeigt bekommen", stellte jüngst der Leiter der Google-Buchsuche Europa, Jens Redmer, im Handelsblatt klar.
Neue Ansätze der Suchmaschinentechnik wollen die Probleme undurchschaubarer Bewertungskriterien und drohender Monopolisierung angehen. An vorderster Front dieser digitalen "Zurück-zur-Natur-Bewegung" sieht sich Jimmy Wales, Mitbegründer der freien Enzyklopädie Wikipedia. Sein Projekt Wikia - geplant für Ende 2007 - will die Bewertung von Webseiten und damit deren Position in der Ergebnisliste wieder an die Internetnutzer zurückgeben. Millionen von Nutzern, die Links bewerten, so die Vorstellung, können einfach nicht schlechter sein als ein Computerprogramm - vor allen Dingen schwerer manipulierbar. Und das allein schon deshalb, weil jeder sehen kann, nach welchen Kriterien das Ranking zustande gekommen ist.
Dass Wales mit seiner Menschen-Suchmaschine wirklich am Thron von Google kratzen könnte, glaubt er jedoch nicht. Er rechnet mit "bis zu fünf Prozent Marktanteil" - wenn es gut läuft. Axel Postinett
Der Autor ist Redakteur beim "Handelsblatt" und Leiter des Ressorts Technik und Innovation.