FDP
Die Liberalen feilen auf ihrem Parteitag an ihrem sozialen Profil - und beschließen ein Steuerkonzept
Die FDP hat ein Problem mit der Freiheit - in zweifacher Hinsicht: mit der Freiheit der Bürger, weil der Staat diese immer weiter und immer rigoroser beschneide, und mit der eigenen Freiheit, weil man nach nicht gedankten Treueschwüren bei vergangenen Wahlen nun endlich nicht mehr nur als Mehrheitsbeschaffer der Union gesehen werden will. "Abgrenzung" lautet deshalb das Prinzip vor den Landtagswahlen in Bayern am 28. September mit dem Blick auf das Europa- (Juni) und Bundestagwahljahr (September) 2009.
"Die FDP ist in keinem Lager mit einer anderen Partei", rief Parteichef Guido Westerwelle denn auch den 660 Delegierten beim Bundesparteitag der Liberalen in München zu, "wenn überhaupt, dann ist die FDP ein eigenes Lager." Ein Lager, das nach den neusten Forsa-Zahlen mit prognostizierten 13 Prozent der Stimmen die vierte politische Kraft der Republik ist - zwei Prozentpunkte hinter den Linken, einen vor den Grünen. Ein Lager in der Opposition.
Das soll sich mit einer Offensive für die Mittelschicht ändern - einer Offensive, die einerseits aus Abgrenzung zu den anderen Partein, andererseits aus thematischer Weitung bei gleichzeitiger Betonung der liberalen Kernthemen wie Bürgerrechte und Steuerpolitik besteht. So lautet denn auch die Hauptbotschaft, die die Liberalen von München aus in die Republik tragen wollen: "Mehr netto für alle".
In blauen Lettern prangt der liberale Leitsatz während des Münchner Parteitags über den Köpfen der Delegierten. Das ist nicht neu und war schon immer liberal. In den Köpfen der Delegierten und vor allem in denen der Wähler, und das ist nun neu, will die FDP allerdings nicht mehr nur als "Netto-Partei" verankert sein. Vor allem von der jungen Riege wird eine Weitung des liberalen Fokus' betrieben, die für den Politikwissenschaftler und Parteienfoscher Ulrich Sarcinelli (Interview unten) entscheidend für die Erschließung neuen Wählerpotenzials ist. "Bei programmatischer Verbreiterung einerseits und einem hochgradig polarisierten Wahlkampf zwischen den beiden Lagern, könnte die FDP durchaus über zehn Prozentpunkte kommen - aber nicht weit darüber", prognostiziert der Politologe.
Die Weitung, durch die sich die Liberalen bei Wählern und möglichen Koalitionspartnern, dazu gehören speziell für jüngere Delegierte in München explizit auch die Grünen, attraktiv machen wollen, ist für Bundestagsmitglied Patrick Döring ein entscheidender Erfolg des Parteitags. "Wir müssen es schaffen, unsere Kernbotschaften mit Themen wie etwa Bedeutung des Klimawandels, Bedeutung der Globalisierung oder Nahrungsmittelsicherheit zu verknüpfen. Dabei müssen wir deutlich machen, was die Werte der Liberalen sind", sagt der 35-Jährige. Mit dem Parteitag steige die FDP allerdings erst in diesen Prozess ein. Vor dem Delegiertentreffen hatte der Vorsitzende des Landesverbandes Niedersachsen, Philipp Rösler, eine stärkere Werteorientierung seiner Partei angemahnt.
Diese thematische Erweiterung kommt auch von der Basis und wird von ihr eingefordert. Man spüre, dass sich innerhalb der Partei eine Wandlung vollziehe, sagt die Delegierte Undine Klein aus dem Landesverband Sachsen-Anhalt. "Dass Leistung mit sozialen Fragen verknüpft wird, ist etwas ganz neues", freut sich die Landespolitikerin angesichts der Tatsache, dass Parteichef Westerwelle in seiner rund anderhalbstündigen Standortbestimmung soziale Aspekte stark betont hat.
Vernachlässigen, da sind sich die Liberalen ebenso einig, wollen und dürfen sie ihre Kernthemen aber nicht. "Es wäre Schwachsinn, die Themen Bürgerrechte und Steuern aufzugeben", betont die aus Niedersachsen kommende Delegierte Petra Enß. Hans-Joachim Otto, Vorsitzender des Kulturausschusses im Bundestag, formuliert mit Blick auf die sich für die anstehende Landtagswahl in Bayern positionierenden Christsozialen: "Steuern sind und bleiben unser Kernthema, das geben wir nicht Preis. Wir lassen uns doch nicht von der CSU die Butter vom Brot nehmen."
Der Mann der bei der FDP für diese Butter zuständig ist, heißt Hermann Otto Solms und ist Finanzexperte. Sein Steuerkonzept, dem die Delegierten in München zugestimmt haben (siehe Stichwort) ist die Unterfütterung des Slogans "Mehr netto für alle". Während es bisher allerdings immer hieß: "Einfach, niedrig und gerecht", steht jetzt auf den Bierdeckeln, die als Sinnbild für ein einfaches, klares und verständliches Steuersystem auf den Tischen in Halle C1 der Messe München ausgelegt sind, "einfach, niedrig und sozial".
Aber nachdem Parteichef Guido Westerwelle in seiner Parteitagsrede bereits von "Nächstenliebe" gesprochen und gegen "Ichlinge" gewettert hatte, ist das kaum eine Überraschung.