DER EURO
Von der politischen Vision zum einheitlichen Zahlungsmittel zwischen Helsinki und Lissabon
Am 1. Januar 2008 standen sie sich wieder einmal unversöhnlich gegenüber, die Skeptiker und die Europa-Enthusiasten, die Angstmacher und die Schönredner. Die einen feierten, die anderen warnten. Malta und die Republik Zypern haben den Euro eingeführt. Die Rechnung der Enthusiasten geht so: Die beiden Inseln sind Mitglieder einer Wirtschaftszone aus 15 Ländern geworden, mit mehr als 300 Millionen Verbrauchern, die im letzten Jahr stärker gewachsen ist als die USA und Japan, mit einer Währung, die im Begriff ist, dem Dollar den Rang abzulaufen. Die Skeptiker halten dagegen: In einem Währungsraum mit heute 15 und in Zukunft vielleicht 27 Mitgliedern, die wirtschaftlich unterschiedlich stark sind und keine gemeinsame Sprache haben, kann es keine Geldpolitik geben, die alle Bedürfnisse befriedigt und die Währung auf Dauer stabil hält.
Die Idee, dass von Helsinki bis Lissabon in ein und derselben Währung gezahlt wird, ist schon so alt wie das Projekt Europa. Das Ziel der Gründerväter waren gemeinsame Märkte mit möglichst wenig Regulierungen und Beschränkungen, dazu eine politische Union, die sich auf vielen Feldern eng abstimmt und gemeinsamen Gesetzen und Regeln unterwirft. Eine gemeinsame Geldpolitik war die logische Konsequenz. Das beste Beispiel lieferte die Geschichte: Als die deutschen Einzelstaaten sich 1871 zum Deutschen Reich zusammenschlossen, gab es mehr als einhundert Währungen auf dem Gebiet. Nach der Reichsgründung bauten die Regierenden die Zollschranken ab und beschlossen eine Währungsunion. Mit Einführung der Reichsmark kam die Wirtschaft in Schwung. Eine gemeinsame Währung in Europa, so das Kalkül knapp hundert Jahre später, würde den Handel der Staaten untereinander erleichtern, würde für Lohn- und Preistransparenz sorgen und den Unternehmen den Zugang zu neuen Absatz- und Beschaffungsmärkten öffnen. Einig war man sich darin, dass die Währung die Krönung der europäischen Integration sein sollte. Erst müsste die politische Union gefestigt werden, ehe man gemeinsam Geldpolitik machen könne. 1970 legte der luxemburgische Premierminister Pierre Werner den ersten Fahrplan zu einer gemeinsamen Währung vor. Doch die meisten Regierungen waren damals noch nicht bereit, zentrale Kompetenzen an die Gemeinschaft abzutreten. Ein Jahr später brach das Bretton-Woods-System zusammen, ein internationales Abkommen, das viele Währungen an den US-Dollar gekoppelt hatte, damit die Wechselkurse stabil blieben. Freie Wechselkurse aber schadeten dem Handel in Europa. Bundeskanzler Helmut Schmidt und Frankreichs Präsident Valéry Giscard d'Estaing riefen 1979 das Europäische Währungssystem (EWS) ins Leben. Kernstück des EWS war die European Currency Unit (ECU), eine Kunstwährung, in der nie bar bezahlt, sondern nur gerechnet wurde. Die Teilnehmerwährungen durften nur innerhalb einer schmalen Bandbreite zum ECU schwanken, sonst mussten die Zentralbanken eingreifen. Das System funktionierte, jedoch nicht immer zum Vorteil aller Teilnehmer. Leitwährung im EWS war die D-Mark. De facto bestimmte die Deutsche Bundesbank den Kurs. Andere Länder mussten immer wieder ihre Zinsen erhöhen oder ihre Währung abwerten, auf Kosten der eigenen Volkswirtschaft. Es war kein Zufall, dass die Debatte um eine Währungsunion wieder an Dynamik gewann, als in Deutschland die Mauer fiel. Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher war daran gelegen, im Zuge der Wiedervereinigung die europäische Integration voranzutreiben. Und viele Partner hatten großes Interesse daran, die Herrschaft der D-Mark im EWS zu beenden. Schon 1988 hatte der Rat ein Komitee aus nationalen Notenbankpräsidenten und unabhängigen Sachverständigen in Sachen Einheitswährung beauftragt. Der Bericht, den die Gruppe unter dem Vorsitz von Kommissionspräsident Jacques Delors 1989 vorlegte, war ein Dreistufenplan zur Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Mit dem Vertrag von Maastricht gründeten die EG-Staaten 1992 die Europäische Union. Zentrales Element war die Währungsunion: Vereinbart wurden die Schaffung einer Europäischen Zentralbank und die unwiderrufliche Fixierung der Wechselkurse bis 1999. Wichtigstes Ziel der Währungsarchitekten war die Geldwertstabilität. Sie einigten sich auf eine Beitrittsbegrenzung: Es sollten nur die Länder an der Währungsunion teilnehmen, die zuvor bewiesen hatten, dass sie im Vergleich zu den Partnerwährungen nicht zu stark abweichen würden. Dafür wurden im Vertrag die so genannten Konvergenzkriterien festgelegt, die jedes Land erfüllen muss, damit es die Gemeinschaftswährung einführen darf. Erste Teilnahmebedingung ist die Preisstabilität. Sie wird gemessen an der Inflationsrate. Die drei Länder mit der größten Stabilität in der Währungsunion geben den Wert vor, dem die anderen sich nähern müssen. Auf dem Prüfstand steht zweitens der Staatshaushalt. Das Defizit sollte drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten, der öffentliche Schuldenstand nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen. Teilnahmebedingung ist drittens ein stabiler Wechselkurs. Das vierte Beitrittskriterium betrifft den Zinssatz, der nicht weit über dem liegen darf, den das Land mit der höchsten Preisstabilität in der Währungsunion erhebt.
Auf Initiative des deutschen Finanzministers Theo Waigel sollten die Stabilitätskriterien auch über den Euro-Eintritt hinaus kontrolliert werden. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 verpflichtete die Teilnehmerländer auf einen annähernd ausgeglichenen Staatshaushalt. Die Neuverschuldung darf drei Prozent des BIP nicht überschreiten, bei Verstößen drohen empfindliche Geldbußen. Seinen Namen hatte der Euro bereits beim EU-Gipfel 1995 in Madrid erhalten. Zuvor waren auch andere Namen im Gespräch, wie europäischer Franken, Gulden oder europäische Krone. Es war die deutsche Delegation, die den Euro durchsetzte.
Am 1. Januar 1999 waren die Wechselkurse endgültig fixiert und der Euro in elf Mitgliedstaaten eingeführt, wenn auch zunächst nur als Buchgeld. Scheine und Münzen folgten 2002. Zu den Euroländern der ersten Stunde gehörten Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Portugal und Spanien. Griechenland erfüllte 1999 die Konvergenzkriterien noch nicht und kam erst zwei Jahre später hinzu. Die Teilnehmerstaaten traten ihre geldpolitische Souveränität an die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt ab. In Maastricht war vereinbart worden: Die EZB muss vollkommen unabhängig sein von politischen Weisungen. Als vorrangiges Ziel der EZB wurde die Preisstabilität definiert und die Finanzierung öffentlicher Defizite ausdrücklich untersagt. Der Rat, das oberste Entscheidungsgremium, wurde von allen nationalen Notenbankchefs besetzt. Vorsitzender des sechsköpfigen Direktoriums, das die Ratsbeschlüsse umsetzt, wurde der Niederländer Wim Duisenberg. Wie vereinbart räumte Duisenberg seinen Posten aber nach der Hälfte der achtjährigen Amtszeit für den Franzosen Jean-Claude Trichet.
Gemessen an den Konvergenzdaten hätten 1999 auch Großbritannien, Dänemark und Schweden dem Euro-Club beitreten können. Die britische Regierung ließ eine Klausel in den Vertrag schreiben, die Großbritannien den Eintritt in die WWU freistellte. Die gleiche Regelung nahm Dänemark in Anspruch, nachdem die Bevölkerung in einem Referendum den EU-Beitritt abgelehnt hatte. In einem zweiten Volksentscheid stimmten die Dänen zwar für die Union, aber nur ohne den Euro. Schweden, das 1995 in die EU kam, hat keine Opt-out-Klausel und muss die Währung einführen, sobald es alle Konvergenzkriterien erfüllt. Auch die schwedische Bevölkerung hat aber gegen den Euro votiert.
In Deutschland und anderen Hartwährungsländern fürchteten die Kritiker, die Eurozone würde zur Transferunion verkommen, in der sich die Armen auf Kosten der Reichen sanieren und auf Dauer die Währung aufweichen würden. Zwar hatten die strengen Konvergenzkriterien bewirkt, dass europaweit die Inflationsraten sanken und ein historisch niedriges Zinsniveau erreicht wurde. In Sachen Schuldenstand, BIP, Löhne und Gehälter aber gab es ein großes Gefälle zwischen den Euroländern. Nach dem Handelsstart 1999 musste die EZB mehrfach intervenieren, damit der Euro-Kurs nicht ins Bodenlose fiel. Nach der Einführung des Bargelds stieg die gefühlte Inflation in Deutschland kräftig. Der Euro wurde in der Presse zum "Teuro".
Heute belegen die Daten der Statistikämter: Die durchschnittliche Teuerungsrate in der Währungsunion liegt unter dem Wert, den die D-Mark in den 90er-Jahren verzeichnet hatte. Von einer Weichwährung kann keine Rede sein. Ende November 2007 erreichte der Euro einen Gegenwert von fast 1,50 US-Dollar. Bedingt durch die Schwäche der US-Währung, schichten immer mehr Länder große Teile ihrer Devisenbestände von Dollar in Euro um. Selbst frühere Euro-Skeptiker wie der ehemalige US-Notenbankpräsident Alan Greenspan glauben heute, dass der Euro das Zeug hat, den Dollar als internationale Leitwährung abzulösen.
Die meisten Ökonomen sind überzeugt: Der Euro wird bewirken, dass sich die Volkswirtschaften der beteiligten Länder weiter angleichen. Deutschland, dessen Wirtschaft mit der Währungsunion unter höheren Realzinsen zu leiden hat, hat es mit den Arbeitsmarktreformen geschafft, wettbewerbsfähig zu bleiben. Und Länder wie Irland, die ihre Exporte nicht länger durch die Abwertung ihrer Währung erhöhen konnten, haben die Produktivität enorm gesteigert.