FINANZPLATZ DEUTSCHLAND
Global agierende Finanzdienstleister müssen heute am Main präsent sein
Am 21. Januar verlor der Dax an einem Handelstag 7,2 Prozent. Am nächsten Morgen brachen in Australien, Hongkong, Japan und Indien die Kurse auf breiter Front ein und der Dax fiel in der ersten Handelsstunde um über 300 Punkte. Ben Bernanke, der Chef der Federal Reserve, hielt mit einer Zinssenkung von 75 Basispunkten gegen. Dies half fürs Erste. In den nächsten Tagen pendelten die Börsen wie ein Jojo nach oben und unten.
Die Märkte sind nervös und unsicher. Einerseits steigen die Aktienkurse seit drei Jahren um jeweils über 20 Prozent. Andererseits frisst sich unter der Oberfläche wie ein Grubenbrand die Subprime-Krise Stück für Stück durch die Bankenlandschaft und entlädt sich in milliardenschweren Wertberichtigungen, die Schockwellen an den Börsen auslösen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgt das Geschehen eher kühl. Auf dem Kontinent ist die Bereitschaft, die jahrzehntelang aufgebauten Verwachsungen auf den Kapitalmärkten gewaltsam mit massiven Zinssenkungen zu verteidigen, nur schwach ausgeprägt. Europa orientiert sich vielmehr am soliden und den Geldwert verteidigenden Kurs der Deutschen Bundesbank und hat binnen weniger Jahre mit der EZB einen vorzeigbaren Nachfolger erhalten. Sechs Jahre nach der Einführung ist der Euro nach Einschätzung von Experten auf gutem Weg, die künftige Weltleitwährung zu werden. Und mit der EZB und dem Euro erstarkt und prosperiert der Finanzplatz Frankfurt, in dem sich der deutsche Kapitalmarkt mehr und mehr konzentriert.
Die Stadt am Main verdankt ihr Finanzplatz-Glück zwei Einzelentscheidungen, die nicht ganz zufällig, aber auch nicht zwangsläufig fielen. Bis zum zweiten Weltkrieg galt Frankfurt für das Geldgewerbe als Provinz. Danach siedelten die US-Amerikaner die Bank Deutscher Länder in der Stadt an. In Mainhattan, wie die Stadt wegen ihrer Bankentürme bezeichnet wird, wuchs aus der Bank Deutscher Länder die Bundesbank. Die flankierte geldpolitisch den deutschen Aufschwung und hielt die D-Mark auf Stabilitätskurs. Dies blieb auch nach der Wiedervereinigung so. Frankfurt erhielt den Zuschlag für die EZB. Seither gilt die Stadt weltweit als Euro-City, das finanzielle Einfallstor in die wirtschaftsstarke Eurozone mit der Währung, die unaufhaltsam auf dem Weg scheint, den Dollar zu überflügeln.
Vor wenigen Jahren flossen die globalen Kapitalströme nach New York und London, die Deutsche Börse und die Deutsche Bank rüsteten zum Absprung, den anderen Großbanken drohte der Kollaps und der Möchtegern-Konkurrent München setzte an, mit Allianz, Münchener Rück und Hypovereinsbank die deutsche Pole-Position im Finanzgeschehen zu übernehmen. Dann drehte der Wind. Die Hypo schrumpfte zum deutschen Außenposten im Reich der italienischen Unicredito. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann wandelte sich zum Anchorman des deutschen Finanzwesens, und mit ihm brachten Dresdner-Bank-Chef Herbert Walter, Commerzbank-Chef Klaus Müller und Börsenchef Reto Francioni ihre Unternehmen auf die Erfolgsspur.
Dabei malten die Auguren noch im Jahre 2005 beim Gezerre um die Deutsche Börse ein düsteres Zukunftsbild für den Finanzplatz Deutschland: Die Börse, so hieß es, sei zu klein, zu isoliert, sie müsse expandieren und sich international aufstellen. Die angezettelten Übernahmeschlachten gingen sang- und klanglos verloren, weder die Londoner LSE noch die Pariser Euronext wollten Juniorpartner der Frankfurter werden. Im Gegenteil: Zum ersten Male demonstrierten die Hedgefonds, angeführt von The Children's Investment Fund, an einem DAX-Unternehmen ihre Macht. Werner Seifert, damals Chef der Deutschen Börse, musste gehen. Statt teure Übernahmen zu finanzieren, schüttete der neue Börsenchef 1,2 Milliarden Euro an seine Aktionäre aus - die Börse wuchs seither aus eigener Kraft.
Vor dem Übernahmekurs Seiferts graute nicht nur den so genannten "shareholder activists" sondern auch den Stadt- und Landgewaltigen am Main. Einerseits schien die wirtschaftliche Logik Übernahmen zu fordern, andererseits drohte mit der Expansion das Verlagern wichtiger Teile der Börse nach London oder Paris bis hin zur Abwanderung des Entscheidungszentrums. Die Hessische Staatskanzlei ließ bereits verlauten, dass die Börsenzulassung von Aktiengesellschaften eine hoheitliche Aufgabe sei und in Frankfurt bleiben müsse.
Tatsächlich ist die Börse mit ihren technologisch führenden Handelssystemen stärker denn je. Der Erfolg der letzten Jahre glättete in kurzer Zeit die Frankfurter Sorgenfalten und ließ das angstvolle Geraune, das noch vor wenigen Jahren vor einem Ausbluten und Zurückfallen des Finanzplatzes Frankfurt warnte, verstummen. Selbst die nervösen Märkte können der Börse bisher wenig anhaben. Im Gegenteil: Das Auf und Ab der Indizes führte dazu, dass Börsenchef Reto Francioni für 2007 über ein neues Rekordjahr mit täglich 7,5 Millionen gehandelten Kontrakten berichten konnte. Dies entsprach aufs Jahr gerechnet einem Anstieg um 25 Prozent, von 1,5 auf 1,9 Milliarden Kontrakte. Nicht nur die Börse, auch der Finanzplatz Frankfurt und mit ihm der Finanzplatz Deutschland spielt mittlerweile in der Spitzengruppe.
Das bedeutet nicht, dass der Abstand zu London geringer geworden ist. Aber beide, London und Frankfurt, haben erkannt, dass sie gut miteinander harmonieren und sich ergänzen. Die City of London ist mittlerweile ein supranationaler Ort. Der Finanzplatz London ist der Platz, in dem der weltweite Kapitalmarkt sein Zentrum gesucht und gefunden hat. Nach London kommt lange Zeit nichts. New York lebt davon, dass es das Einfallstor in den US-Markt ist. Über Tokio und Hongkong strömt das Kapital nach Japan und China. Und Frankfurt ist mit seinem Aufstieg zur Euro-City die erste Wahl für Finanzdienstleister, die in Kontinentaleuropa, gerade auch in dessen östlichem Teil, Geschäfte machen wollen. "Es hat sich eine klare Aufgabenteilung entwickelt", beobachtet Lutz Golsch von A&B Financial Dynamics, einer führenden Finanzkommunikationsagentur. "Heute müssen Finanzdienstleister, die global agieren, nicht nur in New York und London, sondern auch in Frankfurt präsent sein." Dies gilt auch für jene, die im Sog der Finanzhäuser ihre Dienste anbieten. Investmentbanken, Juristen, Wirtschaftsprüfer, Kommunikationsagenturen expandieren und bauen wie Goldman Sachs, Clifford Chance und Pricewaterhouse Coopers eigene Wolkenkratzer. Viele Finanzmedien - Golsch: "Da liegt Frankfurt deutlich vor London" - berichten über das Geschehen an den Kapitalmärkten. 75.000 Menschen finden in den 323 Banken, bei den über 1.700 Finanzdienstleistern und den darum gruppierten Beratern, Agenturen und Redaktionen ihr Auskommen. Einen weiteren Pluspunkt stellt die zunehmende Professionalisierung des deutschen Kapitalmarktes dar.
Die Deutschland AG wurde aufgebrochen, "und heute haben wir auch bei Corporate Governance einen hohen Standard erreicht", resümiert Christian Strenger, Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. "Das hat auf den internationalen Kapitalmärkten das Vertrauen geschaffen, das für Investitionen in deutsche Aktiengesellschaften unverzichtbar ist." Mittlerweile halten ausländische Anleger bereits 53 Prozent der Aktien der Dax-Unternehmen, vor fünf Jahren lag ihr Anteil noch bei einem Drittel. Ähnliche Schritte nach vorn kamen aus Brüssel. Die Initiativen für einen einheitlichen EU-Kapitalmarkt sind noch in vollem Gange - etwa bei der Finanzmarktrichtlinie und bei der Initiative zur Schaffung eines einheitlichen Zahlungsverkehrsraums im europäischen Binnenmarkt. All dies stärkt den Sog in den Euro und damit den Finanzplatz Deutschland.
Der Autor ist Chefredakteur des E-Journals "Insight Corporate Governance Germany".