Auf dem langen Tisch stapeln sich die Bücher mit roten, orangefarbenen und blauen Einbänden, daneben liegt ein Prägestempel und Reste von Goldfolie, weiter hinten eine Reihe Press- und Schneidemaschinen: Die Buchbinderei des Bundestages ist ein echter Handwerksbetrieb. Er gehört zur Bundestags-Bibliothek und liegt auch in ihrer Nähe: Im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit den großen runden Fenstern, wo mit dem Archiv und der Bibliothek das "Gedächtnis der Demokratie" sitzt.
Tausende von Büchern gehen jedes Jahr durch die Werkstatt von Tobias Altehage, dem 42-jährigen Buchbindermeister, und seiner 46-jährigen Mitarbeiterin Adina Jacoby. Bevor neue Bücher in das Magazin der Bibliothek einsortiert werden, erhalten sie bei den Buchbindern eine goldfarbene oder schwarze Signatur-Prägung. Auf dem Tisch stapeln sich deshalb Dutzende bunter Buchbände mit der Aufschrift "Folketings Tidende". Das sind die Protokolle des dänischen Parlamentes, die auf ihre Prägung warten.
In der Werkstatt wird nicht nur geprägt, sondern natürlich auch gebunden: Die Stenographischen Berichte aus dem Bundestag oder die Berichte aus vertraulichen Ausschüssen wie dem Immunitäts- oder dem Verteidigungsausschuss bekommen hier ihren schwarzen Einband. Der Arbeitsplatz von Tobias Altehage und Adina Jacoby ist eine so genannte Handbuchbinderei, im Gegensatz zu den größeren Industriebuchbindereien. Tobias Altehage beschreibt den Unterschied so: "Wenn Sie zehn unterschiedliche Exemplare gebunden haben wollen, müssen Sie zu uns kommen. Wenn Sie 500-mal das gleiche Exemplar wollen, gehen Sie in einen Industriebetrieb." Obwohl inzwischen viele moderne Maschinen in der Buchbinderei stehen, haben sich manche Techniken seit Jahrhunderten nicht verändert. Auch heute noch mischt Adina Jacoby den Leim selber an, den sie dann mit einem dicken Pinsel auf ein Stück buntes Gewebe aufträgt. Damit wird dann der spätere Buchdeckel aus Pappe eingeschlagen.
Während bei manchen Arbeitsschritten alte Handwerkstechnik dominiert, wird bei der riesigen Schneidemaschine auf modernste Sicherheitstechnik geachtet. Eine Lichtschranke stellt sicher, dass sich die scharfen Messer erst senken, wenn keine Fingerkuppe mehr in ihrer Reichweite ist. "Älteren Buchbindermeistern in meiner Bekanntschaft fehlte oft noch ein Fingerglied an einer Hand", erinnert sich Altehage. Doch dieses Berufsrisiko gehört weitgehend der Vergangenheit an.
Die Schneidemaschine glänzt in einem silbrigen Grauton, genau wie die meisten anderen Gerätschaften und Schränke in der Buchbinder-Werkstatt. Denn die ursprünglich dunkelgrünen Maschinen passten dem berühmten Architekten des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses, Stephan Braunfels, nicht in sein Farbkonzept. So ließ er sie kurzerhand neu lackieren. Sogar die Anordnung der Leuchtröhren behielt Braunfels im Auge: Zunächst sollten diese direkt über den Tischen hängen, um den Buchbindern bei der Arbeit möglichst viel Licht zu spenden. Doch auf Wunsch des Architekten wurden die Leuchtröhren dann in zwei parallelen Reihen aufgehängt.
Neben Protokollen und Drucksachen müssen zuweilen auch ältere Bücher aus den Beständen der Bundestags-Bibliothek neu gebunden werden. "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie die Leute mit den Büchern umgehen", sagt Altehage und zeigt auf einige Exemplare. Vor allem das Aufdrücken beim Kopieren bekäme den Büchern nicht, erläutert er. Diesmal ist es ein zerlesener Band aus den 1970er-Jahren mit dem Titel "Informationen für die Truppe", der fachkundig mit einem neuen Einband versehen wird. Dass den Buchbindern durch Digitalisierung und Internet irgendwann die Arbeit ausgehen wird, glaubt Buchbindermeister Altehage nicht. "Das Buch ist schon so oft totgesagt worden", meint er. "Aber ich kenne niemanden, der keine Bücher hat."