Tony Allan
Nur die schonende Nutzung der Ressourcen garantiert die Wasser-Versorgung aller, sagt der Erfinder des »virtuellen Wassers«
Professor Allan, wissen Sie eigentlich, wie viel Wasser Sie am Tag verbrauchen?
Nicht ganz genau, denn ich habe zu Hause in England keine Wasseruhr - nur 25 Prozent der englischen Haushalte haben eine. Doch ich weiß, dass Englands Pro-Kopf-Verbrauch bei etwa 150 Litern pro Tag liegt.
Sie sind einer der renommiertesten Wasserexperten der Welt. Wenn Sie Ihren Verbrauch nicht kennen, könnte das ein gutes Zeichen dafür sein, dass es auf unserem Planeten genügend Wasser für alle gibt.
Genau. Es gibt genügend Wasser zum Trinken, für den häuslichen Verbrauch und für die Arbeitsplätze der meisten Menschen.
Auch für die Erzeugung von Nahrungsmitteln?
Nahrungsmittel könnten in der Tat Probleme verursachen. Denn 90 Prozent des Wassers, das wir verbrauchen, benötigen wir für die Produktion der Nahrungsmittel, die wir verzehren.
Genau darum geht es in Ihrem Konzept des "virtuellen Wassers", also jenes Wassers, das zur Erzeugung eines Produktes nötig ist. Aus diesem ergibt sich, dass beispielsweise für eine Tasse Kaffee etwa 140 Liter Wasser aufgewendet werden müssen: für den Anbau der Pflanzen, Ernte, Transport, Verpackung.
Das ist etwas, das die Menschen in der Regel nicht realisieren. Sie sind sich zwar des Wassers bewusst, das sie zum Waschen oder Duschen benötigen, aber nicht all des Wassers, das in die Erzeugung ihrer Nahrung geht. Damit erhöht sich auch der tägliche Verbrauch pro Person in Europa im Schnitt auf etwa 3 Kubikmeter.
Gibt es denn nun genug Wasser?
Es gibt Wasser im Überfluss, wenn wir die verfügbaren Ressourcen schonend nutzen.
Ist Wasserknappheit also ein regional begrenztes oder ein globales Problem?
Es gibt eine globale Lösung: der Handel mit Gütern, wie Nahrungsmitteln, deren Anbau große Mengen Wasser verschlingt. Länder mit knappen Wasservorräten wie England und Deutschland - können ihre Wasserprobleme mühelos mit dem Nahrungsmittelangebot auf den Weltmärkten lösen.
Können Sie genaue Zahlen nennen?
Etwa 20 Prozent der angebauten Nahrungsgüter werden in andere Volkswirtschaften transportiert. Ein Großteil der Transporte findet zwischen Nordamerika und Europa, Japan und dem Nahen Osten statt. Dieser Handel bietet die Gewähr, dass die Versorgung dieser Wasserdefizitregionen hundertprozentig gesichert ist.
Und dieser Handel hilft auch, durch Wasserknappheit bedingte Kriege zwischen Staaten zu vermeiden?
Ich habe mich mit den virtuellen Wasserprozessen, befasst, weil ich nach einer Erklärung dafür suchte, warum es im Nahen Osten keine bewaffneten Wasserkonflikte gegeben hat. Seit Beginn der 1980er-Jahre sprachen die Menschen dort von Wasserkriegen. Doch bis zu den frühen 1990er-Jahren gab es nur einen einzigen zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikt um Wasser - in den Jahren 1962 bis 1964, als Israel und Syrien ihre jeweiligen Wasserableitungsprojekte bombardierten oder beschossen. Seit dieser Zeit gibt es keine Anzeichen mehr für einen Wasserkrieg - weder im Nahen Osten noch andernorts.
Obwohl sich die Lage in punkto Wasserstress aufgrund des Bevölkerungswachstums dramatisch verschärft hat?
Ja. Den Menschen und den Volkswirtschaften war es gelungen, sich diesen Problemen anzupassen, ohne aufeinander loszugehen. Die Lösung dafür ist der Handel mit wasserintensiven Gütern. Die Zahlen belegen, dass alle diese Länder in ganz erheblichem Maß von Nahrungsmitteleinfuhren abhängig geworden sind.
Demnach wird es keine Kriege um Wasser geben?
Im Großen und Ganzen glaube ich nicht, dass es welche geben wird. Allerdings mache ich mir seit zwei Jahren mehr Sorgen als früher. Ich bin sicher, dass die verstärkte Produktion von Biokraftstoffen auf lange Sicht negative Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Wasser für die Nahrungsproduktion haben wird.
Woran liegt das?
Die Erzeugung von Biokraftstoffen hat einen doppelten Negativeffekt: Wir erzeugen weniger Nahrungsmittel und verbrauchen mehr Wasser.
Im Kern lautet Ihre Argumentation, dass es der Handel ist, der es den Ländern der nördlichen Halbkugel erlaubt, ihre Wasserprobleme zu lösen. Doch leiden ja nun besonders Länder in Afrika und Asien unter Wasserknappheit. Macht die Globalisierung Ihre These zunichte?
Das Verhältnis zwischen Globalisierung und armen Ländern, insbesondere in Afrika, ist in sehr vielen Fällen nicht gut. Dies wird besonders durch die Globalisierung des Handels mit Nahrungsgütern veranschaulicht. Das Problem ist Folgendes: Für manche wasserarmen Länder - die über Einnahmen aus der Gewinnung von Öl und anderen Bodenschätzen verfügen - war es sehr leicht, sich an den Wassermangel anzupassen. Sie haben sich in den 1970er-Jahren Zugang zum Nahrungsmittel- und Wassermarkt verschafft. Doch der Preis dieser Güter auf dem Weltmarkt wurde und wird nicht durch geregelte Außenhandelsbeziehungen fixiert; die Amerikaner und die Europäer brachten etwa Weizen zum halben Erzeugerpreis auf den Weltmarkt. Für Länder wie Ägypten, die sich importierte Nahrungsmittel leisten konnten, war es kein Problem, die eigene Produktion zu drosseln und stattdessen auf dem Weltmarkt einzukaufen. Doch für arme Länder wie Äthiopien oder Tansania bedeutete dies den Zusammenbruch ihrer - überwiegend agrarisch geprägten - Volkswirtschaften, weil dort der einzige Wettbewerbsvorteil für die größtenteils ländliche Bevölkerung der Anbau von Nahrung war.
Was war die Folge?
Diesen Ländern wurde die Chance vorenthalten, die ersten Schritte in Richtung sozioökonomische Entwicklung zu tun. Diese Handelsverzerrungen sind ein sehr wichtiger Grund, weshalb die ländliche Armut in Afrika so hartnäckig anhält.
Sind die westlichen Märkte also zu mächtig?
Ja, auf jeden Fall. Wir müssen diese Subventionen, die den Welthandel verzerren, so schnell wie politisch möglich abschaffen. Wir brauchen einen Ansatz, der mehr als nur die Interessen unserer eigenen europäischen Bauern berücksichtigt. Gleichwohl dürfen sie durch Reformen keinen Schaden nehmen. Wir sind reich genug, das zu tun.
Ist das alles? Muss der Norden nicht die armen Länder unterstützen?
Natürlich. Wir müssen Maßnahmen ergreifen, die es den armen Ländern ermöglichen, ihre Landwirtschaft zu entwickeln. Und wir müssen ihnen bei der Urbanisierung helfen. Urbanisierung geht mit der Diversifikation der Volkswirtschaft einher: Wenn Menschen Arbeitsplätze haben, die nicht so viel Wasser verbrauchen, können sie einen angemessenen Lebensstandard erreichen mit einem Einkommen, das es ihnen ermöglicht, für ihr Busfahrgeld, ihre Miete, ihre Schulausbildung und ihre Steuern und sogar ihr Wasser aufzukommen.
Also ist alles nur eine Frage der Entwicklung?
In der Tat. Die Lösung der Wasserprobleme heißt Diversifikation und Stärkung der Wirtschaft der armen Länder. Armut bedingt Wasserarmut; Wasserarmut bedingt jedoch keine Armut.
Das Interview führte Bert Schulz.
John Anthony (Tony) Allan forscht am Londoner King's College und an der School of Oriental and African Studies. Ursprünglich als Umweltwissenschaftler mit Schwerpunkt Hydrologie tätig, orientierte er sich zunehmend interdisziplinär. Am 21. August erhält er den Stockholmer Wasserpreis 2008 für seine Beiträge zum Verständnis der politischen Ökonomie des Wassers.