Konflikte
Harald Welzer glaubt, dass der Klimawandel zu neuen Kriegen in der Zukunft führt
Um es vorweg zu sagen: Der reißerische Buchtitel "Klimakriege" führt den Leser in die Irre, denn er entspricht nicht dem Inhalt der Studie. Es handelt sich um Etikettenschwindel, auch wenn der Autor Harald Welzer den Krieg in Darfur als einen der ersten "Klimakonflikte" bezeichnet. Über diese Aussage könnte man streiten, hätte er seine These anhand ähnlich gelagerter anderer Fälle untermauert. Darauf hat Welzer jedoch verzichtet. Tatsächlich beschwört er die Gefahr von so genannten "Klimakriegen" eher, als dass er sie auch belegen könnte.
Welzer betont, dass "die Verbindung zwischen Klimawirkungen und Umweltkonflikten nur indirekt und vor allem in der Weise" bestehe, dass "die Klimaerwärmung die globalen Ungleichheiten in den Lebenslagen und Überlebensbedingungen vertieft, weil sie die Gesellschaften sehr unterschiedlich trifft". Es sei also "ganz gleich, ob Klimakriege eine direkte oder indirekte Form dessen sind, wie die Konflikte im 21. Jahrhundert gelöst werden - die Gewalt hat in diesem Jahrhundert eine große Zukunft".
Diese Feststellung genügt ihm, um sich ausführlich über das Thema Gewalt unter Einbeziehung von Selbstmordattentaten und Holocaust auszulassen. Kein Zufall, denn auf diesem Gebiet kennt sich der Sozialpsychologe Welzer, der als Direktor des "Center for Interdisciplinary Memory Research" am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen tätig ist, gut aus. Schließlich hat er sich viele Jahre mit dem Nationalsozialismus und dem Genozid an den europäischen Juden beschäftigt.
Harald Welzer weiß - das zeigt der Untertitel seines Buches - "Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird". Dabei haben die ersten acht Jahre des neuen Jahrhunderts längst offenbart, warum das Töten auch zu unseren Lebzeiten weiter gehen wird. Zu nennen sind die Kämpfe um den "Endsieg des Islams", die Unabhängigkeit Kurdistans und anderer Provinzen im Süd-Kaukasus, in Sri Lanka oder in Afrika. Daneben sollte man den Tschetschenien-Krieg erwähnen, mit dem Moskau die "Wiederherstellung der russländischen Verfassung" durchsetzte oder den von den USA initiierten "regime change" im Mittleren Osten. Letztlich wird auch im 21. Jahrhundert für Rohstoffe, Wasser und fruchtbares Land getötet. Hinzu kommen Freiheits- und Unabhängigkeitskriege. Die "klassischen" Motive haben sich über die Jahrhunderte also kaum geändert.
Der Autor glaubt jedoch, im 21. Jahrhundert würden sich neue, von ihm nicht näher definierte "Klimakriege" zu den altbekannten Ursachen von Gewalt gesellen. In Afrika, Lateinamerika und Asien habe die Klimakatastrophe schwerwiegende soziale Auswirkungen. Diese führten zu gewaltigen Flüchtlingsströmen bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts vor allem aus Afrika in Richtung Europa.
Seinen optimistischen Lesern empfiehlt Welzer freundlicherweise, nach der Lektüre des ersten Schlusskapitels aufzuhören und sich zu überlegen, "was sie mit dem Konzept einer guten Gesellschaft anfangen wollen". Bestätigt fühlen dürfen sich aber vor allem die Pessimisten, denn nach Ansicht Welzers wird "die Sache mit dem Klimawandel" nicht gut ausgehen: Die Erderwärmung verschärft die sozialen Spannungen, die zu neuen Überzeugungs- und Ressourcen-Kriegen führen.
Immer wieder versichert Welzer, dass Gewalt und Töten auch im 21. Jahrhundert alltägliche Phänomene bleiben werden. Schließlich hätten Kriege und Völkermorde - mit dem Holocaust als perfektionierter Tötungsmaschinerie - stets die Menschheitsgeschichte begleitet. Neues erfährt der Leser damit nicht, auch die düsteren Prophezeiungen des Sozialpsychologen sind längst in der Welt.
Ähnliche Ängste und apokalyptische Szenarien schürten nicht wenige akademisch gebildete Autoren unmittelbar vor dem Niedergang der Sowjetunion. Auf diese Weise halfen sie, eine Panikstimmung zu verbreiten, wonach sich Millionen Osteuropäer und Sowjetmenschen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nichts sehnlicher wünschten, als ihr Heil im westlichen Konsumparadies zu finden. Bewahrheitet haben sich alle diese Prognosen nicht.
Auch methodisch vermag Welzers Vorgehensweise nicht zu überzeugen: In Anlehnung an naturwissenschaftliche Ansätze der Klimaforscher analysiert er das Phänomen der Gewalt in seinen bekannten Ausprägungen, um zu projizieren, "welche Zukunft Gewalt im 21. Jahrhundert hat". Robert Skidelsky, früher Professor für Nationalökonomie und Mitglied des britischen Oberhauses, misstraut diesem "Katastrophismus" zutiefst. In einem Essay in der Tageszeitung "Die Welt" beklagt er sich, dass die Wissenschaft längst "vom apokalyptischen Geist befallen" sei. Dies führe dazu, dass die Forscher "Unsicherheiten zu Wahrscheinlichkeiten" und "fragwürdige Behauptungen als Tatsachen" erklärten. Als Gegengift empfiehlt er "Skeptizismus".
Dass der Klimawandel Auswirkungen auf unser aller Leben hat, wird kaum noch jemand ernsthaft bestreiten. Die Frage ist jedoch, ob wir uns in unser vermeintliches Schicksal ergeben oder praktikable Lösungen entwickeln.