NORBERT WALTER
Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank erwartet nach der Hypothekenkrise einen Wirtschaftsabschwung bis 2009
Herr Professor Walter, die US-Immobilienkrise, auch Subprime-Krise genannt, scheint wie aus heiterem Himmel über die Finanzmärkte gekommen zu sein. Doch hat nicht die amerikanische Notenbank mit ihrer zu expansiven Geldpolitik wesentlichen Anteil am Entstehen der Krise?
Sicherlich ist die reichliche Liquiditätsvermehrung durch die amerikanische Notenbank nach dem Zusammenbruch der New Economy letztlich Ursache für die Preisblasen bei mehreren Assetklassen, so auch den Immobilienmärkten. Die Fed schleuste die Geldmarktzinsen auf ein Prozent herab. Das hatte weltweite Auswirkungen und führte zu einem Anlagenotstand der Finanzinstitute und vieler Investoren. Und deshalb wurden da auch Kreditnehmer bedient, die sehr viel schlechtere Kreditrisiken darstellten, wie etwa Hypothekennehmer im Subprime-Markt. Als dann auch noch der Eindruck entstand, dass solche Kredite durch Bündelung und Verbriefung durch bekannte Emittenten - und von weltweit bekannten Ratingeinrichtungen mit hohen Bonitäten geratet - gute Renditechancen bei begrenztem Risiko darstellten, griffen immer mehr Investoren ohne Bedenken zu.
Glauben Sie, dass in dieser Krise die Finanzaufsicht versagt hat?
Da gibt es viele, die für diese Krise Verantwortung tragen. Als erste würde ich die Erfinder der Produkte nennen. Sie haben die Pflicht deutlich zu machen, was in ihren innovativen Produkten steckt, also für Transparenz zu sorgen. Dann müssten die Investoren und die Risikomanager in den größeren Finanzinstitutionen darauf achten, dass die richtigen Anreize gesetzt werden, dass also die Sachkundigen wie eben beschrieben die größeren Risiken übernehmen müssen. Das muss auch für Dritte ordentlich dokumentiert werden. Wenn man prinzipiell an der Selbstkontrolle zweifelt, dann müssen die Regulatoren von Anfang an eingebunden sein. Neben der Garantie ausreichender Information sollten sie sicherstellen, dass kein ‚moral hazard' entsteht. Dies erfordert, dass Verbriefungstransaktionen Mechanismen aufweisen, die sicherstellen, dass der ursprüngliche Gläubiger einen hinreichenden Anreiz hat, die Qualität der Kreditnehmer gründlich zu prüfen und nachfolgend zu beobachten. Eine Reihe solcher Mechanismen hat sich im Markt bereits etabliert. Darüber hinaus müssen die Investoren ihren Risikomanagern angesichts der Liquiditätsrisiken große Sorgfalt bei den notwendigen Stresstests abverlangen, um Gefährdungen für die Solvenz des Unternehmens zu vermeiden.
Sollte man die außerbilanziellen Zweckgesellschaften untersagen?
Eine Zweckgesellschaft ist an sich nichts Verwerfliches. Wenn freilich außerhalb der Bilanz auch außerhalb der Aufmerksamkeit hieße, dann wäre das unerträglich. Denn natürlich müssen solche anderen Geschäfte, für die die Unternehmensleitung Verantwortung hat, auch voll im Blick des Risikomanagements und der Aufsichtsbehörden sein. Das Risikomanagement muss konsolidiert, das heißt für das gesamte Unternehmen erfolgen. Darüber hinaus braucht es Transparenz für den Markt, das heißt für Marktteilnehmer und Aufsicht.
Das heißt, die Aufsichtsbehörden hätten diese Risiken erkennen können?
Aufsichtsbehörden, aber wohl auch die Risikomanager der Investoren haben die Risiken solcher Verbriefungen nicht realistisch eingeschätzt. Noch gravierender war, dass man die rollierende Refinanzierung außerbilanzieller Anlagevehikel für problemlos möglich gehalten hat, also die Refinanzierung langfristiger Verbindlichkeiten über die fortgesetzte Emission kurzfristiger Papiere. Das aber war wegen der Austrocknung der Liquidität - ihrerseits Reflex auf verlorengegangenes Vertrauen zwischen den Marktteilnehmern - eine unzutreffende Annahme.
Heißt das andererseits auch, dass die Aufsichtsbehörden mangels Qualifikation nicht gehandelt haben?
Das ist leicht gesagt und unmöglich zu beweisen. Klar scheint aber, dass die Risikomanager in den privaten Institutionen, aber auch in den Aufsichtsbehörden über bessere Stresstests noch einmal sehr intensiv nachdenken müssen.
Gelegentlich wird auch eine verschärfte Haftung der Aufsichtsräte, etwa mit ihrem persönlichen Vermögen, gefordert.
Angesichts der Beträge, um die es ging, kann man sich leicht ausrechnen, dass eine Haftung mit dem Gesamtvermögen für den materiellen Schutz relativ wenig helfen würde. Da müssen wir aufpassen, dass wir nicht die prinzipiell zur Aufsicht geeigneten Menschen systematisch von dieser Aufgabe vertreiben. Sonst erklären sich nur noch Hasardeure bereit, ein solches Mandat zu übernehmen.
Es geht darum, dass die Aufsichtsräte ihre Aufgabe vielleicht ernster nehmen, wenn sie mit dem Privatvermögen haften.
Aufsichtsräte stehen erfahrungsgemäß wie Vorstände im Rampenlicht. Es spricht viel dafür, dass Verlust an Reputation dort schwer wiegt. Die wichtigste Aufgabe des Aufsichtsrats ist es sicherzustellen, dass das Management den strategischen und operativen Aufgaben gewachsen ist. Deshalb ist es die wichtigste Sanktion, dem Management das Mandat zu entziehen, falls es versagt. Dies hat in den letzten Monaten beiderseits des Atlantiks offenkundig funktioniert.
Hat diese Krise auch Auswirkungen auf die Realwirtschaft?
Nicht nur in den USA, auch in Irland, in England, in Spanien oder in Australien gibt es Korrekturprozesse an den Immobilienmärkten. Aus diesen Ungleichgewichten ergeben sich demnächst enorme Belastungen für Zins und Tilgung, die auch Auswirkungen auf den Konsum dieser Kreditnehmer haben werden. Das wird sich dann in den Importen dieser Länder zeigen und damit natürlich eine weltwirtschaftliche Schwächetendenz auslösen. Realwirtschaftliche Effekte werden also unzweifelhaft folgen. Das wird nicht in den Bankbilanzen und in den Bilanzen der Anleger erledigt sein.
Wie stark wären diese Auswirkungen?
In meinem Urteil bekommen wir einen Abschwung, der bis ins Jahr 2009 anhält. Ich kann mir vorstellen, dass in Ländern wie Spanien der Korrekturprozess auch länger anhält, weil die demografische Entwicklung nicht so dynamisch verläuft wie in den USA.
Auch in Deutschland sorgt man sich aber, dass es zu einer Art Kreditklemme kommen könnte.
Die Deutschen kommen nicht in eine Kreditklemme. Denn die deutschen Unternehmen außerhalb des Immobilien- und Baubereichs sind derzeit enorm gut finanziert. Die brauchen nicht einmal ihr Kapital zu erhöhen, sondern können mit einbehaltenen Gewinnen ihre Investitionen ziemlich problemlos finanzieren. Eigentlich brauchen nur neue Unternehmen Geld von außen.
Wie hoch ist die Gefährdung für den Finanzsektor?
Es wird neben den Bankbilanzen diejenigen treffen, die solche Verbriefungen erworben haben - seien das nun Versicherungen, Pensionskassen oder private Investoren. Bestimmte Geschäfte wie die mit strukturierten Krediten werden sich in der nächsten Zeit nicht wieder dynamisch entwickeln, das wird eine Weile dauern, bis die Transparenz etabliert ist. Insofern werden die Einnahmen der Finanzinstitute in nächster Zeit nicht so hoch sein wie in der Vergangenheit.
Was sollte die Politik tun?
Die Politik sollte mithelfen, dass die Aufsichtsbehörden nicht ineffizient arbeiten. Wir brauchen eine vernünftige Aufsichtsrolle für die BaFin unter Integration der Bundesbank. Das hat in letzter Zeit nicht immer ideal geklappt. Die Transparenzfragen müssen wir als Deutsche auf europäischer, möglichst auf globaler Ebene mit vorantreiben. Es reicht nicht aus, wenn die BaFin bestimmte Regeln etabliert, das wird das Vertrauen der wichtigen Player in diesem Markt international nicht herstellen. Wir müssen unseren Einfluss geltend machen, dass auf internationaler Ebene solche entsprechenden Transparenzregeln nicht nur geschaffen, sondern auch durchgesetzt werden.
Das Interview führte Brigitte Scholtes.