FINANZMÄRKTE
Die Chancen nutzen und die Risiken in Schach halten. Ein Plädoyer für strenge Regulierungen
Die Liste der Krisen auf den Finanzmärkten wird immer länger: Die Hypothekenbanken in den USA haben die Risiken aus Krediten zum Hauskauf gebündelt und als Wertpapiere an Finanzinvestoren weiterverkauft. Da viele dieser minderwertigen ("subprime") Hypothekenkredite geplatzt sind, müssen weltweit agierende Banken Abschreibungen in Milliardenhöhe vornehmen. Analysten schätzen über die bereits abgeschriebenen 90 Milliarden US-Dollar hinaus im Laufe dieses Jahres nochmals zusätzlich über 140 Milliarden US-Dollar an Wertberichtigungsbedarf.
Es bleibt jedoch nicht nur bei dieser Subprime-Krise. Urplötzlich brechen am 21. Januar dieses Jahres die Börsen ein. Allein an diesem Schwarzen Montag büßte in wenigen Stunden der Dax, der die Börsenkurse der 30 größten und umsatzstärksten deutschen Unternehmen erfasst, um 7,16 Prozent ein. Die Kursverluste werden auf über 65 Milliarden Euro geschätzt. Das Vertrauen in die Börsen ist schwer angeschlagen, der Einbruch der Aktienkurse an den Börsen bleibt nicht auf den Finanzsektor beschränkt. Von der plötzlich restriktiven Kreditpolitik der Banken sind vor allem Unternehmen betroffen, die auf Darlehen angewiesen sind.
Darüber hinaus geht von den Finanzmärkten neuerdings ein geradezu übermächtiger Druck auf die Produktionswirtschaft aus. Es handelt sich um die aggressiv expandierenden Mega-Finanzfonds. Finanzkapital wird vor allem von großen Finanzinvestoren und reichen Familien eingesammelt. Die Macher dieser Fonds versprechen den Kapitalgebern hohe Renditen in kurzer Zeit. Dafür stehen die sich in bestimmten Geschäften stark überschneidenden Private-Equity-Fonds und die Hedgefonds. Am Geschäft dieser Finanzjongleure ist neu, dass auf der weltweiten Suche nach schnellen Renditen ganze Unternehmen oder Unternehmensteile der Produktionswirtschaft zum Handelsobjekt werden.
Mit diesen Triebkräften auf den Finanzmärkten wird deutlich, dass sich eine tiefgreifende Veränderung der Dynamik und Krisenanfälligkeit hochentwickelter Wirtschaften durchsetzt. Vormals gab es zwar auch immer wieder vor allem tiefe Abstürze der Aktienkurse an den Börsen mit katas-trophalen Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Im Zentrum stand jedoch das mit seinen Beschäftigten Wertschöpfung erzeugende Unternehmen. Die Finanzierungsinstitutionen - vor allem die Banken - hatten bezogen auf die nicht im finanziellen Sektor tätigen Unternehmen eine dienende Funktion.
Gegenüber dieser dienenden Funktion hat sich mittlerweile ein stark ausdifferenzierter Finanzierungssektor herausgebildet. Die Finanzmärkte dominieren auch strategisch die Produktionswirtschaft. Deshalb wird die jüngste Entwicklungsetappe als finanzmarktgetriebener Kapitalismus etikettiert. Die produzierende Wirtschaft unterliegt dem wachsenden Druck der "Finanzialisierung" des Wirtschaftens. Einzige Triebkraft ist die schnell erzielte, hohe Rendite. Bei dieser Jagd nach Renditen wird mit allen Vermögenswerten (Assets), mit denen sich in irgendeiner Form Renditen - also Gewinne auf das eingesetzte Kapital - erzielen lassen, gehandelt. Im Unterschied zur Produktionswirtschaft stehen Spekulationen auf Veränderung der Werte in der Zukunft im Vordergrund. Termingeschäfte sind die Brücke, die die spekulative Verbindung zwischen der heutigen Lage und der erwarteten Entwicklung herzustellen. Aktien, Anleihen oder Devisen werden je nach der Erwartung auf deren Wert- oder Ertragsentwicklung zu einem späteren Termin hin gekauft oder verkauft. Ein Beispiel sind die Leerkäufe: Heute werden Aktien geliehen und dann verkauft, um diese dann zu dem vereinbarten, späteren Zeitpunkt mit niedrigem Kurs zu besorgen und dem Verleiher zurückzugeben. Wetten auf die Zukunft beschränken sich jedoch nicht direkt auf Aktien oder Anleihen. Einbezogen werden daraus abgeleitete Werte, die so genannten Derivate. Dazu produzierte, hoch komplexe Finanzinstrumente lassen oftmals den Blick auf die produktionswirtschaftliche Basis nicht mehr zu. Ein Beispiel zeigt sich in der aktuellen Subprime-Krise. Die strukturierten Wertpapiere, die etwa von einer Hypothekenbank anderen Finanzinvestoren angeboten werden, basieren auf den Darlehen, mit denen der Immobilienkauf irgendwo in den USA finanziert worden ist. Dieses Derivat entkoppelt sich von dieser Basis und führt gewissermaßen ein Eigenleben, das sich in Kursschwankungen ausdrückt. Wenn jedoch der dem Derivat unterliegende Kredit wegen einer Zwangsversteigerung der Immobilie platzt, findet das Eigenleben ein jähes Ende.
Aber nicht nur Devisen, Wertpapiere und daraus abgeleitete Derivate prägen den Finanzsektor. Wie bereits angesprochen, werden Unternehmen zum Spekulationsobjekt. Megafonds, die gigantische Finanzmassen bündeln, versuchen mit diesem Handel schnell hohe Renditen zu realisieren. Spekuliert wird vor allem auf unterbewertete Firmen, die gekauft, filetiert, fortgeführt und oftmals wieder schnell verkauft werden. Die Haltefrist solcher Engagements liegt im Schnitt bei nicht mehr als drei Jahren.
Sicherlich führen die sich vertiefenden Finanzmärkte auch zu Chancen für die Produktionswirtschaft. Aktien und Bankkredite bieten den Unternehmen Möglichkeiten der Finanzierung. Auch die neuen Finanzierungsinstrumente können durchaus sinnvoll genutzt werden. So wird den Banken mit den per Kredit verbrieften Wertpapieren die Möglichkeit gegeben, Risiken weit zu streuen. Auch gibt es positive Beispiele für die Private-Equity-Fonds, wenn sie Unternehmen ohne Zugang zur Börse Kapital und Know-how zur mittelfristigen Stabilisierung des Unternehmens zur Verfügung stellen. Doch die Triebkraft - zu schnell zu hohe Gewinne zu erzielen - löst eine hoch riskante Eigendynamik mit Absturzgefahr aus. Der im finanzgetriebenen Kapitalismus durch die Mega-Shareholder erzeugte Renditedruck ist so übermächtig, dass zu waghalsigen Finanzierungsinstrumenten gegriffen wird. Siehe Subprime-Krise.
Während also die Dominanz der Finanzmärkte gegenüber der Produktionswirtschaft steigt, nimmt infolge der aggressiven Spekulationen auf schnell erzielbare Renditen deren selbst erzeugte Krisenanfälligkeit zu. Die entscheidende Frage lautet, wie die einem Dominoeffekt vergleichbare Ausbreitung der auf den Finanzmärkten erzeugten Krisen beherrscht werden kann. Dabei ist heute auch in der Finanzwelt und Politik die Erkenntnis unbestritten: Die Finanzmärkte verfügen nicht über eine ausreichende Selbstkontrolle und damit über eine ausreichende Kraft zur Selbstheilung. Erforderlich sind strenge Regulierungen, die dafür sorgen, dass die Chancen der Finanzmärkte genutzt werden können, ihr Hang zur Krisenanfälligkeit jedoch begrenzt wird. Dennoch ist es den Akteuren immer wieder gelungen, auf Regulierungen mit neuen Geschäftsmodellen außerhalb des Regelungsbereichs zu reagieren.
Es klingt trivial, ist aber zentral: Die dringend auszubauende Regulierung setzt vor allem Transparenz bei den Geschäften der Akteure auf den Finanzmärkten voraus. Transparenz ist gut, reicht jedoch nicht aus. Die operative Geschäftspolitik selbst muss an strenge Regeln der Risikovorsorge gebunden werden. Hier wird sich das seit diesem Jahr in kraft getretene Arrangement "Basel II" durchaus erfolgreich auswirken. Es gilt das Prinzip, dass für unterschiedliche Risiken von Geschäften auf den Finanzmärkten auch eine jeweils angemessene Unterlegung mit Eigenkapital erforderlich ist. Hier gibt es, wie die Suprime-Krise lehrt, Nachholbedarf. So hat beispielsweise die Sächsische Landesbank in Irland eine Zweckgesellschaft (Ormond Quay) gegründet, um über die Ausgabe von kurzfristigen Schuldverschreibungen (Commercial Papers) den Kauf von langfristig laufenden Schuldverschreibungen - verbrieft durch minderwertige Hypothekendarlehen - zu finanzieren. Diese Zweckgesellschaft wurde außerhalb der Bilanz und ohne Unterlegung mit Eigenkapital und Anspruch auf Liquiditätshilfen geführt. Das ändert sich mit der verschärften Regelung nach "Basel II".
Transparenz, Regulierung und deren Kontrolle darf sich jedoch nicht nur auf die Akteure an den Finanzmärkten reduzieren. Die Unternehmen der Produktionswirtschaft müssen gegenüber den auf kurzfristige Renditespekulationen ausgerichteten Megafinanzinvestoren (Private Equity-Fonds und Hedgefonds) stärker geschützt werden. Dazu wird derzeit im Bundestag das Risikobegrenzungsgesetz beraten. Die wichtigsten Maßnahmen sind: Großaktionäre (Beteiligung ab zehn Prozent) müssen Auskünfte über die Herkunft der Finanzmittel sowie die mit dem Investment verbundenen Absichten abgeben; Stimmrechte sind in das Aktienbuch einzutragen; abgestimmtes Verhalten von Finanzinvestoren zur Durchsetzung von Entscheidungen auf der Hauptversammlung ("Acting in concert") sind zu vermeiden.
Um die Finanzmärkte wirtschaftlich rational nutzen zu können, müssen sie durch Regulierungen vor ihrer Eigendynamik in Richtung krisenhafter Entwicklung mit Belastungen für die gesamtwirtschaftliche Produktion und Beschäftigung geschützt werden. Denn: Ohne stabile Finanzmärkte kann die Produktionswirtschaft nicht funktionieren. l
Der Autor ist Professor am Institut Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen.