VON VOLKER MÜLLER
Vor einem halben Jahr schwappten die Wellen der US-Immobilienkrise auf Europa über. Der Strudel erfasste in Deutschland zunächst die Düsseldorfer Mittelstandsbank IKB und die SachsenLB, zuletzt geriet auch die angeschlagene WestLB ins Straucheln. Während die wirtschaftspolitischen Auguren noch rätselten, ob mit weiteren Nachwehen, vor allem für die "Realwirtschaft", zu rechnen sei, erschütterte vor drei Wochen ein weiteres Beben die Finanzwelt. Am 21. Januar, flugs als "schwarzer Montag" bezeichnet, brachen rund um den Erdball die Börsenkurse ein. Die USA senkten die Zinsen und schoben ein Konjunkturprogramm an. In Frankfurt, am Sitz der Europäischen Zentralbank, aber auch in den Berliner Ministerien übte man sich in Gelassenheit.
Was nicht bedeutet, dass man die Krise ignoriert, die zu einem Vertrauensschwund der Banken untereinander geführt hat. Bundesbankpräsident Axel A. Weber macht deshalb in dieser Ausgabe deutlich, dass sich auf mittlere Sicht wieder ein "solides Vertrauen" unter den Marktteilnehmern entwickeln muss. Bei allen Turbulenzen attestiert Weber dem Finanzplatz Deutschland insgesamt, dass er seine Stabilität und Funktionsfähigkeit behauptet hat. Stabil und funktionsfähig - ein Kompliment aus berufenem Munde.
Die Autoren in diesem Heft gehen der Frage nach, warum der Finanzplatz Deutschland so geworden ist, wie er ist, mit seinen Stärken und Schwächen. Sie blicken zurück auf die Geburt der D-Mark vor 60 Jahren und auf die Gründung der unabhängigen Bundesbank 1957. Sie analysieren strukturelle deutsche Eigenheiten wie das dreigliedrige Bankensystem und die Finanzaufsicht, die sich die Bundesbank und die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, teilen.
Das Hauptaugenmerk richtet sich aber auf die Entwicklung, die der Finanzplatz Deutschland seit der Wende genommen hat. Die Einführung des Euro, verbunden mit der Errichtung der Europäischen Zentralbank, und der Börsengang der Deutschen Telekom, der erste Ansätze einer breiten Aktienkultur hervorbrachte, sind Marksteine auf diesem Weg. Parallel dazu hat die elektronische Kommunikation zu einer immensen Beschleunigung der weltweiten Finanztransaktionen geführt.
Die Rahmenbedingungen in Deutschland mussten mit der internationalen Entwicklung Schritt halten können, innovative Finanzinstrumente drängten von außen auf den deutschen Markt. Deshalb hat der Bundestag seit 1990 unter anderem vier Finanzmarktförderungsgesetze verabschiedet. Von der Abschaffung der Börsenumsatzsteuer über das Verbot von Insidergeschäften bis zur Zulassung von Pensionsfonds und Hedgefonds ist das rechtliche Umfeld schrittweise, wenn auch insgesamt eher defensiv, an die Markterfordernisse angepasst worden. Denn mit oder ohne Krise gilt: Der Finanzplatz Deutschland ist eine Dauerbaustelle, der Modernisierungsdruck hält unvermindert an.