DEUTSCHE BÖRSE AG
Zu 80 Prozent gehört sie angelsächsischen Finanzinvestoren. Das Management scheint sich arrangiert zu haben und will das Beste daraus machen
Die weitere Börsenkonsolidierung sei so unausweichlich wie die Erderwärmung, hat Jean-François Théodore, stellvertretender Chef der Börsenholding NYSE Euronext, unlängst auf einem Branchentreffen gesagt. Der Franzose weiß, wovon er spricht. Nach langen Übernahmeverhandlungen hat er im April 2007 die europäische Mehrländerbörse Euronext unter das Dach der US-Börse New York Stock Exchange (NYSE) gehoben und damit den ersten transatlantischen Handelsplatzbetreiber mit aufgebaut.
Viele europäische Politiker, Zentralbanker und teilweise auch die Finanzindustrie hätten einer europäischen Fusion den Vorzug gegeben. Das Unbehagen über die verpasste Chance hält an. So warb die Bundesbank in ihrem Monatsbericht vom vergangenen November für Börsenfusionen im Eurogebiet. Dies sei einer stärkeren Finanzmarktintegration und einer verbesserten Effizienz des Finanzsystems förderlich, hieß es in einem Aufsatz. Die Kosten für die Abwicklung eines grenzüberschreitenden Wertpapiergeschäfts empfinden die Banken in Europa nach wie vor als zu hoch.
Anläufe für den Aufbau von paneuropäischen Börsen gab es viele. In deren Mittelpunkt stand dabei oft die Deutsche Börse. So hatte der Frankfurter Handelsplatzbetreiber mit seinem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Werner Seifert zwei Mal um einen Zusammenschluss mit der Londoner Aktienbörse LSE geworben. Der letzte Anlauf im Frühjahr 2005 kostete den Schweizer seinen Job. Großaktionären der Börse war das Übernahmeangebot zu hoch, sie drängten Seifert und seinen Aufsichtsratsvorsitzenden Rolf Breuer aus dem Amt. Seiferts Nachfolger, Reto Francioni, bekam daraufhin den Auftrag, die Deutsche Börse mit der Euronext zu fusionieren. Doch das Misstrauen des umworbenen Managements gegenüber den Frankfurtern war zu groß. Selbst der im Gegensatz zu seinem Vorgänger als diplomatisch und bedächtig geltende Francioni schaffte es trotz zahlreicher Zugeständnisse nicht, Théodore von einer europäischen Fusion zu überzeugen. Auch Verhandlungen mit der Mailänder Börse scheiterten 2006 an "zu weitreichenden Forderungen der Italiener", wie es in Frankfurt hieß. Die Borsa Italiana ist inzwischen mit der LSE fusioniert.
Kein Wunder, haftet der Frankfurter Börse seitdem der Makel der "Unfusionierbaren" an. Tatsächlich geschadet hat es dem Konzern bisher nicht - zumindest was die Zahlen angeht. Das Konzept, an der gesamten Wertschöpfungskette vom Handel bis zur Verwahrung eines Wertpapiers zu verdienen, konnte der Frankfurter Konzern nur so beibehalten. Die Abwicklungstochter der Börse, Clearstream, und die Derivate-Plattform Eurex sind mit zusammen 66 Prozent Umsatz die wichtigsten Säulen des Konzerns. Hätte Francioni den Forderungen der Euronext-Vertreter und der französischen Banken nachgegeben, wäre der Konzern zerschlagen worden. Mit fatalen Folgen - für den Unternehmenswert, die Mitarbeiter und den Finanzplatz Frankfurt.
Vor allem im Aktienhandel dürfte der Wettbewerb für die Deutsche Börse in den kommenden Jahren härter werden. Die Grundlage dafür schaffte die EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Mifid), die am 1. November 2007 Kraft trat. Die Börsenpflicht wurde aufgehoben und neuen Teilnehmern im Geschäft mit dem Aktienhandel der Markteintritt erleichtert. So schaffte es die Londoner Aktienplattform Chi-x in kurzer Zeit, ein beachtliches Handelsvolumen an sich zu ziehen. Das Projekt "Turquoise", eine Handelsplattform von neun Investmentbanken, könnte nach Ansicht von Analysten ebenfalls zu einem durchaus ernstzunehmenden Konkurrenten für die europäischen Börsen werden. Vor allem die Aktionäre dürfen sich im Nachhinein über die Fusions-Misserfolge der Deutschen Börse freuen. Sämtliche verfügbaren Barmittel wurden an die Eigentümer ausgeschüttet. An Dividenden flossen im Jahr 2007 knapp 330 Millionen Euro, und die Aktienrückkäufe erreichten eine Höhe von 425 Millionen Euro. Während die Titel des Konkurrenten NYSE Euronext seit der Fusion im April 2007 nachgaben, stieg der Kurs der Deutschen-Börse-Aktie von Rekord zu Rekord. Der Frankfurter Marktplatzbetreiber gehört mit einer Marktkapitalisierung von rund 25 Milliarden Euro zu den wertvollsten Börsen der Welt. Je nach Kursverlauf teilt sie sich diesen Platz mit der erst kürzlich fusionierten US-Derivatebörse Chicago Mercantile Exchange Group (CME) und der asiatischen Börse Hong Kong Exchanges & Clearing.
Gänzlich ausgeklinkt hat sich die Deutsche Börse aus dem Börsenmonopoly, das die Branche derzeit in Schach hält, ohnehin nicht. Im Dezember 2007 wurde die knapp 3 Milliarden US-Dollar teure Übernahme der US-Optionsbörse International Securities Exchange (ISE) abgeschlossen sein. Damit entsteht für die Frankfurter die Chance, im lukrativen US-Derivatemarkt Geld zu verdienen. Der eigene Versuch, im Jahr 2004 mit der Eurex US in den Staaten Fuß zu fassen, war gescheitert. Der Derivateplattform Eurex, einem Joint-Venture der Deutschen Börse und der Schweizer Börse SWX, kommt bei der Integration die führende Rolle zu, weil deren Mitarbeiter Synergieeffekte aus der Übernahme erzielen müssen. Rasche Erfolge tun nun not. Die Aktionäre der Deutschen Börse, zu 80 Prozent angelsächsische Investoren, hatten sich gegen die nach ihrer Ansicht "sehr teure" Übernahme ausgesprochen. Der US-Hedgefonds Atticus drohte in einem Brief an den Aufsichtsrat des Unternehmens sogar mit dessen Abwahl. Der Streit um den ISE-Kauf zeigt, in welcher Zwickmühle der Vorstand der Deutschen Börse steckt. Auf der einen Seite will das Management bei der laufenden Börsenkonsolidierung mitspielen, auf der anderen Seite fordern Aktionäre wie Atticus oder The Children's Fund (TCI) nachhaltig üppige Renditen. Bei teuren Übernahmen sind Kostenersparnisse und Mehreinnahmen, wenn überhaupt, erst nach Jahren zu sehen. Den Frankfurtern fehlen Aktionäre, die dem Unternehmen aus strategischen Gründen Rückendeckung für Fusionen geben. Keine der deutschen Großbanken hält an der Börse nennenswerte Anteile. Das Börsen-Management muss sich nach Ansicht von Analysten mit Hilfe eines hohen Aktienkurses selbst Luft für strategische Entscheidungen schaffen.
Erste Anzeichen, dass diese Idee verfolgt wird, sind seit dem vergangenen September sichtbar. Der neue Finanzvorstand der Börse, Thomas Eichelmann, versprach mit seinem "Kosten- und Effizenzprogramm" unter anderem ab 2010 eine dauerhafte Kostenersparnis von 100 Millionen Euro. Ein Großteil davon solle bei den Sachkosten eingespart werden, sagte er. Für rund 300 Mitarbeiter hat das Programm jedoch auch eine Kehrseite, so viele Stellen sollen an den Standorten Frankfurt und Luxemburg vorwiegend im IT-Bereich und der Verwaltung gestrichen werden. Im Gegenzug sollen 200 neue IT-Stellen am Prager Standort neu geschaffen werden. Die Ankündigung des Programms zeigte prompt Wirkung, der Kurs stieg kräftig an.
Ein Problem bleibt dennoch: Börsen sind derzeit alles andere als Schnäppchen, ein Übernahmeangebot würde teuer werden. So stiegen im Jahr 2007 mit den Staatsfonds von Dubai und Katar zwei potente Bieter in den Kampf um die begehrten Börsenplätze ein. Sie können ihr Ziel, die jeweils eigene Region mit Hilfe etablierter Handelsplatzbetreiber zu einem wichtigen Finanzplatz auszubauen, ohne den Druck von Hedgefonds verfolgen. Die beiden arabischen Investoren halten inzwischen knapp 50 Prozent an der Londoner Börse LSE. Zudem kaufte die Börse Dubai die nordeuropäische Börse OMX, gab diese Anteile an die Nasdaq weiter und erhielt im Gegenzug Anteile an der US-Börse.
Was bleibt der Deutschen Börse? "Kleine Schritte", so ein Analyst. Beispiele dafür sind der Kauf eines Fünf-Prozent-Anteils an der indischen Börse in Mumbai, zahlreiche Kooperationen mit Partnern in China und Osteuropa. Der Trend ist dabei klar: Unter einem Dach sollen Handelsplattformen entstehen, die Europa, den arabischen Raum, Asien und USA vereinen. Noch ist das eine Vision, wenngleich der Anfang von einigen großen Börsen wie Deutsche Börse, Nasdaq, NYSE Euronext und Börse Dubai bereits gemacht ist.
Neben den "Weltbörsen" sehen Experten nach wie vor Bedarf an regional begrenzten Handelsplätzen. Während sich in Spanien, Griechenland, Skandinavien und auf dem Baltikum die Börsen in den vergangenen Jahrzehnten zusammengeschlossen haben, gibt es in Deutschland keine Konsolidierungsbestrebungen. Bis auf die Bremer Börse, die 2007 ihren Betrieb endgültig aufgegeben hat, und die Kooperation der Börsen Hannover und Hamburg, herrscht Stillstand. Die kleineren Regionalbörsen schafften es teilweise mit kreativen Ideen, Nischenmärkte zu besetzen. So wurden die Hamburger mit dem Fondshandel bei Privatanlegern bekannt und die Börse Stuttgart mauserte sich zum Marktführer im Handel mit Zertifikaten und Optionsscheinen. Dem Platzhirsch Deutsche Börse haben die kleinen Häuser jedoch kaum etwas entgegenzusetzten. "Wenn die Deutsche Börse es will, könnte sie die Regionalbörsen an die Wand drücken", sagte ein Vetreter einer Regionalbörse. Doch diese Sorge dürfte nicht allzu groß sein. "Unsere Priorität liegt woanders", sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse, Francioni, dazu.
Die Autorin ist Finanzredakteurin der
"Financial Times Deutschland" in Frankfurt.