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Im April wird ein neues Parlament vorzeitig gewählt - ein lukratives Geschäft für die Parteien
Mit einer denkbar knappen Mehrheit im Senat, als Chef einer zerstrittenen Zehn-Parteien-Koalition und unter massivem Beschuss durch die Medien des Oppositionsführers war es ein Wunder, dass Romano Prodi sich so lange als Regierungschef halten konnte. Einen "Ministerpräsidenten vom Mars" nannte ihn die Opposition. Tatsächlich hat Romano Prodi so regiert, als kenne er keine widrigen Umstände, konzentriert wie ein Seiltänzer, ohne auf seine sinkenden Popularitätswerte zu achten. Für Nervosität schien nur das Oppositionslager zuständig, das "Haus der Freiheiten", in dem sich Silvio Berlusconi von allen Partnern verraten wähnte. Ende November schien seine frühere Koalition nach Berlusconis eigenen Worten nur noch ein "Geisterhaus".
Doch in der Not fand der Oppositionsführer bisher noch immer eine helfende Hand im gegnerischen Lager. Diesmal waren es der wegen Vetternwirtschaft unter Beschuss stehende Justizminister Clemente Mastella (Udeur) und der ehemalige Ministerpräsident Lamberto Dini (LD). Mit ihren Bonsai-Parteien schafften beide gemeinsam nicht einmal ein Prozent, doch für den Sturz der Regierung reichte es allemal. Nach dem Misstrauensvotum gegen die Regierung Prodi im Senat und einem vergeblichen Versuch des Senatspräsidenten Franco Marini, eine Übergangsregierung mit dem Auftrag zur Wahlrechtsreform zu bilden, löste Staatspräsident Giorgio Napolitano Anfang Februar das Parlament auf.
Unterbrochen wurde dadurch nicht nur eine erfolgreiche Regierungsarbeit, sondern auch ein für Anfang Juni geplantes und besonders von den Kleinparteien gefürchtetes Referendum zur Einführung eines Mehrheitswahlrechts. Die Neuwahlen im April finden nun mit dem allseits kritisierten Verhältniswahlrecht statt, das Berlusconi kurz vor Ende der letzten Legislatur verabschieden ließ. Das Wahlrechtsreferendum ist dadurch auf nächstes Jahr verschoben und könnte anschließend erneut Neuwahlen erforderlich machen.
Es ist ein Kennzeichen der italienischen Politik, dass keines der Probleme des Landes wirklich gelöst wird. Ein eklatantes Beispiel ist die aktuelle Müllkrise in Neapel. Die Problematik ist seit Jahrzehnten bekannt; die Behörden der Region Kampanien haben Milliarden an Fördermitteln erhalten, ohne sich einer Lösung zu nähern. Während Neapel im Müll versank, schoben die Krisenverwalter ihren Angehörigen gut dotierte und möglichst geruhsame Arbeitsplätze zu.
Das einzige Recycling, das in Italien funktioniert, ist das der politischen Klasse, in der die Wahlkreise vom Vater auf den Sohn vererbt werden. Selbst die in den 90er-Jahren vom Sturm der Bestechungsskandale weggefegten Altpolitiker haben längst wieder im Parlament Platz genommen.
Um diese Hartnäckigkeit zu verstehen, muss man wissen, dass die politische Tätigkeit in keinem Land Europas großzügiger vergütet wird als in Italien. So liegen die italienischen Europarlamentarier mit einem Jahresgrundgehalt von 144.084 Euro im europäischen Vergleich an der Spitze, mit großem Abstand vor den Österreichern (106.583 Euro). Die Italiener in Straßburg verdienen fast das doppelte der Deutschen (84.108 Euro), das zehnfache der Litauer (14.196 Euro) und das zwanzigfache der Polen (7.370 Euro). Die Vergütungen der Parlamentarier in Rom sind ähnlich üppig, und ihre Kollegen in den zwanzig Regionalparlamenten liegen nur knapp darunter.
Zur Verteidigung dieser Fleischtöpfe hat sich die politische Klasse in einem Machtkartell organisiert, dem kein Winkelzug zu unverfroren scheint, um den Wählern ihre Sanktionsmacht zu entwinden.
Die Privilegien dieser "Unberührbaren" wurden letztes Jahr in einem viel beachteten Buch von den Journalisten Sergio Rizzo und Gian Antonio Stella ("La Casta") aufgezählt, das der politischen "Kaste" ein geradezu desaströses Preis-Leistungs-Verhältnis bescheinigt. Berlusconi, der sich als Vorkämpfer gegen das Parteienregime stilisiert, hat aber der Konsolidierung der Kaste und ihrer Privilegien Vorschub geleistet. So geschah es meist unter seiner diskreten Regie, wenn die wenigen, meist von den Bürgern per Referendum erzwungenen positiven Entwicklungen wie die Einführung des Mehrheitswahlrechts und die Abschaffung der staatlichen Parteienfinanzierung nach Verstreichen einer Anstandsfrist rückgängig gemacht wurden.
Als einer der wenigen hat sich Romano Prodi gegen den Verfall der politischen Kultur gestemmt und sein Projekt einer großen Demokratischen Partei auf die Partizipation der Bürger in Vorwahlen gegründet. Im Oktober 2005 mobilisierte er so über 4,3 Millionen Bürger, und im Oktober 2007 beteiligten sich erneut über 3,5 Millionen an einer Urwahl des neuen Parteivorsitzenden, wobei sich 75,8 Prozent für den amtierenden Bürgermeister von Rom, Walter Veltroni, aussprachen. Nachdem Prodi seinen Rückzug aus der aktiven Politik ankündigte - auch ein stilles Zeichen gegen die Gepflogenheiten der Kaste -, kandidiert der 52-jährige Veltroni nun als Spitzenkandidat der Demokratischen Partei (DP) gegen den 71-jährigen Berlusconi, der schon zum fünften Mal in Folge nach dem Regierungsamt greift.
In seiner ersten Entscheidung setzte Veltroni durch, dass die DP diesmal alleine antritt oder allenfalls im Verbund mit wenigen verlässlichen Partnern unter Ausschluss der Kommunisten. Sein Gegenspieler Berlusconi, der im vergangenen Jahr im Bemühen um eine möglichst breite Aufstellung zahlreiche Kleinparteien gründen ließ, sah sich durch diese überraschende Wende gezwungen, von seiner Idee einer Koalition von 17 bis 23 Parteien abzurücken und auch eine Vereinfachung der Koalitionsstruktur anzustreben. Zusätzlich belebt wird das Gerangel durch etliche Neugründungen, Abspaltungen und Listenverbindungen, die sich keinem der beiden Lager zuordnen lassen.
Abgesehen von einer Restunsicherheit für die Kleinstparteien sind vorgezogene Neuwahlen in Italien ein großartiges Geschäft, bei dem keiner fehlen möchte. Nach dem Parteienfinanzierungsgesetz erhalten alle Parteien mit einem Stimmenanteil von mindestens einem Prozent eine Wahlkampfkostenerstattung von jährlich einem Euro pro Wähler, hochgerechnet auf die Zahl der Wahlberechtigten (etwa 50 Millionen), so dass auch eine sinkende Wahlbeteiligung die Einnahmen nicht schmälern kann. Erheblich steigern lässt sich der Gewinn noch durch häufige Neuwahlen, denn bei einer vorzeitigen Parlamentsauflösung fließen die Gelder weiter bis zum ursprünglich geplanten Ende der Legislatur. Für die Parteien, die im April den Wiedereinzug ins Parlament schaffen, bedeutet dies für drei Jahre doppelte Einnahmen.