VERBRAUCHERSCHUTZ
Thilo Bodes Anklageschrift gegen Agrarlobby und Politik
Nein, Hunger bekommt der Leser von dieser Lektüre nicht. Wenn er Thilo Bodes Buch "Abgespeist - Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können" durchgearbeitet hat, weiß er, dass er eigentlich gar nichts mehr essen darf. Selbst Lebensmittel aus der Bio-Ecke haben ihre Tücken. Doch vor allem weiß der Leser, dass er aus Protest nichts mehr essen sollte. Denn von Verbraucherschutz kann Bode zufolge in Deutschland nicht die Rede sein, eher von einem Schutz der Großbauern.
Es ist der Blick hinter die Kulissen der Organisationen von Lebensmittelproduzenten sowie der Verbraucherschutzpolitik, der dieses Buch interessant macht. Die Kampagnen der CMA etwa, der Centralen Marketing Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, sind unter Bauern nicht unumstritten, wie Bode belegt. Das ist für den landwirtschaftlichen Laien umso erstaunlicher, weil die Gesellschaft für Produkte ausschließlich deutscher Bauern wirbt. Doch das Argument des Autors, die CMA verwische damit Unterschiede zwischen konventioneller und ökologischer Wirtschaft und propagiere vor allem Massenware, widerlegt diese Annahme überzeugend. Die Lobby der Agrarwirtschaft dehnt sich Bode zufolge bis in den Bundestag und das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz aus. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien verfolge eine Politik, die den Verbraucher schütze. Selbst die Grünen seien mit ihrer Konzentration auf ökologisch produzierte Lebensmittel nicht weit genug gegangen. Auch sie hätten es verpasst, ein staatlich geprüftes Gütesiegel für konventionell produzierte Ware einzuführen.
Informativ ist auch der Ausflug in die europäische Agrarpolitik, die schon lange wegen ihrer hohen Subventionen für Großbauern und ihrer abwehrenden Haltung gegenüber Lebensmittelimporten aus Drittstaaten in der Kritik steht. Bode erklärt Begriffe wie Garantiepreise und Exporterstattungen und führt aus, wie sehr Verbraucher und Umwelt durch diese Schutzpolitik für zumeist große Agrarbetriebe geschädigt werden. Das Argument, in Afrika und Lateinamerika würden Landschaften zerstört, um billig Tiere zu mästen und Gemüse anzubauen, wirkt tatsächlich weniger einnehmend für europäische Landwirte, wenn man bedenkt, unter welchen schlechten Bedingungen für die Umwelt die meisten heimischen Bauern produzieren.
An solchen Stellen merkt man die Greenpeace-Vergangenheit des Autors. Thilo Bode war lange Jahre Geschäftsführer der Umweltschutzorganisation, erst in Deutschland, dann auf internationaler Ebene. 2002 gründete er die Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch, deren Vorsitzender er heute ist. Foodwatch macht mit öffentlichkeitswirksamen Kampagnen auf sich und die von ihr angeprangerten Missstände in der Lebensmittelindustrie aufmerksam. Das Buch ist durch die Mitarbeit des Foodwatch-Teams entstanden, was man der aufgeregten Sprache anmerkt. So gewinnt man schnell den Eindruck, der Verbraucher ist ein hilfloses kleines Wesen, das den großen bösen Lebensmittelkonzernen und den ebenso großen bösen Bauern schutzlos ausgeliefert ist. Die "Geiz ist Geil"-Mentalität sei mitnichten Schuld an BSE und Gammelfleisch. Ein Konglomerat aus Industrie, Behörden und Politik sei dafür verantwortlich.
Der dramatische Ton macht misstrauisch, die gebetsmühlenartige Wiederholung der Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre plus immer gleicher Beispiele alltäglicher Irreführung im Supermarkt lassen die Gedanken beim Lesen irgendwann abschweifen. Sicherlich ist Bode auch nicht der erste, der auf die Herstellungsweisen von Aromastoffen in Joghurt, die Massenzucht von Puten und die Umweltzerstörung durch Großbauern hinweist. Auch wird er nur vermutlich diejenigen erreichen, die sich ohnehin schon um ihr Essen Gedanken machen. Doch auch die werden noch nicht alles wissen, was er an Lesenswertem zusammengetragen hat. Allein schon deshalb ist das Buch zu empfehlen.
Abgespeist. Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2007; 253 S., 14,90 ¤