SHAREHOLDER-HOCHBURGEN
Deutschland gehört im internationalen Vergleich nicht dazu. Ein Blick zu den Nachbarn, über den Atlantik und nach Fernost
Die Franzosen gelten als Feinschmecker, Deutsche eher als Liebhaber deftigerer Kost. Kulinarische Vorlieben sind verschieden - und eine Frage der Tradition. Ähnlich verhält es sich auch mit der Aktienkultur eines Landes. Wie sehr Dividendenpapiere als Anlagemedium oder als Instrument der Unternehmensfinanzierung akzeptiert und politisch gefördert werden, variiert von Land zu Land.
4,3 Millionen Deutsche investierten 2007 ihr Vermögen in Dividendenpapiere. Zählt man die dazu, die Fondsanteile besitzen, erhöht sich die Zahl auf 10,5 Millionen - und damit auf rund 16 Prozent. Verglichen mit anderen Industrieländern ist das wenig.
Dabei haben Aktiengesellschaften in Deutschland eine lange Geschichte: Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war die AG eine anerkannte Rechtsform. In den 20er-Jahren herrschte sogar eine wahre Aktieneuphorie. Davon ist heute wenig zu spüren: "Historisch gesehen haben der Zweite Weltkrieg und das Verschwinden vieler jüdischer Banken eine große Lücke in der Aktienkultur hinterlassen", meint der Münchner Fondsmanager und Anlageberater Dirk Stöwer. Erst 1950 wurde der erste Aktienfonds in Deutschland aufgelegt. In Großbritannien und den USA waren zu dieser Zeit Investmentfonds bereits ein wichtiger Bestandteil der Depots von Klein- und Großanlegern. Bis zum Zusammenbruch der Märkte 1929 hatten Anleger auch dort eher spekulativ mit Aktien gehandelt.
Die Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Graham und David Dodd begründeten 1934 jedoch mit ihrem Klassiker "Security Analysis" die moderne Finanzanalyse. Heute gelten die Vereinigten Staaten als Land mit ausgeprägter Aktienkultur. Umfassende Deregulierungen der Politik haben die US-Börsen nicht nur zu den effizientesten der Welt gemacht, Dividendenpapiere sind auch im Alltag der Bevölkerung angekommen: Mehr als 25 Prozent der Amerikaner sind Shareholder, besitzen Aktien.
In Deutschlands Nachbarland Schweiz ist die Aktie eine verbreitete Anlageform: 2000 besaß rund ein Drittel der Schweizer Bevölkerung Dividendenpapiere. Der Börsencrash im selben Jahr löste hier zwar - wie auch in Deutschland - einen Schock aus, und viele Kleinaktionäre trennten sich von ihren Engagements. Doch heute verfügen noch immer rund 25 Prozent der Schweizer über Aktien. Eine große Rolle spielen Anlagefonds darüber hinaus auch im schweizerischen Sozialversicherungssystem: Ein Teil der Vorsorge wird hier im Kapitaldeckungsverfahren finanziert. Das heißt: Über die Versicherung in unternehmens- oder verbandseigenen Pensionskassen investiert ein Großteil der Schweizer auch indirekt in Aktienfonds. Auch Bund und Kantone stehen dem Aktiensparen positiv gegenüber: "Größter Anreiz ist die 100-prozentige steuerliche Befreiung von Kapitalgewinnen für private Kleinanleger", sagt Ralph Faes, Direktor des Arbeitskreises "Kapital und Wirtschaft" in Küsnacht, "es müssen nur Dividendenerträge versteuert werden."
In Skandinavien spielen Aktien und Investmentfonds eine wachsende Rolle - gerade in punkto Altersvorsorge. Interessanterweise hat sich gerade im Wohlfahrtsstaat Schweden die Aktienkultur in den vergangenen 20 Jahren stark entwickelt - vor allem auch aufgrund gezielter staatlicher Förderung. Wer etwa in den 1984 eingeführten "Allemansfond" investierte, konnte bis vor einigen Jahren mit Steuervergünstigungen rechnen.
Diese Politik ging auf: Heute haben rund 35 Prozent der Schweden ihr Vermögen in Fonds und Aktien angelegt. Im Spekulationsfieber befinden sich derzeit die Chinesen: Bis zu 350.000 neue Wertpapierdepots werden jeden Tag eröffnet. Behörden warnen inzwischen schon vor übertriebener Gier. Zu Recht, halten doch auch viele Analysten die Inlandsaktienmärkte Schanghai und Schenzhen für stark überbewertet.
"Die meisten Privataktionäre zocken, ohne überhaupt geringste Börsen-Kenntnisse zu haben", sagt Andreas Grünewald, der als Vorstand der Münchner Vermögensverwaltung FIVV AG den chinesischen Aktienmarkt auch vor Ort beobachtet. Gerade auf die wachsende Mittelschicht, die dank des Wirtschaftsbooms zu Geld gekommen ist, üben so genannte Handelshäuser große Faszination aus: Jedermann kann hier gegen eine Gebühr seine Aktiengeschäfte selbst tätigen. "Eng gedrängt stehen dort Computer an Computer", erzählt Grünewald. Davor: Angestellte und Hausfrauen, die sich als ‚Daytrader' betätigen. Börsenkurse werden am Bildschirm verfolgt, Aktien per Mausklick gekauft und wieder verkauft. Wie viele Chinesen heute Aktien besitzen, ist selbst für Marktkenner schwer zu sagen. Fest steht nur: Liberalisiert Chinas Regierung die bislang stark reglementierten Aktienmärkte wie angekündigt, werden die Anlegerzahlen weiter wachsen.
Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.